Kurz und knapp – darum geht’s

In einer niedergebrannten Münchner Schule wird die verkohlte Leiche eines jungen Mädchens gefunden – doch die Gerichtsmedizin stellt fest: Das Opfer starb bereits vor dem Brand durch einen Genickbruch. Hauptkommissar Melchior Veigl und sein Kollege Lenz nehmen die Ermittlungen auf und sehen sich bald mit mehreren Verdächtigen konfrontiert: Ein vorbestrafter Hausmeister mit falschen Alibis, eine eifersüchtige Ehefrau und ein Architekt, der verdächtig schnell Pläne für einen Neubau vorlegt. Als die Ermittler in die Münchner Lokalszene vordringen, um eine verschwundene Zeugin zu finden, erwartet sie eine überraschende Wahrheit hinter dem vermeintlich klaren Fall …

Inhalt der Tatort-Folge „Das Mädchen am Klavier“

Grauer Rauch wabert noch durch die verkohlten Trümmer der alten Schule am Münchner Stadtrand, als Hauptkommissar Melchior Veigl mit schweren Schritten durch die nasse Asche watet. Das Wasser der Löschfahrzeuge hat sich mit Ruß zu einer schwarzen Pfützenlandschaft vermischt, die im fahlen Morgenlicht schimmert. Zwischen all der Zerstörung ein Fund, der selbst den erfahrenen Kommissar innehalten lässt: die bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche eines jungen Mädchens.

Veigl, der mit seiner bedächtigen Art manchmal zu langsam für die hektische Großstadt wirkt, besteht auf Gründlichkeit – eine Eigenschaft, die ihn zuverlässig ans Ziel führt, aber auch regelmäßig mit seinem ungeduldigen Kollegen Lenz aneinandergeraten lässt. „Wir werden hier nichts überstürzen“, mahnt er, während Lenz bereits erste Theorien aufstellt. Die Spannung zwischen dem akribischen Veigl und dem impulsiven Lenz schwebt wie der Brandgeruch über der gesamten Ermittlung.

Die Obduktion bringt die erste überraschende Wendung: „Das Mädchen ist nicht durch den Brand gestorben“, erklärt der Gerichtsmediziner nüchtern. „Ein Genickbruch hat sie getötet – und zwar bevor das Feuer ausbrach.“ Aus einem tragischen Unglück wird ein Mordfall. Die Identifizierung des Opfers gleicht einem Puzzlespiel mit fehlenden Teilen – verbrannte Haut, geschmolzene Kleidung und keinerlei Papiere.

Das Hausmeisterpaar der Schule scheint wie vom Erdboden verschluckt: Die Ehefrau angeblich bei ihrem Vater, der vorbestrafte Ehemann Enrico Riedel mit seiner Geliebten beim Wasserskifahren am Chiemsee. „Das alte Glump, bin eh versichert“, kommentiert er lapidar den Verlust des Gebäudes. Seine Augen verraten mehr Berechnung als Trauer. Sein Alibi erweist sich als brüchig wie die Mauern der abgebrannten Schule.

Mit jedem Schritt in seiner Ermittlung stößt Veigl auf weitere Verdächtige: Die Schulleiterin Dr. Förster, die dem alten Gebäude keine Träne nachweint und deren Freund, der Architekt Ruby, der erstaunlich schnell Pläne für einen Neubau präsentiert. „Fast so, als hätte er sie schon in der Schublade gehabt“, murmelt Veigl misstrauisch. Und was ist mit der jungen Türkin, die als Aushilfe für die Hausmeisterin arbeitete und seit dem Brand verschwunden ist?

Die Spur führt Veigl und Lenz schließlich in die Schwabing Lokalszene, in verrauchte Bars mit schummrigem Licht, wo junge Frauen an Klavieren von einer Karriere als Sängerinnen träumen. Die Suche nach einem „Mädchen am Klavier“ wird zur Suche nach der Wahrheit hinter einem Geflecht aus Lügen, Eifersucht und unerwarteten Verbindungen. Während die Ermittler dem mysteriösen zweiten Mädchen auf der Spur sind, das möglicherweise den Brand überlebt hat, verdichten sich die Hinweise auf eine Täterschaft, mit der niemand gerechnet hat …

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Das Mädchen am Klavier“ ist der 70. Film der Krimireihe und der achte Fall von Kommissar Melchior Veigl, verkörpert vom bayerischen Volksschauspieler Gustav Bayrhammer. Die Dreharbeiten fanden im Juni und Juli 1976 in München und Umgebung statt. Besonders dramatisch: Die Brandszenen wurden im damaligen Franzheim bei Erding gedreht – einem Ort, der heute nicht mehr existiert, da das Gelände dem Bau des Münchner Flughafens weichen musste. Das Gebäude konnte für die Dreharbeiten tatsächlich abgebrannt werden, was dem Film eine besondere Authentizität verleiht. Die örtliche Feuerwehr stellte nicht nur Löschfahrzeuge für die Dreharbeiten zur Verfügung, sondern übernahm auch Komparsenrollen.

An der Seite von Gustav Bayrhammer als bedächtiger Kommissar Veigl glänzt Helmut Fischer als sein Kollege Lenz. Fischer, der später vor allem durch seine Rolle als „Monaco Franze“ Berühmtheit erlangte, verkörpert hier bereits jenen Münchner Charme, der ihn zum Publikumsliebling machen sollte.

Bei der Erstausstrahlung am 2. Januar 1977 im Ersten Programm der ARD erreichte der Film einen sensationellen Marktanteil von 68 Prozent – ein Wert, von dem heutige TV-Produktionen nur träumen können. Besonders bemerkenswert war die Darstellung Münchens jenseits der Postkartenmotive: Der Film zeigt sowohl die mondäne Lokalszene Schwabings als auch die einfacheren Viertel am Stadtrand und vermittelt so ein authentisches Bild des München der 1970er Jahre.

Nach der Ausstrahlung kursierten unter Zuschauern Diskussionen über die psychologisch komplexe Täterfigur, die letztlich nicht aus klassischen kriminellen Motiven handelte, sondern aus einer tiefen emotionalen Verletzung heraus. Diese ungewöhnliche Auflösung machte den Fall zu einem besonders erinnerungswürdigen der frühen Tatort-Ära.

Besetzung

Enrico Riedel – Werner Asam
Baby/Babette Götz – Sissy Höfferer
Barbara – Ulli Günther
Brettschneider – Willi Harlander
Diskothek-Inhaber – Hans Zander
Frau Dr. Hildegard Förster – Karin Hübner
Frau Roon – Else Quecke
Kay – Katharina Seyferth
Kriminaldirektor Härtinger – Hans Baur
Kriminalhauptkommissar Veigl – Gustl Bayrhammer
Lenz – Helmut Fischer
Ludwig Obermeier – Wolfgang Fischer
Ruby – Michael Degen
Schubart – Otto Bolesch
Sophie Riedel – Ruth Drexel
Stucki – Helen Vita
Swetie, Rubys Tochter – Carline Seiser

Stab

Kamera – Gero Erhardt
Kostüme – Jörg Trees
Musik – Siegfried Schwab
Produktionsleitung – Roland Weese
Schnitt – Rosemarie Boemelburg
Szenenbild – Jürgen Karsch