Kurz und knapp – darum geht’s

In einem Waldstück bei Rostock wird eine junge Tierschutzaktivistin brutal ermordet aufgefunden. Schnell gerät Milan Greuner, ein zurückgezogener junger Mann, der mit seiner Mutter am Waldrand lebt, in den Fokus der Ermittlungen. Milan ist Sohn eines berüchtigten Vergewaltigers und Serienmörders – ein Stigma, das seit seiner Geburt wie ein dunkler Schatten auf ihm lastet. Während die Kommissarinnen Katrin König und Melly Böwe den Fall untersuchen, wird die Frage immer drängender: Ist das Böse vererbbar? Als die Ermittlerinnen einem unerwarteten Hinweis nachgehen, geraten sie in ein gefährliches Spiel, in dem nichts so ist, wie es scheint…

Inhalt der Polizeiruf-Folge „Böse geboren“

Unruhig durchstreift Milan Greuner den nebelverhangenen Wald am Stadtrand von Rostock. Das gedämpfte Licht der Morgendämmerung fällt durch die Baumkronen, während seine Schritte auf dem feuchten Waldboden kaum ein Geräusch verursachen. Der junge Mann bewegt sich wie ein scheues Tier durch sein natürliches Habitat – wachsam, zurückgezogen und immer auf der Hut. Im Wald findet er tote Tiere, die von Jägern zurückgelassen wurden, und begräbt sie pietätvoll – eine stille Zeremonie, die ihm mehr Trost spendet als jeder menschliche Kontakt.

In dem kleinen Haus am Waldrand bereitet Eva Greuner routiniert den nächsten Räucherfisch vor. Ihre Hände arbeiten präzise und mechanisch, während ihr Blick immer wieder zum Fenster wandert. Die Beziehung zu ihrem Sohn gleicht einem brüchigen Eis – eine Oberfläche voll unausgesprochener Ängste und Zweifel. „Wo warst du?“, fragt sie, als Milan endlich zurückkehrt, doch da ist kein echtes Interesse in ihrer Stimme, nur Misstrauen. Die tragische Ironie ihres Zusammenlebens: Sie hat sich bewusst für dieses Kind entschieden, kann aber die Schatten der Vergangenheit nicht abschütteln. Je mehr sie Milan beobachtet, desto mehr glaubt sie, seinen Vater in ihm zu erkennen – einen Mann, der ihr Leben einst in einem Akt brutaler Gewalt zerstörte.

Im Polizeipräsidium Rostock wird Profilerin Katrin König von einer unerwarteten Besucherin überrascht: Rose, die Tochter ihrer Kollegin Melly Böwe, steht plötzlich vor ihr und will Antworten über ihren Vater. „Meine Mutter erzählt mir nichts. Aber ich habe ein Recht darauf zu wissen“, sagt die junge Frau mit einer Entschlossenheit, die König zwar anerkennt, aber auch als unangenehme Störung empfindet. Der Besuch weckt bei König eigene schmerzhafte Erinnerungen an ihre komplizierte Vaterbeziehung.

Die Ermittlungen im Mordfall der Tierschützerin Sarah Volkmann führen die Kommissarinnen zunächst zur Familie Cobalt. Die Försterin Julia Cobalt und ihr Ehemann repräsentieren nach außen eine makellose Familie – ihr Sohn Paul wirkt wie der Inbegriff des Musterschülers. Doch wie ein falscher Ton in einer harmonischen Melodie spüren die Ermittlerinnen, dass etwas nicht stimmt. „Jäger und Tierschützer liegen sich hier seit Jahren in den Haaren“, erklärt Julia Cobalt nüchtern, während ihr Blick kühl und distanziert bleibt. Die Spannung in diesem Haus ist wie ein unsichtbarer Nebel, der jeden Raum durchdringt.

Bald wird Milan Greuner zum Hauptverdächtigen. Seine Sammlung leerer Patronenhülsen, die er bei toten Tieren im Wald gefunden und in einem Einmachglas aufbewahrt hat, erscheint den Ermittlerinnen wie die Trophäensammlung eines Serienkillers. Paul Cobalt, der einzige, der gelegentlich Milans Nähe sucht, scheint von Milans düsterer Familiengeschichte fasziniert. „Dein Vater war ein Monster, oder?“, fragt er mit kaum verhohlenem Interesse, während Milan schweigt und sich noch tiefer in seine Isolation zurückzieht.

Als König und Böwe Eva Greuner befragen, entfaltet sich eine Szene von erschütternder Intensität. „Ich traue meinem eigenen Sohn nicht“, gesteht Eva mit bebender Stimme. „Manchmal sehe ich seinen Vater in ihm… in seinem Blick.“ Milan, der das Gespräch heimlich mithört, erstarrt. Der Moment gleicht einer zersplitternden Glasscheibe – unwiderruflich zerbricht etwas zwischen Mutter und Sohn. Die Fahndung nach dem Mörder gleicht nun der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen – zwischen militanten Tierschützern, Wilderern und einer Familie, in der jeder seine eigenen Geheimnisse hütet.

Auf der Polizeiwache gesteht Milan schließlich die Tat – ein Geständnis, das wie ein verzweifelter Ausbruch aus dem Gefängnis seiner Existenz wirkt. Doch während der Befragung offenbart Melly Böwe plötzlich ein schockierendes Geheimnis: Auch ihre Tochter Rose ist das Ergebnis einer Vergewaltigung. Anders als Eva Greuner hat sie jedoch nie an der Güte ihrer Tochter gezweifelt. „Das Böse wird nicht vererbt“, sagt sie mit einer Überzeugung, die jeden im Raum zum Schweigen bringt. Diese überraschende Enthüllung wirft ein völlig neues Licht auf den Fall und führt die Ermittlerinnen zu einer Erkenntnis, die sie tief ins Herz der Cobalts führt – dort, wo hinter der perfekten Fassade die wahren Abgründe lauern…

Hinter den Kulissen

„Polizeiruf 110: Böse geboren“ ist der fünfte gemeinsame Fall des Ermittlerduos Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Melly Böwe (Lina Beckmann). Die Dreharbeiten fanden vom 6. März bis zum 4. April 2023 in Hamburg und Umgebung statt. Die 89-minütige Produktion wurde von der Filmpool fiction GmbH im Auftrag des Norddeutschen Rundfunks für Das Erste realisiert.

In diesem psychologisch vielschichtigen Kriminalfilm brilliert Eloi Christ in der Rolle des traumatisierten Milan Greuner. Für die Regiearbeit zeichnet Alexander Dierbach verantwortlich, der mit seiner Handkameraführung und dem Verzicht auf statische Einstellungen eine beklemmende Atmosphäre der permanenten Anspannung erzeugt. Das Drehbuch stammt aus der Feder von Elke Schuch und Catharina Junk, die den zentralen Mutter-Sohn-Konflikt in den Mittelpunkt stellen und die Frage nach den Wurzeln des Bösen aufwerfen.

Nach der Erstausstrahlung am Sonntag, den 8. Oktober 2023, um 20:15 Uhr im Ersten, löste der Film eine intensive Debatte über die psychologischen Folgen unverarbeiteter Traumata aus. Mit 7,9 Millionen Zuschauern erreichte die Folge einen beachtlichen Marktanteil von 27,3 Prozent. Kritiker lobten besonders die nuancierte Darstellung komplexer familiärer Beziehungen und die mutige Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt und ihrer Vererbbarkeit.

Eine interessante Randnotiz: Nach der Ausstrahlung kursierten in den sozialen Medien zahlreiche Theorien darüber, ob der Fall von realen Ereignissen inspiriert wurde. Die Drehbuchautorinnen bestätigten jedoch in Interviews, dass die Geschichte fiktiv sei und vielmehr universelle Fragen über Schuld, Verantwortung und familiäre Prägung thematisiere.