Kurz und knapp – darum geht’s
Ein verstörendes Bild bietet sich im Konzertsaal von Kiel: Die Leiche einer jungen Pianistin liegt sorgsam drapiert am Flügel – einbalsamiert wie ein Kunstwerk. Kurz darauf wird ein ehemaliger Schachmeister auf ähnliche Weise präpariert aufgefunden. Hauptkommissar Klaus Borowski und sein Team erkennen schnell das Muster: Der Täter wählt talentierte Menschen, die durch Krankheit an der Ausübung ihrer Begabung gehindert werden. Als plötzlich der hochbegabte siebenjährige Björn verschwindet, beginnt ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit. Doch während Borowski dem selbsternannten „Erlöser“ auf der Spur ist, ahnt er nicht, dass er selbst in eine tödliche Falle gerät… Wie alles ausgeht, ist am 10. Oktober 2004 um 20:15 Uhr im Ersten zu sehen.
Inhalt der Tatort-Folge „Stirb und werde“
Die Herbstsonne taucht den Konzertsaal in ein trügerisch warmes Licht, als eine Gruppe Musikschüler die Bühne betritt und erstarrt. Wie eine schlafende Schönheit liegt die 17-jährige Rita Köhler am Konzertflügel – reglos, blass, perfekt. Zu perfekt. Hauptkommissar Klaus Borowski reibt sich die schmerzende Brust, während er den Tatort inspiziert. Die Schmerzen, die ihn seit Wochen plagen, werden nicht besser. Doch die Kopfschmerzen verursacht ihm diese unnatürliche Inszenierung: Keine Spuren von Gewalt, dennoch ist Rita tot – und ihr Körper wurde fachmännisch konserviert.
Die Schwester des Opfers vermutet Selbstmord. Die begabte Pianistin hatte bereits zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Doch der Rechtsmediziner findet Betäubungsmittel und Formaldehyd im Blut der Toten. Jemand wollte den Teenager für die Ewigkeit bewahren. Als am nächsten Tag die präparierte Leiche von Karl Hahnemann, einem Heimbewohner und einstigen Schachgenie, entdeckt wird, ist Borowski alarmiert: „Wir haben es mit einem Psychopathen zu tun.“
Während Polizeipsychologin Frieda Jung versucht, ein Profil des Täters zu erstellen, stößt Borowski an seine eigenen Grenzen. Seine Tochter Clara ist extra nach Kiel gekommen, doch als sie erfährt, dass ihr Vater den gemeinsamen Urlaub absagen muss, steigt sie wortlos wieder in den Zug. Die Herzschmerzen nehmen zu, und Jung folgt ihm auf Schritt und Tritt, um ein psychologisches Gutachten über ihn zu erstellen. „Mir geht’s gut“, knurrt Borowski, doch seine Augenringe sprechen eine andere Sprache.
Der dritte Fund – ein querschnittsgelähmter ehemaliger Spitzenschwimmer – bringt die Erkenntnis: Der Täter wählt Menschen mit außergewöhnlichem Talent, die durch Krankheit oder Behinderung an der Ausübung ihrer Begabung gehindert werden. Borowski und sein Kollege Alim Zainalow tappen dennoch im Dunkeln wie Blinde in einem Labyrinth aus Motiven und Symbolik. Die Suche nach dem Täter gleicht dem verzweifelten Versuch, Wasser mit bloßen Händen zu fassen.
Als plötzlich der siebenjährige Björn Jacobs verschwindet, der trotz Muskeldystrophie über einen brillanten Verstand verfügt, läuft die Uhr unbarmherzig. Straßensperren werden errichtet, die Medien eingeschaltet. „Ein Tag ohne seine Medikamente, und der Junge ist in Lebensgefahr“, warnt der behandelnde Arzt. Borowskis Team arbeitet fieberhaft, als sich der Täter plötzlich mit einer Videobotschaft meldet: „Ich bin kein Monster. Ich bin der Erlöser. Jetzt sind sie das, was sie immer sein wollten.“
Bei der Kunstakademie werden die Ermittler fündig: Stefan Gärtner, ein ehemaliger Student, der bereits vor zwanzig Jahren in der Dänischen Festung Leichen fotografiert und kunstvoll balsamiert hatte. Als sie seine Werkstatt mit Spuren von Blut und Formaldehyd entdecken, wissen sie, dass sie dem Täter dicht auf den Fersen sind. Doch wo hält er den Jungen gefangen? Borowski greift zu einer List, um Gärtner aus der Reserve zu locken. Während er den Mörder in ein psychologisches Gespräch verwickelt, beschleunigt er dessen Wagen plötzlich auf das Wasser zu, bis die Todesangst den Täter zum Reden bringt…
Hinter den Kulissen
„Stirb und werde“ ist der dritte Fall für den Kieler Ermittler Klaus Borowski, gespielt vom gebürtigen Kieler Axel Milberg. Der NDR-Tatort wurde vom 2. März bis zum 1. April 2004 in Kiel und Umgebung gedreht und feierte am 10. Oktober 2004 seine TV-Premiere. Unter der Regie von Claudia Garde entstand nach einem Drehbuch von Orkun Ertener ein packender Thriller, der als Whydunit beginnt und sich zum dramatischen Wettlauf gegen die Zeit entwickelt.
Neben Milberg überzeugen vor allem Matthias Brandt – der jüngste Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt – als messianischer Serienmörder und Maren Eggert als Polizeipsychologin Frieda Jung. Mit dem spannungsgeladenen Duell zwischen Borowski und seinem Gegenspieler Gärtner legte Regisseurin Garde den Grundstein für die später so charakteristischen psychologischen Zweikämpfe in der Kieler Tatort-Reihe.
Die erste Ausstrahlung des Films sahen 8,85 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von beachtlichen 24,9 Prozent entsprach. Kritiker lobten besonders die dichte Atmosphäre und die überzeugenden schauspielerischen Leistungen, bemängelten jedoch teilweise die etwas konstruierte Handlung. Dennoch gilt „Stirb und werde“ heute als einer der Meilensteine in der Entwicklung des Charakters Borowski, dessen seelische und körperliche Verwundbarkeit hier erstmals deutlich zutage tritt.
Frieda Jung wie immer ein Highlight !!!
Frieda Jung, wie gut, dass es sie gibt! Diese Folge fand ich besonders gut: Köstliche Details (Jung lässt den direkt vor ihr sitzenden Borowski bei ihr anrufen usw.), aber vor allem gutes Drehbuch und fabelhafte Hauptdarsteller.
Man merkt, wie es knistert zwischen den beiden … es ist doch immer klasse, wenn eine Lovestory im Hintergrund mitläuft! Und dann diese großartig gespielt Schlußszene, in der die beiden umeinander herumschwänzeln. Die Mimik dabei – das lohnt den ganzen Film.
Das Beste an „Borowski & Jung“ ist für mich aber: Es prallen dort die Welten der „weiblich-emotionalen“ Polizeipsychologin und des „männlich-harten“ Ermittlers aufeinander, aber o Wunder – das Drehbuch spricht sich nicht einseitig für „das Fürsorglich-Emotionale“ und gegen „das Männlich-Ehrgeizige“ usw. aus, wie es im Zeitalter des inflationierten Feminismus das Normale ist. Nein, man sieht vielmehr, dass es sich dabei gar nicht um ein Gegensatzpaar handelt – zum Beispiel sieht man es daran, dass die beiden in ihrer Zusammenarbeit immer wieder „die Kurve zueinander kriegen“, und dass keiner den Arbeitsstil des anderen einfach verteufelt. Da werden KOMPROMISSE eingegangen, manchmal schimpfend und fluchend – und was kommt dabei heraus? Erstens: Es funktioniert. BEIDE profitieren letztlich davon. Und zweitens: Es knistert zwischen ihnen – UND ZWAR GENAU DESHALB, weil sie sich fetzen und dann doch Kompromisse schließen.
Man vergleiche das mit Saalfeld und Keppler: Klare, starre Fronten – sie in allem überlegen, er der empathiebehinderte „typische Mann“, der sich dafür regelmäßig in den Senkel stellen lassen muss und von ihr ein mitleidiges Grinsen geschenkt bekommt, wenn er sich mal wieder angepasst hat und eingesehen hat, dass er allgemeinmenschlich einfach hoffnungslos hinterherhinkt. (War wohl auch der Scheidungsgrund der beiden, würde ich mal vermuten …)
Also: Mit dem Drehbuch steht und fällt alles. Großes Lob an Orkun Ertener!
Der Tatort mit der Nummer 574 aus Kiel mit Jung – sie Kriminalpsychologin – und Borowski – er Hauptkommissar – ist ein klassischer Thriller aus dem Jahr 2004 und präsentiert neben sorgsam präparierte Leichen auch kriminalistische Spannung, weder langatmig noch kompliziert. Muss man gücken. Ehrlich.
Der ist genial. Ich freue mich sehr, dass der mal wieder läuft. Das damalige Team hat mir auch sehr gefallen.
Schönheitsmakel: Die Schachfiguren sind falsch aufgestellt. Die bekannte Regel „Weiße Dame, weißes Feld“ wird verletzt.
Abgesehen von den wenigen hier beschriebenen Schwächen ein ungemein spannender und sehenswerter dritter Borowski-Fall.
Eine aktualisierte interessante Variante zum Geschehen in der Tatort Folge 1285 „Fährmann“ (2024), sh.
tatort-fans.de/tatort-folge-1285-faehrmann/