Tatort Folge 292: Singvogel

Kurz und knapp – darum geht’s

Im Hamburger Hafengelände wird die Leiche von Inge Holland entdeckt, Ehefrau eines wegen Bankraubs inhaftierten Straftäters, dessen Millionenbeute nie gefunden wurde. Die Kommissare Stoever und Brockmöller vermuten, dass der Mörder es auf das versteckte Geld abgesehen hat und nehmen die Ermittlungen auf, die sie direkt ins Gefängnis führen. Als Hauptverdächtiger gilt der gerade entlassene Häftling Ronny Schneider, der vom Gefängnis aus alles zu kontrollieren scheint. Als die Ermittler einen verdeckten Ermittler ins Gefängnis einschleusen, gerät dieser in tödliche Gefahr…

Inhalt der Tatort-Folge „Singvogel“

Genervt schiebt Hauptkommissar Paul Stoever Umzugskartons durch seine neue Wohnung, während sein Kollege Brockmöller sich geschickt vor der Hilfe drückt. „Ich komme erst, wenn die Möbel zusammengeschraubt sind“, vertröstet er seinen Partner. Doch das Telefon klingelt und reißt die beiden Hamburger Ermittler aus ihrer vertrauten Routine. Im grauen, nebelumwogenen Hafengelände erwartet sie ein grausiger Fund – die Leiche von Inge Holland.

Die dunklen Silhouetten der Containerschiffe ragen wie stumme Zeugen in den bleiernden Himmel, während der kalte Wind vom Wasser herüberweht. Stoever, ein Mann mit scharfem Verstand aber wenig Geduld für Bürokratie, wirkt besonders angespannt. Seinen Kollegen Brockmöller scheint der Vorfall weniger aus der Fassung zu bringen – er ist der ruhigere Part des eingespielten Duos, das zwischen beruflicher Professionalität und persönlicher Freundschaft pendelt.

Die Spur führt direkt in die Justizvollzugsanstalt, wo Harald Holland, der Ehemann des Opfers, seine Strafe für einen Banküberfall absitzt. „Die Millionen hat bis heute keiner gefunden“, erklärt der zuständige Wärter mit einem wissenden Blick. Die Nachricht vom Tod seiner Frau trifft Holland sichtlich schwer, zumal sie ihn am Vortag noch besucht hatte. In den kalten Betonmauern des Gefängnisses, durch deren schmale Fenster nur spärliches Licht dringt, wird schnell klar: Hier herrschen eigene Gesetze.

„Wenn Sie mir nicht helfen, bin ich der Nächste“, flüstert Holland den Kommissaren zu, die Angst in seinen Augen ist nicht zu übersehen. Der Gefangene traut sich nicht, konkrete Namen zu nennen, aber sein Blick verrät alles, als Ronny Schneider, der selbsternannte „König“ des Gefängnisses, an ihnen vorbeigeht. Die Verlegung, um die Holland so verzweifelt bittet, wird von der Gefängnisleitung abgelehnt. Stoever kocht vor Wut über solche bürokratischen Hürden, während Brockmöller vermittelnd eingreift – ein Tanz, den die beiden Ermittler oft aufführen.

Die Ermittlungen gleichen einem Wettlauf gegen die Zeit. Die Gefängnismauern wirken wie ein undurchdringliches Labyrinth, in dem Stoever und Brockmöller nach Antworten suchen. Als Ronny überraschend entlassen wird, nimmt der Fall eine unerwartete Wendung. Draußen wartet seine Freundin Jeanette auf ihn – eine Frau mit verzweifelten Augen, die mehr weiß, als sie zugibt.

Der Sozialarbeiter Herbert Tiefenthal, ein Mann mit zwiespältiger Moral, kümmert sich offiziell um die Belange von Strafgefangenen. Doch seine Fürsorge scheint über das berufliche Maß hinauszugehen, besonders wenn es um die Ehefrauen der Inhaftierten geht. „Ich helfe nur Menschen in Not“, verteidigt er sich gegenüber Stoever, dessen Misstrauen mit jedem Wort wächst.

In einem letzten verzweifelten Versuch, den Fall zu lösen, entschließt sich Stoever zu einem riskanten Schritt: Er schleust seinen jungen Kollegen Lukas Thorwald als verdeckten Ermittler ins Gefängnis ein. Die Atmosphäre dort ist angespannt wie die Ruhe vor dem Sturm. Neu ist jetzt Rambo Hergeth der „King“ im Knast – ein Mann, dessen brutales Lächeln nichts Gutes verheißt. Als Thorwalds Tarnung zu fliegen droht, läuft die Zeit für die Ermittler ab…

Hinter den Kulissen

Die Tatort-Folge „Singvogel“ ist der 22. Fall für Kriminalhauptkommissar Paul Stoever (Manfred Krug) und der 19. Fall für seinen Kollegen Peter Brockmöller (Charles Brauer). Der vom Norddeutschen Rundfunk produzierte Film wurde am 23. Mai 1994 erstmals im Ersten ausgestrahlt und stellt die Tatort-Folge 292 dar.

Unter der Regie von Michael Knof („Jugend ohne Gott“) und nach einem Drehbuch von Willi Voss entstand ein Gefängnisdrama, das mit hochkarätigen Schauspielern besetzt wurde. Neben dem charismatischen Ermittlerduo brillieren Rüdiger Vogler als Sozialarbeiter Tiefenthal, Claude-Oliver Rudolph als brutaler Gefängnisinsasse Rambo Hergeth und Claudia Messner als Jeanette Heuer. Hans Kremer verkörpert den zwielichtigen Ronny Schneider und Mark Keller ist als junger Kollege Lukas Thorwald zu sehen.

Bei seiner Erstausstrahlung erreichte „Singvogel“ beachtliche 8,82 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 28,60 Prozent entsprach. Die Folge sorgte allerdings nicht nur wegen ihrer Einschaltquote für Aufsehen: Nach der Erstausstrahlung kritisierte die Jugendschutzbehörde die freizügigen Szenen, bei denen der Genitalbereich der Häftlinge zu sehen war, als ungeeignet für die Sendezeit um 20:15 Uhr.

Die realistische Darstellung des deutschen Justizvollzugs in „Singvogel“ löste zudem eine hitzige gesellschaftliche Debatte aus, die später sogar zu Reformen im Strafvollzug beitrug. Während die Kritiker der Fernsehzeitschrift TV Spielfilm den „gut besetzten Knastkrimi“ für sein „gutes Ensemble“ lobten und lediglich „die versteckte Law-and-Order-Moral“ bemängelten, fand Rainer Tittelbach von tittelbach.tv den Krimi „zu holzschnittartig“, mit „90 Minuten Klischees in Story und Besetzung“ – ein Film, der für Nostalgiker dennoch „einen gewissen Reiz“ habe.

Videos zur Produktion

ARD Plus Trailer


Besetzung

Hauptkommissar Stoever – Manfred Krug
Kommissar Brockmöller – Charles Brauer
Lydia Tiefenthal – Elisabeth Schwarz
Herbert Tiefenthal – Rüdiger Vogler
Jeanette Heuer – Claudia Messner
Hergeth – Claude-Oliver Rudolph
Thorsten Tiefenthal – Florian Lukas
Hennes – Hans-Dieter Brückner
Polizeiinspektor – Thomas Neumann
Gefängnisdirektor – Klaus Piontek
Pitter – Rolf Peter Kahl
Ronny – Hans Kremer
Harald Holland – Günter Junghans

Stab

Regie – Michael Knof
Kamera – Klaus Brix
Buch – Willi Voss
Szenenbild – Hans Zillmann

Bilder: NDR

10 Kommentare

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  1. vor 12 Jahren

    Wie immer: Stoever und Brockmöller in Hochform, leider ohne musikalische Einlage.

  2. vor 11 Jahren

    Die Tatorte mit Stoever u.Brockmüller waren immer noch eine von den besten.Was momentan an Tatorten gesendet wird ist halt nur Schrott.

  3. vor 10 Jahren

    Der Tatort 292 aus Hamburg. Die beiden Hauptkommissare Stoever und Brockmöller ermitteln in und außerhalb einer Justizvollzugsanstalt. Es geht um die Morde an einem Ehepaar sowie einer als Lockvogel eingesetzten Prostituierten. Vorweg: Alle drei Morde wurden von unterschiedlichen Tätern begangen, hatten aber, unfreiwillig, einen gemeinsamen Bezug. Tragische Figuren halt, vom Leben angeschissen. Die Gleichgültigkeit des personellen Umfeldes erschreckend. Es ging um eine Millionen Deutsche Mark, 1.000.000,–DM, und um dicke Lippen. Die beiden Hauptkommissare lassen nicht locker, überbieten sich gegenseitig in Kalkulation und Kombination und schlagen die Täter matt. Nun sind die anderen Figuren platt. Ehrlich.

  4. vor 8 Jahren

    Nicht der beste Stoever dennoch gut. Das liegt natürlich mal wieder am sympathischen Duo Stoever und Brockmöller. Der Rudolph läuft hier nackig durchs Bild haha. 3.6 Sterne

  5. vor 8 Jahren

    Klasse Knastszenen und auch sonst nicht schlecht, doch der moralisch schwache Herr Tiefenthal und sein drogensüchtiger Sohn verderben einem die Laune.

  6. vor 6 Jahren

    Vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen und auch heute finde ich diesen Tatort sehr unterhaltsam deshalb 4 Sterne

  7. vor 11 Monaten

    Ein Tag für Ornithologen: auf die Stoever-Folge „Lockvögel“ folgt heute also die Stoever-Folge „Singvogel“. Der Einfallsreichtum der Titelgeber damals passt sich den heutigen Sommer-Temperaturen an. Wir wollen gar nicht weiterdenken, welche Titel man noch mit dem Bestandteil „vögel“ basteln könnte … ;-)

  8. vor 11 Monaten

    Wobei ich den «Singvogel» vorziehe, den sah man letztmals vor 10 Jahren – die «Lockvögel» lockten bereits 2021.

  9. vor 11 Monaten

    Angeregt von den etwas altbackenen Titeln schaute ich gestern in die beiden Vogel-Folgen (in welcher die 2. als ‚Vögel-Folge‘ begann) und stellte nach vieljähriger Abstinenz dieses Teams fest, dass die beiden Kommissare und die zugehörigen Dialoge weiterhin nicht ‚mein Terrain‘ sind.
    (Für meinen persönlichen Geschmack wirken beide sehr ’spießig‘!)

  10. vor 11 Monaten

    @ tanzmaus • am 23.9.13 um 8:48 Uhr
    „… leider ohne musikalische Einlage“
    … die die beiden späteren „Swinging Cops“ bzw. in diesem Kontext vielleicht ebenfalls ganz zutreffend (i. S. v. Duden/Wikipedia) als „Singvögel“ bezeichnet als ihr ganz besonderes Markenzeichen allerdings erst zwei Jahre nach dieser TO-Episode „Singvogel“ ab der 328. Folge „Tod auf Neuwerk“ (1996) auf Dauer und einzigartig hervorhob.
    Gegenständlichen „Singvogel“ fand ich bereits 1994 sehr gelungen, und das nicht nur wegen der Darstellung des damaligen Justizvollzugs in Deutschlands nebst anschließender Debatte, die zu späteren Reformen beitrug. Bin in dieser Hinsicht insofern ganz einer Meinung mit „tanzmaus“ a. a. O. und Winfried • am 8.11.14 um 21:46 Uhr.

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