Tatort Folge 198: Voll auf Hass

Kurz und knapp – darum geht’s

Als die Verlobungsfeier des türkischen Restaurantbesitzersohns Erdal Bicici und seiner deutschen Braut Dagmar Lobeck von einer Gruppe Skinheads brutal gestürmt wird, verliert der junge Erdal dabei sein Leben. Die Hamburger Kommissare Stoever und Brockmöller stoßen bei ihren Ermittlungen nicht nur auf rassistisch motivierte Gewalttäter, sondern auch auf ein Schutzgeld-Syndikat, das den türkischen Gastronomen Mehmet Bicici seit längerem unter Druck setzt. Als die Ermittler eine Verbindung zwischen den Skinheads, einem rechtsgerichteten Verein und Dagmars eigenem Vater entdecken, offenbart sich hinter der Fassade des Fremdenhasses ein perfides Komplott…

Inhalt der Tatort-Folge „Voll auf Haß“

Schlaflos steht Mehmet Bicici hinter der Bar seines Restaurants, während er die zerbrochenen Gläser zusammenkehrt – stumme Zeugen der morgendlichen Drohung zweier zwielichtiger Gestalten, die Schutzgeld von ihm forderten. Die Scherben knirschen unter seinen Schuhen, doch der Gedanke an die abendliche Verlobungsfeier seines Sohnes lässt seine Sorgen in den Hintergrund treten. Was könnte schon passieren in seinem Lokal, umgeben von Familie und Freunden?

Die Kriminalhauptkommissare Paul Stoever und Peter Brockmöller könnten unterschiedlicher kaum sein. Während der ältere Stoever mit seiner behäbigen Art und seinem schwarzen Humor Verdächtige oft in Sicherheit wiegt, um sie dann mit präzisen Fragen in die Enge zu treiben, nähert sich sein Kollege Brockmöller den Menschen eher behutsam und mit Einfühlungsvermögen. Beiden gemeinsam ist jedoch die unbedingte Entschlossenheit, den Tod von Erdal Bicici aufzuklären – schließlich ist dies bereits der dritte Fall von rechtsextremistischer Gewalt innerhalb von sechs Monaten.

Die Feier beginnt zunächst harmonisch, auch wenn die Spannung zwischen den Familien spürbar ist wie ein unsichtbarer Vorhang, der den Raum teilt. Gerhard Lobeck sitzt mit versteinerter Miene neben seiner Frau, während sein künftiger Schwiegersohn Erdal strahlend durch den Raum geht. Als Mehmet Bicici gerade seine Rede beendet und mit Dagmars Vater anstoßen will, bricht die Hölle los: Eine Horde glatzköpfiger junger Männer in Bomberjacken und Springerstiefeln stürmt wie ein schwarzer Sturzbach ins Lokal. Gläser zerbersten, Schreie erfüllen den Raum, Tische werden umgeworfen. Dagmar erkennt voller Entsetzen auf dem Handrücken eines Skinheads das tätowierte Wort „HASS“ – ein Symbol für die blinde Wut, die sich im nächsten Moment in einem brutalen Schlag gegen ihren Verlobten entlädt. Als der Tumult vorbei ist, bleiben nur Chaos, Verwüstung und ein toter Erdal Bicici zurück.

Die Suche nach den Tätern führt die Kommissare in die Unterwelt Hamburgs, wo rechte Gesinnung und organisierte Kriminalität wie giftige Pilze im Verborgenen gedeihen. In den U-Bahn-Tunneln der Hansestadt, wo sich die Skinheads treffen, konfrontiert Stoever einen jungen Mann mit Kampfspuren im Gesicht. Wie ein Papagei plappert dieser fremdenfeindliche Parolen nach, ohne ihren Sinn zu verstehen. Die Begegnung gleicht dem Versuch, in trübem Wasser zu fischen – man sieht die Bewegungen, aber nicht, was sich darunter verbirgt.

Währenddessen nimmt Mehmet Bicici, vom Schmerz über den Verlust seines Sohnes verzehrt, das Gesetz in die eigene Hand. Die Waffe, die er von seinem Verwandten erhält, ist kalt in seiner Hand, doch sein Herz brennt vor Rache. Als er die Schutzgelderpresser stellt, wendet sich das Blatt jedoch unerwartet gegen ihn – er wird überwältigt und später trifft Stoever ihn in Gesellschaft eben jener Männer an, die er eigentlich zu bekämpfen versuchte.

Die Ermittlungen führen die Kommissare schließlich zu Martin Fuhrmann, einem Freund der Familie Lobeck, der einem rechtsgerichteten Verein vorsteht. Das Netz der Verstrickungen wird immer dichter, bis ein verletzter Skin namens Kralle den entscheidenden Hinweis gibt: Der Auftrag für den verhängnisvollen Überfall kam von Gerhard Lobeck selbst, der unter dem Einfluss seines Freundes Fuhrmann seiner Tochter „vor Augen führen wollte, worauf sie sich da einlässt“.

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Voll auf Haß“ wurde 1987 vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) produziert und am 8. November desselben Jahres erstmals ausgestrahlt. Die Dreharbeiten fanden in Hamburg statt, wobei die authentischen Locations – von den schmuddeligen U-Bahn-Tunnels bis zu den Hafenanlagen der Hansestadt – der Geschichte eine beklemmende Atmosphäre verleihen.

In den Hauptrollen glänzen Manfred Krug als Kriminalhauptkommissar Paul Stoever und Charles Brauer als sein Kollege Peter Brockmöller. Besonders bemerkenswert ist die Besetzung von Mutter und Sohn Bicici mit Sabahat und Tayfun Bademsoy, die auch im wirklichen Leben Mutter und Sohn sind. In weiteren Rollen sind Heike Faber als Dagmar Lobeck sowie Djamchid Soheili als Mehmet Bicici zu sehen.

Die gesellschaftskritische Folge erhielt 1988 den Civis – Europas Medienpreis für Integration im Bereich „Beiträge mit Spielhandlung“, da sie der Verständigung mit Ausländern diene. Für Regisseur Bernd Schadewald stellte der Film einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus im Deutschland der 80er Jahre dar.

Als die Folge im Jahr 1993 wiederholt werden sollte, musste die Ausstrahlung nach nur 40 Minuten aufgrund massiver Zuschauerproteste abgebrochen werden. Grund dafür war der traurige Zufall, dass nur wenige Tage zuvor bei dem ausländerfeindlichen Anschlag in Solingen fünf Menschen türkischer Herkunft getötet worden waren. Diese Reaktion zeigt, wie nahe die im Tatort behandelte Thematik an der deutschen Wirklichkeit war – und leider teilweise immer noch ist.

Die Episode erschien am 25. März 2010 auch auf DVD und ist zudem als Hörbuch erhältlich, gelesen von Charles Brauer, dem Darsteller des Kommissars Brockmöller.

Videos zur Produktion

ARD Plus Trailer

Besetzung

Djamchid Soheili (Mehmet Bicici)
Tayfun Bademsoy (Erdal Bicici)
Sabahat Bademsoy (Shirin Bicici)
Heike Faber (Dagmar Lobeck)
Ulrich Pleitgen (Gerhard Lobeck)
Johanna Liebeneiner (Lili Lobeck)
Mario Irrek (Kralle)
Luc Hoffmann (Leo)
Gerhard Olschewski (Martin Fuhrmann)
Engin Akcelik (Yüksel)
Jan Fedder
Peter Lakenmacher (Manfred Schürmann)
Helmut Zierl (Michael Roeder)
Georg Blumensaat
Lutz Reichert (Meyer II)
Jan Aust (Polizist)
Adalbert Tiegelkamp (Polizist)
Bernhard Dübe
Wolfgang Feustel (Wirt)
Heinrich Dohmes (Lagerarbeiter)
Frank Meyer-Brockmann

Stab

Drehbuch – Bernd Schadewald
Regie – Bernd Schadewald
Kamera – Jochen Radermacher, Charles Fürth
Schnitt – Anya Cox · Monika Schweser
Musik – Ingfried Hoffmann
Produktion – NDR

10 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

×
  1. vor 17 Jahren

    Besonders schrecklich finde ich bei dieser Folge die Szene, wie die Skinheads in das Lokal stürmen und alles kurz und klein schlagen und einer fröhlichen Feier ein jähes Ende bereiten. Als ich diese Folge erstmalig 1987 sah, war mir fast übel geworden.
    Seit fast sieben Jahren wohne ich jetzt in Hamburg und hatte bei einer Wiederholung dieser Folge entdeckt, dass man die Außenaufnahmen von dem hier in dem Film türkischen Restaurant vor dem Eingang eines portugiesischen Restaurants direkt an einem Zugang zur S-Bahn-Station Stadthausbrücke gedreht hatte. In dem Restaurant hatte ich einige Male gegessen. Leider gibt es das nicht mehr.

  2. vor 16 Jahren

    Dieser „selbsternannte Klassiker“ aus dem Jahre 1987 kann kein Staub ansetzen.
    Er wird ideologisch zweckmäßig eingesetzt – oftmals vor Wahlen. Das Drehjahr spielt dann keine Rolle mehr – er ist ständig „aktueller Brennpunkt“.

  3. vor 12 Jahren

    einer derjenigen Tatorte, bei welchem die Komissare nur Nebenrollen spielen…starke Produktion

  4. vor 9 Jahren

    Der Tatort mit der Nummer 198 aus der Hansestadt Hamburg. Die beiden Hauptkommissare Stoever und Brockmöller ermitteln in einem der besten Polit-Thriller im Jahr 1987. Die beiden Profis ermitteln im Zuge rechtsextremer Untaten im politischen Lagern und bewegen sich auf dünnem Eis, denn ihre Gegner sind keinesfalls Amateure auf dem Gebiet der Angst essen Seele auf. Organisiert und gut durchstrukturiert zudem agitationsmäßig geführt und bandenvorbildlich ausgebildet, bieten sie diesen beiden Tatort-Kommissaren erhebliches Paroli, wodurch diese jene beiden sich wiederum heraus gefordert fühlen. Noch heute ein Tatort zum hinschauen, sehenswert, wiederholungswürdig.

  5. vor 8 Jahren

    Eine ziemliche Schwarz/Weißmalerei, wenngleich Stöver im Drehbuch versucht, eine differenzierte Betrachtungsweise aufzubauen. Unabhängig von der Geschichte gibt es einige sehr gute schauspielerische Leistungen, unter anderem von Djamchid Soheili, den man Ende der 80er häufiger in TV-Produktionen sah. Sein eindringliches Spiel bleibt im Gedächtnis. Im Gegensatz zu Tayfun Bademsoy , der bis heute gut im Geschäft ist und eigentlich auch allen anderen, ist dieser Schauspieler von der Bildfläche verschwunden. Was ist aus ihm geworden?

  6. vor 7 Jahren

    Immer aktuell und sehr gut.
    Toll auch die „Toten Hosen“ beim Konzert in der Fabrik.

  7. vor 4 Jahren

    Heute verstecken sich die Faschisten im Anzug in der neuen Alternativ Partei. Ekelhaft. Leben und leben lassen. Egal welche Kultur. Traurige Entwicklung in Deutschland leider und deshalb sollte dieser Tatort sehr sehr häufig ausgestrahlt werden. Highlight 5 Sterne

  8. vor 3 Jahren

    Die DAF! Hahahaha
    An welche Partei erinnert es mich aus der heutigen Zeit?
    Vielleicht an einer Partei, die es noch nicht mal gebacken bekommt einen Parteitag zu Ende zu fuehren. (Hihihihi)
    4 Sterne fuer den TO

  9. vor 3 Jahren

    Einfach nur lächerlich und abstoßend, diese Politisierung des Tatorts durch antifaschistische Filmemacher, die sonst nichts zu bieten haben. Ist allerdings ein seit langem bekanntes Phänomen und verweist auf den in vielen Segmenten schon länger totalitären Charakter unseres Kulturberiebs. Jetzt wird auch noch – in Kassel – auf die Juden geschossen. Aber die wissen sich zu wehren.

  10. WW
    vor 3 Jahren

    Na, Gottlieb, hast Du für den Tatort den AFD-Heimatabend mit Bernd Höcke geschwänzt? :-)

Neue Tatort-Folgen
Baden-Baden
14 Folgen
Berlin
96 Folgen
Bern
12 Folgen
Braunschweig
1 Folgen
Bremen
49 Folgen
Bremerhaven
1 Folgen
Dortmund
27 Folgen
Dresden
39 Folgen
Duisburg
29 Folgen
Düsseldorf
15 Folgen
Erfurt
2 Folgen
Essen
22 Folgen
Frankfurt
87 Folgen
Freiburg
1 Folgen
Göttingen
5 Folgen
Hamburg
105 Folgen
Hannover
30 Folgen
Heppenheim
1 Folgen
Kiel
51 Folgen
Köln
100 Folgen
Konstanz
31 Folgen
Leipzig
44 Folgen
Lübeck
2 Folgen
Ludwigshafen
81 Folgen
Luzern
17 Folgen
Mainz
7 Folgen
München
124 Folgen
Münster
47 Folgen
Nürnberg
10 Folgen
Saarbrücken
45 Folgen
Schwarzwald
14 Folgen
Stade
1 Folgen
Stuttgart
78 Folgen
Weimar
11 Folgen
Wien
90 Folgen
Wiesbaden
13 Folgen
Zürich
8 Folgen