Das Tatort-Jahr 1987 war ein Spiegelbild deutscher Realitäten: Von Fremdenfeindlichkeit bis zur Maueröffnung, von Wirtschaftskriminalität bis zum Euro-Scheck – die ARD-Krimireihe nahm kein Blatt vor den Mund und lieferte ein Feuerwerk an brisanten Themen und unvergesslichen Ermittlerfiguren.

Mörderische Vielfalt im Schatten des Kalten Krieges

Während Ronald Reagan am Brandenburger Tor „Mr. Gorbachev, tear down this wall!“ rief, rissen die Tatort-Kommissare Mauern des Schweigens ein. In München jagte Lenz einen falschen Polizisten, der gutgläubige Bürger um ihr Erspartes brachte – ein makabres Spiegelbild der wirtschaftlichen Unsicherheiten der Zeit. Der Fall „Die Macht des Schicksals“ zeigte eindrücklich, wie leicht Menschen in Krisenzeiten Opfer von Betrügern werden können.

Doch nicht nur menschliche Täter hielten die Ermittler auf Trab. In „Tod im Elefantenhaus“ wurde ein Dickhäuter zum vermeintlichen Mörder – ein Fall, der die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen ließ und gleichzeitig Fragen nach Umweltschutz und Arterhaltung aufwarf.

Hamburg: Brennglas gesellschaftlicher Spannungen

Hamburg zeigte sich von seiner düstersten Seite: In „Voll auf Hass“ konfrontierten Stoever und Brockmöller den Zuschauer mit der hässlichen Fratze des Rechtsradikalismus – ein Fall, der Jahre später wegen seiner Brisanz sogar abgebrochen werden musste. Die Folge thematisierte schonungslos die zunehmende Ausländerfeindlichkeit und zeigte, wie dünn der Firnis der Zivilisation sein kann.

Doch die Hansestadt hatte noch mehr zu bieten: In „Blindflug“ ging es in schwindelerregende Höhen. Ein Pilot, der es mit der Treue nicht so genau nahm, fand den Tod – ein Fall, der die Abgründe menschlicher Beziehungen ebenso beleuchtete wie die Risiken des Flugverkehrs.

Schimanski: Vom Revier ins Kino und zurück

Der Ruhrpott-Cop Horst Schimanski bewies 1987, dass er auch die große Leinwand erobern kann. „Zahn um Zahn“ lockte Millionen in die Kinos, bevor er im TV lief – ein Coup, der die Grenzen des Formats sprengte. Schimanski, der Archetyp des unkonventionellen Ermittlers, zeigte einmal mehr, dass er vor nichts zurückschreckt – nicht einmal vor der Kinoleinwand.

Doch auch im TV blieb Schimi seiner Linie treu. In „Spielverderber“ deckte er die Verstrickungen zwischen Waffenhandel und Lokalpolitik auf – ein brisanter Cocktail, der die Zuschauer fesselte und gleichzeitig zum Nachdenken anregte.

Wiener Schmäh und Münchner Abschied

In Wien löste Oberinspektor Marek seinen letzten Fall – ein wehmütiger Abschied von einer Ära. „Der letzte Mord“ war mehr als nur ein Krimi; er war eine Hommage an einen beliebten Ermittler und zeigte, dass auch pensionierte Polizisten ihren Spürsinn nicht verlieren.

München wiederum verabschiedete sich von Helmut Fischer als Kommissar Lenz in „Gegenspieler“ – das Ende einer Legende. Fischer hatte dem Münchner Tatort seinen unverwechselbaren Charme verliehen, und sein Abgang markierte das Ende einer Epoche.

Neue Gesichter, neue Perspektiven

Doch wo Türen sich schließen, öffnen sich andere. In Stuttgart betrat mit Georg Schreitle ein neuer Ermittler die Bühne. Sein erster Fall „Eine Million Mäuse“ zeigte, dass auch frische Gesichter dem Tatort neue Impulse geben können.

Auch Wien wagte einen Neuanfang: Mit Inspektor Passini, gespielt vom späteren Oscar-Preisträger Christoph Waltz, betrat ein Jungstar die Tatort-Bühne. Sein einziger Fall „Wunschlos tot“ deutete an, welches Potenzial in ihm steckte.

Spiegel der Gesellschaft im Wandel

Während die Ermittler Verbrechen aufklärten, wurde der Euro-Scheck eingeführt – ein erster Schritt zur europäischen Währungsunion. Der Tatort griff diesen Zeitgeist auf, thematisierte Finanzbetrug und grenzüberschreitende Kriminalität. In „Pension Tosca oder Die Sterne lügen nicht“ wurde sogar das aufkommende Interesse an Esoterik und Astrologie aufs Korn genommen – ein Phänomen, das in den 80ern zunehmend an Bedeutung gewann.

Fazit: Mehr als nur Krimi

1987 war für den Tatort mehr als nur ein Jahr voller spannender Kriminalfälle: Er war Chronist, Mahner und Unterhalter in einem. In Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs bot er den Zuschauern nicht nur Spannung, sondern auch Orientierung in einer sich rasant verändernden Welt.

Von der aufkeimenden Fremdenfeindlichkeit über die Schatten des Kalten Krieges bis hin zu den Anfängen der europäischen Integration – der Tatort fing all diese Facetten ein und verarbeitete sie zu fesselnden Geschichten. Er zeigte Deutschland und Österreich, wie sie waren: mit all ihren Schwächen, aber auch mit ihrer Fähigkeit zur Veränderung und Erneuerung.

Das Tatort-Jahr 1987 steht somit exemplarisch für die Kraft des Formats, gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur abzubilden, sondern auch kritisch zu hinterfragen. Es war ein Jahr, das die Weichen für die Zukunft stellte – sowohl für die Krimireihe selbst als auch für die Gesellschaft, die sie porträtierte. In diesem Sinne war 1987 mehr als nur ein weiteres Jahr Tatort-Geschichte; es war ein Meilenstein deutscher Fernsehkultur.