Kurz und knapp – darum geht’s
Claudia Bernhold ist schockiert: Ihr ermordeter Ehemann war ein Erpresser! Plötzlich versteht sie, wie sich das Paar trotz bescheidener Einkünfte eine Villa und einen luxuriösen Lebensstil leisten konnte. Gemeinsam mit ihrer gelähmten Schwester Ingeborg erforscht die Witwe die kriminellen Machenschaften ihres Gatten – und steigert sich dabei immer mehr in dessen Rolle hinein. Als Kommissar Haferkamp dem wohlhabenden Geschäftsmann Eckart Waarst auf die Spur kommt, ahnt er noch nicht, welch dunkles Geheimnis dieser zu verbergen sucht …
Inhalt der Tatort-Folge „Spätlese“
Statt mit dem Fund einer Leiche beginnt dieser ungewöhnliche Tatort mit der Überbringung einer Todesnachricht. Kommissar Haferkamp steht vor der Haustür von Claudia Bernhold, einer ätherischen rothaarigen Frau mit großen blauen Augen, die bei der Nachricht vom Tod ihres Mannes Paul zusammenbricht. Die zarte Claudia wirkt überfordert von der Situation – doch Haferkamp lässt sich von ihrer Fragilität nicht täuschen. Irgendetwas an ihrem Verhalten kommt ihm merkwürdig vor.
Während der erfahrene Essener Ermittler seine Verdächtigungen hegt, macht Claudia eine erschütternde Entdeckung: In den Unterlagen ihres Mannes findet sie nicht nur eine beträchtliche Summe Bargeld, sondern auch Dokumente, die darauf hindeuten, dass Paul ein Erpresser war. Plötzlich ergibt alles einen Sinn – die Villa, der teure Lebensstil, obwohl beide nur bescheidene Einkünfte hatten. Gemeinsam mit ihrer im Rollstuhl sitzenden Schwester Ingeborg beginnt Claudia, den kriminellen Spuren ihres Mannes zu folgen.
Haferkamp beobachtet die Witwe misstrauisch. Ihr seltsames Verhalten nach dem Mord verstärkt seinen Verdacht, dass sie nicht unschuldig am Tod ihres Gatten sein könnte. Zumal auch der Hausarzt der Familie, Dr. Stolp, verdächtig häufige Besuche bei den Schwestern abstattet – Besuche, die offenkundig nicht nur der medizinischen Betreuung der gelähmten Ingeborg gelten. Stolp, gespielt von dem in Krimiserien der siebziger Jahre omnipräsenten Udo Vioff, echauffiert sich über Haferkamps Unterstellungen.
Die Spur führt Haferkamp zu einer stillgelegten Zeche, wo er eine brisante Entdeckung macht: den wohlhabenden Unternehmer und Stadtrat Eckart Waarst. Was hat dieser angesehene Bürger mit dem Fall zu tun? Und was könnte ihn so erpressbar machen, dass er bereit war, Monat für Monat 5000 Mark zu zahlen? Die Fahndung nach der Wahrheit gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen – besonders, da Waarst hartnäckig schweigt.
Während Haferkamp mit der ihm eigenen bedächtigen, taktisch klugen Vorgehensweise die Fäden entwirrt, gerät Claudia immer tiefer in die Welt ihres toten Mannes hinein. Fast unbemerkt, aber doch irgendwie gewollt, schlüpft sie in dessen Rolle. In den Aktenbergen ungelöster Kriminalfälle der vergangenen Jahre findet der Kommissar schließlich eine Spur – doch noch längst keinen Beweis. Am Ende muss er zu einer raffinierten List greifen, um das Rätsel um Mord und Erpressung zu lösen.
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Spätlese“ ist der zehnte Fall von Kommissar Haferkamp und wurde unter dem Arbeitstitel „Teufelskreis“ vom 11. Januar bis zum 9. Februar 1977 gedreht. Die Außenaufnahmen entstanden in München, Essen und im Ruhrgebiet, während die Studioaufnahmen im Bavaria-Atelier München-Geiselgasteig realisiert wurden. Erstmals ausgestrahlt wurde die 75. Tatort-Folge am 22. Mai 1977 im Ersten Programm der ARD und erreichte einen beachtlichen Marktanteil von 54 Prozent.
Regie führte der kurz zuvor mit dem Deutschen Filmpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnete Wolfgang Staudte, der als einer der wichtigsten deutschen Nachkriegsregisseure gilt. Besonders bekannt wurde er durch sein DEFA-Drama „Die Mörder sind unter uns“ (1946) sowie später durch Werke wie „Rosen für den Staatsanwalt“ (1959). Das Drehbuch stammte von Herbert Lichtenfeld, der im selben Jahr auch das Skript für die berühmte Tatort-Episode „Reifezeugnis“ verfasste und später sämtliche Drehbücher für „Die Schwarzwaldklinik“ schreiben sollte.
Neben Hansjörg Felmy als Haferkamp und Willy Semmelrogge als Assistent Kreutzer wirkten bekannte Schauspielgrößen mit: Andrea Jonasson verkörperte die fragile Claudia Bernhold, Claudia Wedekind spielte die gelähmte Schwester Ingeborg. Wedekind war später, von 1986 bis zu seinem Tod 2007, mit Hansjörg Felmy verheiratet. Alexander Kerst, bekannt aus unzähligen Kinofilmen und TV-Serien, übernahm die Rolle des Geschäftsmannes Waarst.
Bemerkenswert ist die extravagante musikalische Untermalung der Folge: Statt der üblichen Tatort-Musik erklingen hektische Gitarrenklänge, Bongogetrommel und jazzige Klänge mit vielen Querflöten- und Perkussionselementen, die dem Film eine ganz eigene, manchmal irritierende Atmosphäre verleihen. Wie gewohnt gewährt die Folge auch Einblicke in Haferkamps Privatleben, insbesondere in das liebevolle Geplänkel mit seiner Ex-Frau Ingrid, die zeitweise bei ihm wohnt.
Ach klasse, die alten Tatorte….schon witzig, wie sich die Menschen damals eingerichtet haben und wie sie lebten…
Hehe stimmt! Naja, für mich als eher jüngeres Kaliber natürlich etwas besonderes, aber auch interessant und immer wieder cool so etwas im Fernsehen zu erhaschen!
Kann mir jemand etwas über die sehr passende Hintegrundmusik ( Flöte, Gitarre ) sagen, sie verschafft dem Tatort eine wirklich besondere Atmosphäre.
Baden Powell „it was a wonderfull year“
Das Haus in dem die Familie Bernhold wohnt, war auch Kulisse für mindestens zwei Derrick Folgen in den späten 70er Jahren. Ich finde die Schauspielerische Leistung von Andrea Jonasson beeindruckend.
Der Tatort Nummer 075, heute gesehen und gestaunt. Im damaligen Zeitalter des Papierkriegs und Aktenblättern ein so schneller Erfolg von Hauptkommissar Haferkamp und Hauptmeister Kreutzer. Fest davon überzeugt, in dem Erpressten auch einen Mädchenmörder gefunden zu haben, wird kurzerhand ein Nichtwisser zum Mitwisser gemacht, der ein so fabelhaftes Statement gegenüber dem Mordverdächtigen ablegte, daß dieser gleich der Jahre zurück liegenden Tat überführt werden und sich seiner Verhaftung nur durch Suizid per Gifteinnahme entziehen konnte. Aber nicht aus Schuldgefühlen heraus, sondern weil sein gesellschaftliches Leben dem Ende entgegen gegangen wäre. Ein leiser Tatort, mit einem grandiosen Haferkamp, dessen Schlingen und Haken selbst dem aufmerksamen Zuschauer immer wieder anfangs unerkannt blieben. Und der Kreutzer wollte auch noch was beisteuern, schaltete die Dienstapparate der Mordkommission einfach ins Büro des Vorgesetzten. Umwerfend. So konnte der Zweifler und Skeptiker Haferkamp Stück für Stück und äußerst zäh einen Mörder überführen. Mit seiner Taktik war er in den 70ziger Jahren zweifelsohne die Nummer Eins im Tatort. Die zwei Damen mit ihrem akademischen Haushäschen hatten, leider, nur das Frisösen – Niveau geschafft.
Zur Drehortsuche : Die alte Zeche in der Waarst das Lösegeld hinterlegt, und in der Frau Bernhold letztmalig auf die Erpressung, die ihr Mann startete, eingeht ist die ehem. Zeche Pörtingsiepen nahe des Baldeneysees, diese wurde Anfang der 70er Jahre stillgelegt und diente auch in dem Tatort Fortuna III als Drehort, zu Beginn der 80er Jahre wurde die Zechenruiene abgerissen und das Gelände Renaturiert, die Strassenbezeichnung “ Pörtingsiepen “ lässt den Standort noch erahnen, der Feldweg auf dem die Autos der beteiligten abgestellt wurden ist als solcher noch zu befahren.
Tatort Cult Movie top
Schade, schade, schade,
dass die Musik nicht zum Stablisting gehört, und – ob sie separat zu erwerben ist; die „Klaus Schulze – ähnlichen“ Klänge von Percussions und Bassklängen in manchen Passagen hat mich sehr fasziniert –
was haben sich die Macher eigentlich dabei gedacht, das unter den Tisch fallen zu lassen??? – wahrscheinlich nichts …
gruss fjf 29.2.20
Hansjörg Felmy und seine spätere Ehefrau Claudia Wedekind in einem gemeinsamen Film, jedoch mit kaum gemeinsamen Szenen. Dass eine Frau Waarst bei einer solchen Tat in Wirklichkeit zu ihrem Gatten halten würde, ist unglaublich bis unrealistisch. Trotzdem: gute Ideen und ebenso gut gespielt – der war super.
„TATORT“(e) mit Hansjörg Felmy…! – Selbst im Umfeld von Essen wohnend, genieße ich jedes Mal dieses Zeitkolorit; damals – heute.
Ich hatte (durchaus ernsthaft und zeitintensiv) versucht, „Drehorte“ von Damals wiederzufinden, jedoch leider ohne Erfolg. – Natürlich ist mit klar, dass seit diesen Folgen inzwischen rund 50 Jahre vergangen sind, und sich Vieles – eigentlich Alles! – TOTAL verändert hat. „Thomann“ danke ich diesbezüglich sehr für seinen Beitrag vom 17.11.16! – Kann irgend Jemand sonst noch ähnliche Angaben zu den Drehorten der Felmy-TATORTe im Großraum Essen machen; wo sie waren, und wo sie vielleicht heute noch zu finden sind?
Der WDR (Danke dafür!) hatte am 24.08.21 die Folge „Spätlese“ wiederholt. In einer Szene sitzen dabei „Haferkamp und Kreutzer“ in ihrem Dienstwagen, und über ihnen ist recht lange die Beschilderung B223 Mülheim an der Ruhr (Zentrum, Stadion), und links ab zur A42 nach Dortmund, Essen, rechts ab zu A42 nach Duisburg, Köln, zu sehen. Ziemlich sofort danach fahren sie rechts ab auf einer deutlich abschüssige Straße und auf ein großes Gebäude zu, auf dem ich nur „…(?) Fassaden“ erkennen konnte. „Leicht“ – so dachte ich -, diesen Ort aufgrund der (o. g.) Beschilderung und des Straßenverlaufs, der Topografie, wiederzufinden… – „Pustekuchen“! – Und das ging mir nicht nur bei „Spätlese“, oder bei „Zweikampf“, so. Bislang einzig bei „Der Feinkosthändler“ bin ich bezüglich der genauen Drehorte so weit gekommen, dass „von damals“ kein einziger Stein mehr auf dem anderen steht, und es heute wirklich Nichts (!) mehr von dem gibt, was in diesen Filmen noch zu sehen war.
Mein fotografisches Interesse ist (über Felmy-TATORTe hinaus) das Wiederfinden von Damals, und der Vergleich zu heute. Bei z B. Bahnhöfen, Eisenbahnstrecken, Tunneln, Kirchen, ist mir das glaube ich bislang ganz gut gelungen. Fast schockiert bin ich allerdings darüber, dass sich in meiner näheren Umgebung eigentlich fast gar nichts mehr dazu wiederfinden lässt. – Von daher meine Bitte um Information, um wenigstens noch ETWAS wiederzufinden.
Vielen Dank!
Die Szenen, wo die beiden Kommissare im Auto sitzen und zur Arbeitsstelle von Waarst fahren bzw. ihm folgen spielen an der Abfahrt Grafenbusch am Anfang der A516 in Oberhausen in Fahrtrichtung Arnheim.
Die Kommissare fahren von der Abfahrt runter Richtung Bottroper Str./Kanalstr.
Dort wurde auch schon eine Szene im 2.Haferkamp-Tatort „Schussfahrt“ gedreht.
Musikintro: It was a very GoodNotes year gesungen von Frank Sinatra
Der Tatort-Klassiker schlecht hin mit der Nummer 075 und aus der Archiv-Kiste des Westdeutschen Rundfunks. Im Jahre 1977 wurde der gedreht, damals als ich Zivil gegen Univil tauschen musste, das Land nur noch durch Genehmigung länger verlassen durfte, einschließlich West-Berlin, der Landesverteidigung wegen. Heute kommen andere, durchtrainierter als wir damals, alles Verfolgte.
Die Meinung vom 22.04.2015 halte ich.