Ab 2027 übernehmen zwei altbekannte Bühnenpartner die Wiener Ermittlungen. Ihre Figuren sollen ein zerbrochenes Familiengeheimnis tragen – und dem österreichischen „Tatort“ einen Neustart verpassen.
Der ORF wagt einen radikalen Generationenwechsel: Mit Miriam Fussenegger und Laurence Rupp sollen ab 2027 zwei vergleichsweise junge, erst Mitte dreißigjährige Schauspieler den Wiener „Tatort“ neu definieren. Das Duo tritt die Nachfolge eines der langlebigsten Ermittlerpaare im deutschsprachigen Fernsehen an: Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser, seit über einem Jahrzehnt Publikumsmagneten.
Wie üblich macht der Sender den Übergang größer als er ist – und stilisiert zugleich die Neuen zu Symbolfiguren eines programmatischen Aufbruchs.
Wer die Neuen sind
Beide Schauspieler kennen sich seit dem Studium am Max Reinhardt Seminar, beide verbindet eine lange gemeinsame Bühnengeschichte. Professionell funktioniert das Duo also – eine wichtige Grundvoraussetzung für ein Format, das von nonverbalen Nuancen lebt.
Miriam Fussenegger, 31, hat sich in ORF-Produktionen vom Landkrimi bis zur Komödie einen Namen gemacht.
Laurence Rupp, 38, ist zwischen Netflix-Epos („Barbaren“), Kino-Arthouse und Lokalserien pendelnd einer der vielseitigsten Darsteller seiner Generation.
Dass der ORF auf Kontinuität und Risikominimierung setzt, ist dabei kaum zu übersehen.
Die Figuren: Familiendrama im BKA
Die Rollen, die Fussenegger und Rupp übernehmen, sind bewusst konfliktreich angelegt: Charlotte „Charlie“ Hahn soll eine neue Sondereinheit im BKA führen – und findet ausgerechnet jenen Kollegen vor, den sie am wenigsten dort erwartet hätte: Alex Maleky, ihren Halbbruder.
Damit setzt der ORF dort an, wo viele „Tatort“-Produktionen inzwischen wildern: im Grenzbereich zwischen Familienaufstellung, Polizeidienst und persönlicher Traumabewältigung. Das Publikum soll sich mehr mit den Ermittlern als mit den Fällen identifizieren.
Der Übergang: Strategie statt Überraschung
Dass Krassnitzer und Neuhauser aufhören, ist länger bekannt. Ebenso, dass der ORF ihren Abschied dramaturgisch ausweitet: Drei weitere Filme laufen 2025 und 2026, bevor das neue Team übernimmt. Ein typisches öffentlich-rechtliches Vorgehen: Man riskiert nichts, verliert keine Zuschauer und produziert nahtlos weiter.
Produktion und kreativer Kurs
Der erste Fall des neuen Teams entsteht ab Frühjahr 2026 unter Regisseur Dominik Hartl. Für das Drehbuch zeichnet Sarah Wassermair verantwortlich, die bereits mehrere komplex angelegte „Tatort“-Folgen entwickelt hat.
Interpretiert man die Personalien, sollen die künftigen Wiener Folgen stärker durch zwischenmenschliche Spannungen und moralische Graubereiche geprägt sein – weniger klassischer Whodunit, mehr psychologische Reibung.
Einordnung: Was der ORF eigentlich will
Der Sender spricht vom „Beginn eines neuen Kapitels“ — ein Standardsatz, der meist dann fällt, wenn strukturelle Änderungen notwendig geworden sind. Hinter den Kulissen geht es um mehr: Der ORF kämpft um jüngeres Publikum, muss seine Streaming-Plattform ORF ON stärken und steht gleichzeitig unter politischem Druck, sich moderner aufzustellen.
Ein „Tatort“, der jünger wirkt, privatere Konflikte erzählt und medial besser teilbar ist, passt exakt in diese Strategie.
Ausblick
2027 wird zeigen, ob das neue Duo den Wiener „Tatort“ tatsächlich erneuert oder nur sanft modernisiert. Der Sender setzt viel Hoffnung auf die beiden. Den Zuschauern bleibt bis dahin genug Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen – und die letzten Fälle des alten Teams zu genießen.