Kurz und knapp – darum geht’s
Auf einer Mülldeponie wird die Leiche von Boris Blaschke gefunden, der als verhasster Gebietsleiter der Discounterkette „Billy“ in Ludwigshafen bekannt war. Die Kommissare Lena Odenthal und Mario Kopper tauchen in eine Welt ein, in der Mitarbeiter unter extremem Druck stehen, unbezahlte Überstunden leisten und sogar bespitzelt werden. Als die Ermittler herausfinden, dass der Tote am Abend vor seinem Mord ein geheimes Treffen zur Gründung eines Betriebsrats aufgespürt hatte, stehen plötzlich mehrere Angestellte im Fokus – und auch Blaschkes Nachfolger Günter Novak scheint etwas zu verbergen…
Inhalt der Tatort-Folge „Kassensturz“
Nebel wabert über die Ludwigshafener Mülldeponie, als zwischen Bergen von Abfall etwas entdeckt wird, das dort nicht hingehört: die Leiche eines Mannes. Kälte kriecht durch die Gummistiefel der Kommissare Odenthal und Kopper, während sie zwischen rostigen Metallteilen und zerbrochenen Möbeln die Umrisse des Toten betrachten. Boris Blaschke, Gebietsleiter der Discounterkette „Billy“, ein Mann, der scheinbar für seinen Job lebte – und dafür starb.
Lena Odenthal wirkt angespannt, ihr Gesicht verhärtet sich, als sie die ersten Aussagen der Mitarbeiter hört. Der Fall weckt etwas in ihr, eine Wut auf Ungerechtigkeit, die sie manchmal zu vorschnellen Urteilen verleitet. Kopper hingegen bleibt ruhiger, aber seine Augen verraten, dass auch er von den Arbeitsbedingungen im Discounter schockiert ist. Die beiden ergänzen sich wie immer – Odenthals Impulsivität trifft auf Koppers bedächtigere Art.
„Die Vertriebsleitung hat mir die verbliebenen drei Filialen übergeben. Willkommen in der Hölle!“, begrüßt der neue Gebietsleiter Günter Novak seine Angestellten mit einem falschen Lächeln. „War nur ’n Spaß – mach ich aber auch nur ganz selten.“ Im grellen Neonlicht der Billy-Filiale wirken die Gesichter der Mitarbeiterinnen fahl und erschöpft. Die Regale müssen gefüllt, die Kassen besetzt, die Kunden bedient werden – und das alles in Rekordzeit, ohne Fehler. Die Überwachungskameras zeichnen jede Bewegung auf, während ein Privatdetektiv die Angestellten heimlich beobachtet.
In einem schäbigen Pausenraum, nicht größer als eine Besenkammer, wärmt sich die Filialleiterin Hannelore Freytag ein Fertiggericht auf. Ihre Hände zittern leicht. Ist es die Erschöpfung oder die Angst vor der nächsten Abmahnung? Die Suche nach dem Mörder gleicht für Odenthal und Kopper dem Versuch, in einem Meer von Verzweiflung einen konkreten Tropfen Hass zu identifizieren.
Die beiden Kommissare erfahren von einem gescheiterten Versuch, einen Betriebsrat zu gründen. Gisela Dullenkopf, eine mutige Angestellte mit zwei Jobs und Sorgenfalten im Gesicht, hatte es gewagt, das Wort zu ergreifen. Doch dann tauchte plötzlich Blaschke auf, angeführt von seinem Privatdetektiv. „Wissen Sie eigentlich, wie viele Bewerber draußen Schlange stehen?“, hatte er gedroht. Kurz darauf wurde ihr Sohn Jan, der ebenfalls bei Billy arbeitete, entlassen – und nahm sich das Leben.
Beate Schütz, eine weitere Angestellte, berichtet den Ermittlern mit gesenkter Stimme von Blaschkes übergriffigem Verhalten: „Er hat mich in sein Büro gerufen, angeblich wegen einer Inventurdifferenz.“ Ihr Freund Thomas wollte sie an jenem Abend abholen, als Blaschke zum letzten Mal in der Filiale auftauchte. Ob er etwas gesehen hat?
Während in einer Billy-Filiale weiter die Scannerkassen piepsen, suchen Odenthal und Kopper fieberhaft nach der Wahrheit hinter dem Tod des Tyrannen. Das Motiv scheint klar – aber wer hatte den Mut zur Tat?
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Kassensturz“ (Folge 720) wurde unter dem Arbeitstitel „Nullkasse“ vom 5. März bis 4. April 2008 in Ludwigshafen, Karlsruhe und Baden-Baden gedreht. Die Erstausstrahlung erfolgte am 1. Februar 2009 im Ersten Deutschen Fernsehen.
Unter der Regie von Lars Montag („Hauch des Todes„) nach einem Drehbuch von Stephan Falk („Herzversagen„) agierten neben den Stammermittlern Ulrike Folkerts als Lena Odenthal und Andreas Hoppe als Mario Kopper auch zahlreiche namhafte Gaststars: Jan Henrik Stahlberg brillierte als eiskalter Gebietsleiter Günter Novak, Traute Hoess überzeugte als überforderte Filialleiterin Hannelore Freytag. In weiteren Rollen waren Stefanie Stappenbeck als Beate Schütz, Barbara Philipp als Gisela Dullenkopf und Adele Neuhauser als Vertriebsleiterin Gesine Fuchs zu sehen – letztere wurde später als Major Bibi Fellner im Wiener Tatort bekannt.
Das gesellschaftskritische Drama erreichte bei seiner Erstausstrahlung 8,78 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von beeindruckenden 23,8 Prozent entsprach. Das Drehbuch wurde für den Deutschen Fernsehpreis 2009 nominiert.
Die Recherchen zu diesem Tatort fanden kurz nach dem sogenannten LIDL-Skandal statt, der Ende 2007 die Arbeitsbedingungen in Discountern ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Regisseur Lars Montag betonte später in Interviews: „Alles hat sich in der Wirklichkeit zugetragen, zum Teil noch heftiger!“ Die Kritiker lobten den Film als „hochinteressante und dabei stets glaubwürdige Milieustudie“ und als „eine der stärksten Folgen des später dramatisch nachlassenden Teams aus Ludwigshafen“.
Richtig gut – total beklemmende Stimmung…
Ganz großes Kompliment für diesen Tatort. Ich habe viele Jahre im Einzelhandel gearbeitet und kann diese Methoden nur bestätigen. Vor allem die Szene, wo die Mitarbeiterin pünktlich nach Hause zu ihrem Kind mußte und nicht konnte. Dieser Konflikt, diese Verzweiflung, ich dachte ich habe das Bild aus meiner Zeit wieder vor mir.
Da war wirklich ein Insider am Werk. Nochmals, herzlichen Glückwunsch zu diesem Film.
MfG
Bernd Wimmer
Kompliment an den SWR!!! Respekt für diese Meisterleistung!!! Das war einer der genialsten „Tatort“-Folgen nach Schimanski!!!
….und dann auch noch mit Moderatoren von meinem Lieblings-Radiosender SWR 3.
Hat Kopper eigentlich nen Vornamen?
Das war mal so richtig aus dem Arbeitsleben! Ich habe viele Jahre bei Ernstings Family gearbeitet und da waren genau solche Methoden. Ich fühlte mich gleich zurück gesetzt in diese furchtbare Zeit. Sehr gut gemacht. (y)
Der Tatort Nummer 720 aus Ludwigshafen. Die altgedienten und beliebten Tatort-Kommissare Kopper und Odenthal ermitteln. Diesen Fernseh-Spielfilm habe ich in Erstsendung schon gesehen und fand in insgesamt spannend und unterhaltend. Im Milieu der Billig-Discounter wird ein Betriebsleiter grausam ermordet und auf einer Billig-Müllkippe entsorgt. Schrecklich und filmisch tatsächlich. Von der Szenerie her, hätte der Krimi auch im Drücker-Kolonnen-Bereich spielen können. Normalerweise bin ich kein Schauer dieser sehr sozialpolitisch angehauchten Filme, aber das Team Ludwigshafen macht was draus. Sehenswert.
Endlich mal ein TO, der auf die Belange von Hartz IV Empfängern zugeschnitten ist.
Weiter so! Klassenkämpferisch eben.
In Zeitlupe gedrehte Verwandlung einer Larve zum Schmetterling wäre wesentlich spannender. Ich schau jetzt 1 Std. und nichts passiert!!!