Die norddeutsche Kleinstadt Stade an der Unterelbe diente als Schauplatz für einen besonderen und einzigartigen Tatort, der durch seine dichte Atmosphäre und einen unvergesslichen Einzelgänger-Ermittler besticht.
Die Ermittler-Generationen
Hauptkommissar Ronke
Das beschauliche Stade erlebte in „Wenn alle Brünnlein fließen“ den einzigen Einsatz von Hauptkommissar Ronke. Der von Ulrich von Bock dargestellte Ermittler war ein melancholischer Einzelgänger, dessen äußere Erscheinung mit Strickjacke, karierter Kappe und Schal bewusst an Sherlock Holmes erinnerte. Hinter seinem sarkastischen Humor verbarg sich eine scharfe Beobachtungsgabe, die ihm half, den vermeintlichen Selbstmord des Bauunternehmers Arnold Severing als komplexen Mordfall zu entlarven. Ronkes Liebe zu Topfpflanzen offenbarte eine empathische Seite, die er gegenüber Menschen nur selzen zeigte, während seine Abneigung gegen das Überbringen von Todesnachrichten seinen Status als Außenseiter in der Provinzgesellschaft unterstrich.
Der Ort als Ermittler
Stade selbst wird in diesem Tatort zum wesentlichen Mitspieler. Die norddeutsche Kleinstadt mit ihrer Mischung aus Tradition und wirtschaftlichem Niedergang bildet die perfekte Kulisse für einen Fall, der von existentiellen Ängsten und persönlichen Verzweiflungen handelt. Die regennassen Straßen, schweren Wolken und die drückende Atmosphäre der Rezession im Jahr 1983 spiegeln nicht nur die reale wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik wider, sondern verstärken auch Ronkes Isolation als zugezogenen Ermittler in einer Gemeinde, in der jeder jeden kennt. Die Provinzialität Stades unterstreicht die Tragweite des Verbrechens und macht die scheinbar harmlose Kleinstadt zum Schauplatz tiefgründiger menschlicher Abgründe.
Die Entwicklung des Tatort Stade
Der Tatort Stade bleibt eine singuläre Erzählung, die dennoch typisch für die Experimentierfreude der Serie in den 1980er Jahren ist. Als letzter Vertreter der „Eintagsfliegen“-Phase des NDR-Tatorts verkörpert Ronke den klassischen melancholischen Ermittler, der trotz seiner Kurzlebigkeit einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt. Die Folge verbindet die düstere Atmosphäre des Wirtschaftskrimis mit der charakteristischen Melancholie norddeutscher Landschaften und schafft so ein in sich abgeschlossenes Krimidrama von besonderer Intensität.