Kurz und knapp – darum geht’s
Ein versunkenes Auto im Waldsee, ein toter Pharma-Unternehmer und eine junge Frau mit mysteriösen Blutspuren in ihrer Wohnung – Kommissarin Hanne Wiegand steht vor einem Rätsel, das tief in die Abgründe menschlicher Beziehungen führt. Als sie erfährt, dass die zurückhaltende Ute Bernett Monate zuvor Opfer einer Vergewaltigung wurde und nun ausgerechnet in der Firma ihres mutmaßlichen Peinigers arbeitet, verdichten sich die Indizien. War es Selbstjustiz, Eifersucht oder ein Racheakt der betrogenen Ehefrau? Als Wiegand beginnt, die Wahrheit aufzudecken, gerät sie in einen Strudel aus Lügen, in dem die Grenzen zwischen Täter und Opfer zunehmend verschwimmen… Wie alles ausgeht, zeigt der SWF-Tatort „Täter und Opfer“.
Inhalt der Tatort-Folge „Täter und Opfer“
Durch die nächtlichen Straßen Baden-Badens hallt ein verzweifelter Schrei. Kommissarin Hanne Wiegand betritt mit vorsichtigen Schritten eine Wohnung, in der nichts mehr an seinem Platz zu sein scheint. Die Stille, die nun herrscht, wird nur vom leisen Tropfen einer Flüssigkeit unterbrochen – Blut auf dem Parkett. Als die Bewohnerin Ute Bernett kurz darauf zurückkehrt, begegnet Wiegand einem verschlossenen Gesicht. „Nur Nasenbluten“, erklärt die junge Frau knapp, ihre Augen verraten jedoch eine andere Geschichte. Wiegand spürt instinktiv: Hier verbirgt sich etwas Tieferes, etwas, das die junge Frau nicht preisgeben will.
Die Morgendämmerung taucht den Waldsee in ein unwirkliches Licht. Metallic-blaue Farbe schimmert durch die Wasseroberfläche, ein Auto wurde hier versenkt. Die Bergung offenbart einen grausigen Fund: Jürgen Ruperti, angesehener Inhaber der Pharma-Firma Sanapharm, sitzt leblos am Steuer. Die Spuren am Unfallort erzählen von einem zweiten Insassen, der dem nassen Grab entkommen konnte. Wiegand steht mit ihrem neuen Assistenten Klose am Ufer, während das Wasser vom Wagen tropft wie Tränen einer unerzählten Geschichte.
Die Verbindung zwischen den Fällen tut sich auf wie ein plötzlich aufklaffender Abgrund: Ute Bernett arbeitet bei Sanapharm – und hatte ein halbes Jahr zuvor Anzeige wegen Vergewaltigung gestellt. Eine Anzeige, die sie später widerrief. „Den Vergewaltiger habe ich nie identifizieren können“, behauptet Ute mit brüchiger Stimme gegenüber Wiegand. Doch ein anonymer Brief hatte damals bereits einen Namen genannt: Jürgen Ruperti. Die Ermittlerin sieht die Parallelen, die sich wie ein roter Faden durch die Geschehnisse ziehen. Hat hier ein Opfer zum Täter werden müssen, um Gerechtigkeit zu erfahren?
Rupertis Villa thront über Baden-Baden wie ein steinerner Wächter vergangener Zeiten. Seine Witwe Birgit hält Wiegands forschendem Blick stand. „Mein Mann hatte Feinde, Frau Kommissarin. In seiner Position ist das unvermeidlich.“ Ihr perfekt sitzendes Kostüm kann die Risse in ihrer Fassade nicht ganz verbergen. Die Fahndung nach der Wahrheit gleicht der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen aus Halbwahrheiten und Verschleierungen.
In den klinisch-weißen Fluren von Sanapharm trifft Wiegand auf Geschäftsführer Husemann, dessen fürsorgliche Art gegenüber Ute Bernett seltsam aufdringlich wirkt. Das Büro von Ruperti gleicht einem verlassenen Thron – makellos aufgeräumt, als hätte der Tod hier keinen Platz. „Ruperti war ein brillanter Geschäftsmann“, betont Husemann, während seine Finger nervös auf der polierten Tischplatte trommeln. „Was er privat tat, ging niemanden etwas an.“
Nach zähen Befragungen bricht Utes Schutzwall schließlich ein wie ein Damm, der dem Druck nicht mehr standhält. „Ja, er war es“, gesteht sie unter Tränen. „Ruperti hat mich vergewaltigt. Und dann bot er mir einen Job an, als wäre nichts gewesen.“ Sie hatte die Stelle angenommen – nicht aus Vergebung, sondern um ihrem Peiniger täglich in die Augen sehen zu können. Eine stille Form der Folter, die sie ihm zufügen wollte.
Die Nacht des Mordes entfaltet sich in Fragmenten: Ein Streit in Utes Wohnung, ein verzweifelter Anruf bei Rupertis Ehefrau, ein blutender Schnitt an der Lippe. Doch was geschah danach? Husemann joggte in jener Nacht wie so oft an Utes Fenster vorbei, Birgit Ruperti fuhr ziellos durch die Stadt auf der Suche nach ihrem Mann. Die Wahrheit liegt im Schatten zwischen diesen Bewegungen verborgen.
Als Klose und Wiegand nach einer durchwachten Nacht endlich die Puzzleteile zusammenfügen, zeichnet sich ein Bild ab, das keiner der Beteiligten wahrhaben will. Ein Bild, in dem Täter und Opfer so nah beieinander liegen, dass sie kaum zu unterscheiden sind. Die entscheidende Spur führt sie zurück zum See, wo alles endete – und wo die Wahrheit darauf wartet, ans Licht gehoben zu werden…
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Täter und Opfer“ ist die 158. Folge der beliebten Krimireihe und der vierte Fall für Kriminalhauptkommissarin Hanne Wiegand, verkörpert von Karin Anselm, die mit ihrer nuancierten Darstellung der Ermittlerin überzeugt. In der Rolle der traumatisierten Ute Bernett brilliert die damals noch junge Maja Maranow, die später durch ihre Rolle in „Ein starkes Team“ große Bekanntheit erlangte. Rolf Becker gibt den undurchsichtigen Pharma-Magnaten Jürgen Ruperti.
Gedreht wurde die vom Südwestfunk (SWF) produzierte Folge zwischen dem 15. August und dem 21. September 1983 in Baden-Baden und Umgebung. Die elegante Kurstadt mit ihren historischen Villen und der umgebenden Schwarzwaldlandschaft bildet eine atmosphärische Kulisse für das Krimidrama, in dem die sozialen Kontraste eine wichtige Rolle spielen.
Bei der Erstausstrahlung am 27. Mai 1984 erreichte die Folge beachtliche 15,77 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 43 Prozent entsprach. Die Kritik würdigte besonders die sensible Herangehensweise an das schwierige Thema sexueller Gewalt und die differenzierte Darstellung der psychologischen Folgen für das Opfer – ein für die damalige Zeit durchaus ungewöhnlicher Fokus in einer Krimiserie.
„Täter und Opfer“ gilt heute als eine der Folgen, die den Weg für eine tiefgründigere, gesellschaftskritischere Ausrichtung des Tatorts ebneten. Die Frage nach der Grenze zwischen Täter und Opfer und die moralischen Grauzonen, die der Film auslotet, finden sich in vielen späteren Folgen der Reihe wieder. Insbesondere die Figur der Hanne Wiegand, die als eine der ersten starken weiblichen Ermittlerinnen im deutschen Fernsehen gilt, trug zur Etablierung des Formats bei einem breiteren Publikum bei.
Besetzung
Kommissarin Wiegand – Karin Anselm
Kriminalassistent Klose – Christoph Marius Ohrt
Ute Bernett – Maja Maranow
Günther Husemann – Wolf-Dietrich Sprenger
Jürgen Ruperti – Rolf Becker
Birgit Ruperti – Christiane Lemm
Stab
Drehbuch – Peter Hemmer
Regie – Ilse Hofmann
Kamera – Karl Kases
Szenenbild – Ingo Tögel
Kostüme – Claudia Bobsin
Ton – Gerd Müller
Ton – Harald Lill
Schnitt – Bernd Lorbiecki
Produktionsleitung – Wolfgang Bösken
Produktion – Dietrich Mack
Der Tatort Nummer 158. Nicht der erste Tatort-Spielfilm mit einer Dame als Kommissarin und natürlich auch nicht mehr der letzte. Und die kleine Rattenfängerin wird ja später auch noch Karriere als Hauptkommissarin machen. Eine verschlungene Geschichte, gut inszeniert und mit verkappten Charaktere. Hauptkommissarin Wiegand aus Baden-Baden mußte aufpassen, daß sie den Faden nicht verliert. Aber ihr Assistent der Arbeit war ja nun auch nicht auf den Kopf gefallen. Der Täter, am Ende gestellt, entpuppte sich als ein Firmenangehöriger. Was war aber seine Motivation für die Tötung seines triebgesteuerten Chefs? Neid, Eifersucht, Geltungssucht, Ehrgeiz oder Rache. Uninteressant! Er und nur er war der Täter und der Richter wird entscheiden.
Tierversuche aus erster Hand, da hat man mehr Mitleid mit der vor laufender Kamera „gefolterten“ Ratte, als mit dem menschlichen Opfer. Neben den lächerlichen Zeitgeistfrisuren der Ermittler wirkt Maja Maranow in ihrem Labordress mit Pferdeschwanz einfach zeitlos schön, wäre sie nur im Labor geblieben …
Mit den am Drehtag offenbar topmodischen Klamotten und der Zeitgeisteinrichtung der Wohnung Majas ist man übers Ziel hinausgeschossen und diese Momentaufnahme deutscher Katalogwirklichkeit wirkt heute befremdlich bis lächerlich.
Die Kommissarin Wiegand ist nun wirklich nicht meine Lieblingsfigur aus dem Tatort Universum. Aber wenn man ohne große Erwartungen dran geht, dann wird man mit einem überraschend guten Fall aus den 80er Jahren überrascht. Gut 4 Sterne