Kurz und knapp – darum geht’s

Eine Frauenleiche an der Transitstrecke zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik versetzt die Polizei in Alarmbereitschaft: Kommissar Schmidt muss in seinem zweiten Fall ein Gewaltverbrechen aufklären, das mit illegaler Fluchthilfe aus der DDR zusammenhängt. Die Spuren führen zu zwei skrupellosen Männern, die eine junge Kellnerin namens Erika aus West-Berlin manipuliert und in ein perfides Doppelgängerspiel hineingezogen haben. Als Schmidt entdeckt, dass die geflüchtete DDR-Bürgerin Gisela nun unter falscher Identität lebt und von ihren eigenen Fluchthelfern als lästige Zeugin beseitigt werden soll, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit…

Inhalt der Tatort-Folge „Transit ins Jenseits“

Unruhig streift Horst Bremer durch die grauen Hinterhöfe Berlin-Kreuzbergs, sein prüfender Blick verrät mehr als tausend Worte: Er ist auf der Jagd. Seine Beute ist die einsame Kellnerin Erika Marquart, deren Leben er systematisch ausspioniert – jede Bewegung, jede Gewohnheit, jede Schwäche. „Sieht gut aus. Hat Schulden. Lebt allein“, notiert er für seinen Komplizen Martin Poll, während der Novemberregen an den Fenstern der schäbigen Telefonzelle herabrinnt. Der perfekte Köder für ihren Plan ist gefunden.

Kommissar Schmidt ist derweil mit ganz anderen Fällen beschäftigt. Der schwergewichtige Ermittler mit der markant tiefen Stimme ahnt nicht, dass er bald in ein Verbrechen verstrickt sein wird, das nur in einem geteilten Deutschland möglich ist. Während er routinemäßig den Gangster Poll befragt, fallen ihm im Vorbeigehen Fotos einer jungen Frau auf – eine Beobachtung, die später zum entscheidenden Puzzlestück werden soll. Doch zunächst bleibt dieser winzige Moment so flüchtig wie die Zigarettenschwaden, die durch sein Büro ziehen.

Die Transitroute nach Bayern gleicht einem nervenzehrenden Spießrutenlauf: Die Stimmung im Wagen ist zum Zerreißen gespannt, als Erika mit Bremer die schikanösen Kontrollprozeduren an der Grenze durchläuft. „Ihre Papiere“, fordert der uniformierte Grenzbeamte mit ausdruckslosem Gesicht, während Bremer ein unschuldiges Lächeln aufsetzt, das nicht verrät, dass neben ihm eine Frau sitzt, die ihre Identität mit einer DDR-Bürgerin tauschen soll. Die fahle Beleuchtung der Kontrollstelle lässt ihre blond gefärbten Haare unnatürlich schimmern – Erikas letztes Opfer für eine Liebe, die nur in ihrem Kopf existiert.

Als eine Reifenpanne den ausgeklügelten Plan durchkreuzt, wird die Transitstrecke zum Schauplatz eines Dramas, das wie ein Dominoeffekt außer Kontrolle gerät. Die graue Betonlandschaft der DDR-Autobahn mit ihren trostlosen Rastplätzen scheint den tödlichen Ausgang bereits vorwegzunehmen. „Ich will aussteigen“, fordert Erika, als sie die Wahrheit über das Doppelspiel erfährt. Doch ihr Schicksal ist längst besiegelt wie ein ungenau frankierter Brief, der nie sein Ziel erreicht. Der Kampf in der kühlen Dämmerung endet mit ihrem leblosen Körper, versteckt in einer Betonröhre – ein makabres Symbol für die Brutalität der deutschen Teilung.

Die Fahndung nach den Tätern gleicht der Suche nach einem schwarzen Faden in einem Wollknäuel aus Lügen und falschen Identitäten. Als Schmidt durch einen Geistesblitz die Verbindung zu dem zufällig gesehenen Foto herstellt, führt die Spur vom grauen Berlin ins sonnige München, wo die arme Gisela mit ihrer geliehenen Identität zwischen den Fronten gefangen ist. „Die brauchen keine Zeugen“, knurrt Schmidt, als er begreift, dass auch Gisela sterben soll. Das Finale an der innerdeutschen Grenze, wo Gisela in einem abgelegenen Dorf als angebliche DDR-Flüchtung auftauchen soll, wird zur Zitterpartie zwischen Leben und Tod…

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Transit ins Jenseits“ wurde vom Sender Freies Berlin unter der Redaktion von Jens-Peter Behrend produziert und feierte am 5. Dezember 1976 Premiere in der ARD. Es ist der zweite Fall für Kommissar Schmidt, verkörpert von Martin Hirthe, der insgesamt nur in drei Tatort-Filmen zu sehen war, bevor er im Alter von nur 60 Jahren verstarb. Die Dreharbeiten fanden in Berlin, München und an nachgebauten DDR-Grenzübergängen statt, wobei die Filmemacher penibel darauf achteten, die beklemmende Atmosphäre der deutsch-deutschen Grenzkontrollen authentisch einzufangen.

Mit Götz George als Martin Poll und Marius Müller-Westernhagen als Horst Bremer standen zwei Schauspieler vor der Kamera, die später zu absoluten Topstars des deutschen Films aufsteigen sollten. Für Müller-Westernhagen, der damals sowohl als Musiker wie auch als Schauspieler noch am Anfang seiner Karriere stand, wurde der Film zu einem wichtigen Sprungbrett. Gustl Bayrhammer und Helmut Fischer als Münchner Ermittler Veigl und Lenz komplettierten das hochkarätige Ensemble.

Die Erstausstrahlung erreichte trotz der prominenten Besetzung einen Marktanteil von 44 Prozent – eine beachtliche Quote, die den Nerv der Zeit traf. Diverse Rock- und Popsongs sowie ein von Klaus Doldinger komponierter Jazz-Soundtrack sorgen für authentisches Zeitkolorit der 70er Jahre. Bemerkenswert ist die präzise Darstellung der Transitwege zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik; nach der Ausstrahlung kursierten sogar Vermutungen, ob der Film auf einem wahren Fall basiere – was die Macher aber verneinten.

Regisseur Günter Gräwert, der auch am Drehbuch beteiligt war, inszenierte den Film mit einem Auge für die bedrückenden Details des geteilten Deutschlands. Die Szenenbilder stammen von Gerd Staub, die Kostüme von Cornelia Kampmann. Für die Maske zeichneten Erna Angermann und Brigitta Wehrand verantwortlich, während Harry Utikal und Hans-Dieter Schwarz den Ton betreuten.

Besetzung

Gerd Baltus · Bernd Bauer · Gustl Bayrhammer · Angelika Bender · Gisela Dreyer · Ulrich Faulhaber · Helmut Fischer · Götz George · Heinz Gerlach · Ursula Gerstel · Andreas Hanft · Gerd Holtenau · H.H. Jochmann · Wilfried Klaus · Heinz Luasch · Lutz Mackensy · Rolf Marnitz · Barbara Morawiecz · Marius Müller-Westernhagen · Götz-Olaf Rausch · Katrin Schaake · Peter Schiff · Inge Sievers · Christina Steiner

Stab

Regie: Günter Gräwert
Buch: Jens-Peter Behrend · Günter Gräwert
Kamera: Holger Eichhorn · Horst Schier
Schnitt: Friederike Badekow
Musik: Klaus Doldinger
Produktion: SFB