Kurz und knapp – darum geht’s
Ein Radfahrer entdeckt am frühen Morgen eine tote Frau in einem Auto, an dem ein Schlauch die Abgase ins Wageninnere leitet – scheinbar Selbstmord nach einem Verkehrsunfall. Gleichzeitig wird in unmittelbarer Nähe die Leiche eines Mannes gefunden, der offenbar überfahren wurde. Oberinspektor Hirth und sein Team stoßen bei ihren Ermittlungen auf eine zerrüttete Familie, in der es zugeht „wie in einem Strindberg-Drama“. Als die Ermittler das Alibi des Sohnes der Toten überprüfen und dabei auf eine raffinierte Täuschung stoßen, ahnen sie noch nicht, welch perfides Verbrechen sich hinter dem vermeintlichen Unfall verbirgt …
Inhalt der Tatort-Folge „Strindbergs Früchte“
Der Morgen bricht an über ein ruhiges Wohngebiet, als ein junger Radfahrer eine grausige Entdeckung macht: eine Frau, tot in ihrem Wagen, die Abgase durch einen Schlauch ins Wageninnere geleitet. Ulrike Watz, Hausfrau und Mitinhaberin eines Delikatessengeschäfts, scheint sich nach einem tragischen Unfall das Leben genommen zu haben. Der Tatort offenbart jedoch schnell seine Geheimnisse – und seine Widersprüche.
Oberinspektor Hirth und Hollocher betreten eine Welt familiärer Abgründe, die ihresgleichen sucht. Im Hause Watz herrschen Spannungen zwischen Vater und Sohn, die der junge Mann mit einem düsteren Vergleich beschreibt: „Es geht zu wie in einem Strindberg-Drama.“ Der Patriarch der Familie führt sein Delikatessengeschäft mit eiserner Hand, während seine alkoholkranke Frau eine Entziehungskur machen wollte. Dass sich ihre Tochter erst ein halbes Jahr zuvor das Leben genommen hat, lastet wie ein Schatten über der Familie.
Die Ermittlungen fördern ein Netz aus Lügen, Betrug und unterdrücktem Hass zutage. Herr Watz hatte eine Geliebte, seine Frau terrorisierte einen Mann namens Hermann Geiser mit Briefen und Anrufen – sie machte ihn für den Selbstmord ihrer Tochter verantwortlich. Der Sohn bewegt sich zwischen gespielter Gleichgültigkeit und kaum verhohlenem Zorn auf seine Eltern. Seine Alibis bröckeln unter der genauen Prüfung der Beamten wie morsches Holz.
Währenddessen entpuppt sich der vermeintliche Verkehrsunfall als weitaus komplexere Angelegenheit. Das Fahrrad des toten Hufinger wird an ganz anderer Stelle gefunden, Blutspuren im Kofferraum von Ulrike Watz‘ Wagen werfen neue Fragen auf. Die Fahndung nach der Wahrheit gleicht dem Entwirrung eines Gordischen Knotens aus Familientragödien und verdrängten Schuldgefühlen. Als Hirth schließlich mit einem raffinierten psychologischen Trick die Wahrheit ans Licht zu bringen versucht, explodiert die mühsam aufrechterhaltene Fassade der Familie Watz …
Hinter den Kulissen
„Strindbergs Früchte“ entstand 1986 unter der Regie von Alfred Paul Schmidt als 176a. Folge der Kriminalreihe Tatort und gehört zu den legendären 13 „unterschlagenen“ Tatorten des ORF. Diese besonderen Produktionen entstanden zwischen 1985 und 1989 außerhalb der offiziellen ARD-Gemeinschaftsproduktion und wurden zunächst nur in Österreich ausgestrahlt. Für ORF-Redakteur Ernst Petz war dies ein Glücksfall, als seine Abteilung zur Entwicklung zusätzlicher Tatorte mehr Geld als sonst zur Verfügung hatte.
Die Erstausstrahlung erfolgte am 12. Januar 1986 ausschließlich im ORF-Sendegebiet. Es war der insgesamt fünfte Fall um Oberinspektor Hirth, wobei zuvor nur zwei seiner Fälle Teil der offiziellen ARD-Reihe gewesen waren. Knapp ein halbes Jahr später, am 27. Juni 1986, wagte der Bayerische Rundfunk den ungewöhnlichen Schritt und zeigte die Folge einmalig in Deutschland.
Diese 13 ORF-Eigenproduktionen gleichen einem TV-Krimi-Mysterium: In keiner offiziellen ARD- oder ORF-Listung tauchen sie auf, die Senderechte sind längst abgelaufen und der ORF hat sogar die ursprünglichen Unterlagen vernichtet. Bei Tatort-Fans stehen sie jedoch hoch im Kurs, da sie vollwertige Tatorte mit bekanntem Vor- und Abspann, der Doldinger-Fanfare und den gewohnten Ermittlern sind – nur der Hinweis auf die Gemeinschaftsproduktion und das Fadenkreuz am Ende fehlen.
Nach fast 30 Jahren Pause erlebte „Strindbergs Früchte“ am 1. November 2015 eine seltene Wiederholung beim ORF im Rahmen einer Jubiläumsnacht. Hoffnungen auf weitere Ausstrahlungen sind jedoch gering – die Folge bleibt ein kostbarer Schatz für Sammler und Beweis für die österreichische Tatort-Tradition der 1980er Jahre, literarische Bezüge geschickt in psychologisch tiefgreifende Kriminalfälle einzuflechten.