Kurz und knapp – darum geht’s

Eine U-Bahn-Baustelle in West-Berlin wird zum Schauplatz eines tödlichen Dramas: Als der türkische Arbeiter Mehmet bei einem Unfall ums Leben kommt, entscheidet der Vorarbeiter, den Vorfall zu vertuschen – schließlich ist das Opfer illegal im Land und arbeitet ohne Papiere. Doch ein zufälliger Zeuge alarmiert die Polizei, und Kommissar Schmidt und sein Kollege Wagner nehmen die Ermittlungen auf. Als Arkans Schwager des Toten zwischen die Fronten gerät, verstrickt er sich in ein gefährliches Spiel zwischen skrupellosen Geschäftemachern und einer Polizei, die ihn nur als Köder benutzen will. Als die Ermittler endlich dem Netzwerk der Menschenhändler auf die Spur kommen, nimmt der Fall eine tragische Wendung, die alle Beteiligten in Gefahr bringt …

Inhalt der Tatort-Folge „Tod im U-Bahnschacht“

Staub wirbelt durch die Luft, das monotone Brummen der Baumaschinen erfüllt den halbfertigen U-Bahn-Tunnel im geteilten Berlin der 1970er Jahre. Hier, im flackernden Licht der Baustellenlampen, spielt sich eine Tragödie ab, die das Leben mehrerer Menschen für immer verändern wird. Ein falscher Schritt, ein überhörter Warnruf – und der türkische Arbeiter Mehmet wird von einem Bulldozer erfasst. Sein Todeskampf dauert nur Sekunden, aber jede davon wird in schonungsloser Deutlichkeit gezeigt.

Kommissar Schmidt von der Berliner Kripo ist ein Mann, dessen müder Blick mehr über den Polizeialltag erzählt als jede Statistik. Seine Ermittlungen mit Kollege Wagner von der „Arbeitsgruppe Ausländer“ offenbaren schnell, dass hinter dem vermeintlichen Unfall ein System steckt – ein profitables Netzwerk aus Menschenhandel, Zwangsarbeit und Ausbeutung. „Die illegalen Arbeiter sind wie Schachfiguren“, bemerkt Wagner bitter. „Sobald eine fällt, wird sie einfach vom Brett genommen und durch eine neue ersetzt.“

Das West-Berlin der 70er Jahre, das der Film zeigt, ist kein strahlender Leuchtturm der Freiheit, sondern ein Dschungel aus Beton und fragwürdigen Geschäften. Die U-Bahn-Baustellen gleichen einem Ameisenhaufen, in dem ausländische Arbeiter ohne Rechte schuften, während findige Geschäftsleute wie der undurchsichtige Bauunternehmer Kaiser die Früchte ernten. „Die Stadt braucht neue U-Bahn-Linien“, erklärt Kaiser mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreicht. „Und ich liefere die Arbeitskräfte dafür – Fragen stellt keiner.“

Mitten in diesem Sumpf aus Korruption und Ausbeutung steht Arkan, der Schwager des toten Arbeiters. Ein junger Mann, dessen Augen die Verlorenheit eines Menschen zeigen, der zwischen zwei Welten lebt und in keiner wirklich zu Hause ist. Die Suche nach seiner Schwester Ayse, die von Kaisers Leuten in einem Bordell festgehalten wird, treibt ihn zu verzweifelten Taten. Als er eine Geisel nimmt, um zu ihr zu gelangen, scheint sein Schicksal besiegelt.

Die Fahndung nach den Hintermännern gleicht der Suche nach Schatten – sobald die Ermittler einen zu fassen bekommen, zerrinnt er zwischen ihren Fingern. Kommissar Schmidt versucht, mit Arkan zu verhandeln, verspricht ihm Straffreiheit und sichere Ausreise in die Türkei. Doch das Misstrauen sitzt zu tief. Ein letzter verzweifelter Fluchtversuch, ein Schuss in der Dämmerung – und die Hoffnung auf Gerechtigkeit stirbt zusammen mit Arkan, während die wahren Drahtzieher unbehelligt bleiben.

Hinter den Kulissen

Der vom Sender Freies Berlin (SFB) produzierte Tatort „Tod im U-Bahnschacht“ wurde in Berlin gedreht, unter anderem in der damals noch im Bau befindlichen U-Bahn-Station Wilmersdorfer Straße, die erst 1978 – drei Jahre nach der Filmausstrahlung – eröffnet wurde. Die Dreharbeiten, bei denen erstmals Martin Hirthe in der Rolle des Kommissars Schmidt zu sehen war, fanden unter der Regie von Wolf Gremm statt, nach einem Drehbuch von Peter Stripp.

Die Erstausstrahlung am 9. November 1975 erreichte einen beeindruckenden Marktanteil von 56,0% – doch der Erfolg bei den Zuschauerzahlen stand in scharfem Kontrast zur anschließenden Kontroverse. Der CSU-Politiker Franz Josef Strauß kritisierte noch während der Ausstrahlung in einem Telegramm an den SFB-Intendanten den Film als „Banditenfilm aus Montevideo mit Bordelleinlage“ und warf den Machern vor, die Berliner Polizei zu verhöhnen.

Nach der heftigen Kritik verschwand „Tod im U-Bahnschacht“ für 17 Jahre im sogenannten „Giftschrank“ der ARD und wurde erst 1992 wieder für eine Wiederholung freigegeben. Offiziell wurde die drastische Darstellung des tödlichen Unfalls als Grund genannt, doch Zeitgenossen vermuteten das brisante Thema der illegalen Arbeitsmigration als wahren Grund für die Sperrung.

Nach der Erstausstrahlung hagelte es in der „Hörzu“ Leserbriefe, in denen die beiden Kommissare mit „Dick und Doof“ verglichen wurden und ein Leser empfahl, solche Sendungen „auf den 30. Februar“ zu verlegen. Für eine dritte Wiederholung mussten die Zuschauer bis Dezember 2018 warten, als der RBB eine digital restaurierte Fassung ausstrahlte.

Bemerkenswert ist, dass „Tod im U-Bahnschacht“ der erste Tatort mit „zentralem Migrationsbezug“ war und ein Thema behandelte, das bis heute hochaktuell geblieben ist: die Ausbeutung von Menschen ohne regulären Aufenthaltsstatus.

Besetzung

Abdullah – Senih Orkan
Arkan – Erdal Merdan
Arkans Schwester Ayse – Meral Orhonsay
Bauler – Klaus Münster
Betrunkener – Friedrich G. Beckhaus
Bulldozer-Fahrer – Günter Meisner
Der Alte – Aras Ören
Der Kleine – Tuncel Kurtiz
Kaiser – Reinhard Kolldehoff
Kommissar Schmidt – Martin Hirthe
Pensionswirtin – Dorothea Moritz
Wagner – Manfred Günther
Wolf – Andreas Mannkopff
u.a.

Stab

Regie – Wolf Gremm
Drehbuch – Peter Stripp