Kurz und knapp – darum geht’s
Auf dem Gelände der Deutschen Bundesbahn wird die Leiche eines italienischen Gastarbeiters zwischen den Gleisen gefunden – alles deutet zunächst auf einen tragischen Arbeitsunfall hin. Doch die Gerichtsmedizin stellt fest, dass Francesco Lirati bereits Stunden vor dem angeblichen Unfall gestorben war. Hauptkommissar Veigl stößt bei seinen Ermittlungen im Gastarbeiter-Wohnheim in der Münchner Westendstraße auf eine Mauer des Schweigens unter den italienischen Kollegen des Toten. Als plötzlich einer der Verdächtigen verschwindet und eine Verbindung zu einer Schwarzbaustelle mit gestohlenem Bundesbahn-Material auftaucht, geraten die Ermittler in einen gefährlichen Strudel aus Eifersucht, Rache und Angst…
Inhalt der Tatort-Folge „Der Fall Wohnheim Westendstraße“
Verärgert sitzt Kriminalhauptkommissar Melchior Veigl in seinem Büro, während draußen die Frühlingssonne über München strahlt. Gerade musste er seinen besten Mann Lenz für einen Sondereinsatz gegen Schwarzarbeit abgeben – und das, obwohl der Personalmangel bei der Kripo ohnehin schon drückend ist wie die schwüle Luft vor einem Gewitter. Das dumpfe Läuten des Telefons reißt ihn aus seinen Gedanken: ein Todesfall am Hauptbahnhof.
Die Gleise blitzen im Sonnenlicht, als Kriminalobermeister Brettschneider am Unfallort eintrifft. Der italienische Gastarbeiter Francesco Lirati liegt leblos zwischen den Schienen, neben ihm eine Erdungsstange. Ein Kollege erklärt stockend, Francesco habe wohl beim Erden der Oberleitung einen tödlichen Stromschlag erlitten. Doch die Spuren am Tatort ergeben kein stimmiges Bild – wie ein Puzzle mit fehlenden Teilen. Die Gerichtsmedizin bestätigt Brettschneiders Verdacht: Der Tod trat bereits zehn Stunden vor dem angeblichen Unfall ein.
Für Hauptkommissar Veigl, den eigenwilligen Ermittler mit dem bärbeißigen Charme, ist der Fall wie ein Labyrinth mit vielen falschen Abzweigungen. Im Gastarbeiter-Wohnheim in der Westendstraße stößt er mit seiner versierten Dolmetscherin Welponer auf eine Mauer des Schweigens. Die italienischen Arbeiter – Ernesto, Cesare, Carmelo und Romano – tauschen verstohlene Blicke aus, ihre Antworten klingen einstudiert wie ein auswendig gelerntes Gedicht. Die engen, mit dem Geruch von fremden Gewürzen erfüllten Korridore des Wohnheims scheinen Geheimnisse zu verbergen, die keiner preisgeben will.
„Ein Unfall, nichts als ein tragischer Unfall“, wiederholen die Männer mantraartig. Doch Veigl, dessen Instinkt scharf ist wie das Messer eines Jägers, wittert die Unwahrheit. Die Ermittlungen stocken wie ein festgefahrener Zug, bis der abgestellte Kommissar Lenz einen überraschenden Hinweis liefert: Bei einer Kontrolle auf einer Schwarzbaustelle wurde Material der Deutschen Bundesbahn gefunden. Könnte hier eine Verbindung bestehen?
Die Lage spitzt sich zu, als Ernesto Legrenzi plötzlich verschwindet. Hat er etwas mit Liratis Tod zu tun? Die Spannung zwischen den Gastarbeitern knistert wie Funken an einer defekten Stromleitung. Dazu kommt der türkische Gastarbeiter Murat Bugra, dessen eifersüchtiger Blick der deutschen Kellnerin Eva folgt, die nun mit Ernesto zusammen ist. Als Veigl erfährt, dass Murat in der Nacht von Liratis Tod etwas beobachtet haben könnte, wird die Jagd nach der Wahrheit zu einem Wettlauf gegen die Zeit.
Brettschneider, der sich als Aushilfsarbeiter getarnt auf die Schwarzbaustelle einschleust, entdeckt, dass die italienischen Arbeiter dort Schwarzarbeit leisten. Doch bevor er weitere Beweise sammeln kann, taucht der zwielichtige Vorarbeiter Winninger auf, dessen Augen kalt und berechnend sind wie die eines Raubvogels. Die Ermittlungen gleichen nun einem gefährlichen Balanceakt auf einer schwankenden Brücke, während im Hintergrund die Rädchen einer tödlichen Maschinerie ineinandergreifen…
Hinter den Kulissen
Der Fall „Wohnheim Westendstraße“ ist der 63. Film der Krimireihe Tatort und zugleich der siebte Fall für den beliebten Münchner Kommissar Veigl, verkörpert vom bayerischen Charakterdarsteller Gustl Bayrhammer. Die vom Bayerischen Rundfunk produzierte Episode wurde am 9. Mai 1976 im Ersten Programm der ARD erstausgestrahlt und erreichte eine beeindruckende Einschaltquote von 52 Prozent – mehr als jeder zweite deutsche Fernsehzuschauer verfolgte damals Veigls Ermittlungen.
Das Drehbuch von Herbert Rosendorfer basiert auf dem Hörspiel „Il pantografo“ (dt. „Der Unfall“) des italienischen Autors Luigi Squarzina, das 1958 geschrieben und 1960 im italienischen Rundfunk gesendet wurde. In deutscher Übersetzung erschien das Werk 1972 im Reclam-Verlag.
Neben Gustl Bayrhammer als Kommissar Veigl waren Helmut Fischer als Kriminalhauptmeister Ludwig Lenz und Hartmut Becker als Kriminalobermeister Josef Brettschneider zu sehen. Die Episode spiegelt auch eine bedeutsame Veränderung im deutschen Polizeiwesen wider: Ab dieser Tatort-Folge trugen Veigl und seine Kollegen neue Amtsbezeichnungen, entsprechend der 1975 erfolgten Abschaffung des Einfachen Dienstes in den Länderpolizeien. So wurde aus Kriminaloberinspektor Veigl nun Kriminalhauptkommissar Veigl – eine realistische Darstellung der damaligen Dienstgradreform.
Die Folge „Wohnheim Westendstraße“ gilt unter Tatort-Kennern als wichtiges zeithistorisches Dokument, das die Lebenssituation der Gastarbeiter im Deutschland der 1970er Jahre authentisch porträtiert. Die Szenen im Wohnheim wurden mit besonderem Augenmerk auf realistische Details inszeniert, um die beengten Lebensverhältnisse der ausländischen Arbeiter zu verdeutlichen. Nach der Ausstrahlung löste der Film eine gesellschaftliche Diskussion über die Arbeitsbedingungen und Integration von Gastarbeitern aus.
Besetzung
Kriminalhauptkommissar Veigl – Gustl Bayrhammer
Kriminalmeister Brettschneider – Willi Harlander
Kriminalhauptmeister Lenz – Helmut Fischer
Kriminaldirektor Härtinger – Hans Baur
Ernesto Legrenzi – Renzo Martini
Cesare Dall’Antonio – Piero Gerlini
Alberti – Ugo Fangareggi
Darfù – Carlo Valli
Frau Welponer – Margot Leonard
Eva Krüner – Veronika Fitz
Herr Roßtanner – Toni Berger
Alois Winninger – Karl Obermayr
Bauführer – Jörg Hube
Murad Bugra – Kurt Weinzierl
Anna Lirati – Liliana Nelska-Nisiels
Smaragdakis Agamemnon – Panos Papadopulos
Scheungraber, Hausmeister – Georg Blädel
Putzfrau – Trude Breitschopf
Milchfrau – Franziska Liebing
Frau Feicht, Gastwirtin – Ursula Luber
Schalterbeamter – Leopold Gmeinwieser
Taxifahrer – Franziska Stömmer
u.a.
Stab
Regie – Axel Corti
S/B – Wolfgang Hundhammer
Kamera – Xaver Schwarzenberger
Autor – Herbert Rosendorfer
Der Tatort mit der Nummer 063 aus der Stadt an der Isar – München. Der damalige Oberinspektor Veigl ermittelt in diesem ur-klassischen bayerischen Tatort-Fernsehfilm aus dem Jahr 1976 in seiner eigenen persönlichen Art und Weise, einfach, bäuerlich wirkend und genial. Neben Mord und Totschlag geht es auch um Schwarzarbeit und illegaler Verwendung von Bundeseigentum. Damals ein nicht unüblicher Handlungsstrang bei der Erstellung des ersehnten Eigenheims und einer der aus damaliger Zeit stammenden Witze lautete: “ Ruf‘ bloß nicht Bundesbahn komm raus, denn dann bricht das Haus zusammen!“ Eine schöne Erinnerung an das bajuwarischen UR-Gestein des Tatortes, dieser Veigl bereitete dem Trimmel starke Konkurrenz, diesem hanseatischen Erstling-Kommissar im unendlich erscheinenden Tatort-Reigen. Toll, mit tollen Außenaufnahmen aus der Mitte der 70zigern, tolle Darsteller mit einer ebenfalls fast unendlichen Darstellerliste. Taxifahrer, Schalterbeamter, Milchfrau, Putzfrau und der Lenz, alle sind aufgeführt in diesem sehenswerten Tatort. Bravo,
Fantastischer Tatort aus den 70er Jahren. Für mich ein perfekter Cast für ein bayrischen Film Bayrhammer, Fischer, Harlander, Hube, Weinzierl, Berger, Fitz Wow alle zusammen. Tolle Bilder vom Bahngelände in München. Hätte ruhig noch länger gehen können. Ein wahrer Tatort Genuß. Top
Sehenswerter Tatort-Klassiker aus den 1970ger Jahren! – Dank dem BR für die Wiederholung am 12.02.2022
Da zeigt der Bayerische Rundfunk einen Nostalgie-Tatort mit der Nummer 063 und aus dem Jahr 1976 und alle werden angezählt.
Die Meinung vom 30.07.2016 halte ich, wobei ich den alten Bundesbahnwitz doch relativieren möchte. Der war aber nicht erfunden, den habe ich mehrmals in den frühen 70iger gehört.