Kurz und knapp – darum geht’s

Ein schwerverletzter Obdachloser wird ins Krankenhaus von Baden-Baden eingeliefert, wo er von einem Mord am Westwallbunker im Jahr 1939 berichtet. Bevor Kommissar Horst Pflüger mehr erfahren kann, wird der Mann durch eine Luftinjektion in seinen Venen getötet. Die Ermittlungen führen Pflüger in die gehobene Gesellschaft Baden-Badens und auf die Spur eines Bauunternehmers sowie eines Krankenhaus-Masseurs. Als der Kommissar der verjährten Tat näher kommt, wird deutlich, dass manche Geheimnisse selbst nach dreißig Jahren noch tödliche Konsequenzen haben können…

Inhalt der Tatort-Folge „Wenn Steine sprechen“

Unruhig streift Kommissar Horst Pflüger durch die stillen Korridore des Krankenhauses, wo das gedämpfte Licht der Nachtbeleuchtung gespenstische Schatten an die Wände wirft. Er ist wegen eines ungewöhnlichen Falls hierher gerufen worden: Ein schwerverletzter Obdachloser namens Franz Matysiak spricht im Fieberdelirium von einem Mord, der über drei Jahrzehnte zurückliegt. „Der Bunker… der Bunker am Rheinufer…“, wiederholt der Mann immer wieder mit schwacher Stimme. „Lothar… im Mai 1939… wir haben ihn umgebracht.“

Der Baden-Badener Kommissar kann nur bruchstückhafte Informationen sammeln, bevor er die Befragung unterbrechen muss. Doch als er später zurückkehrt, liegt der Patient leblos im Bett – ermordet durch eine Luftinjektion, die ihm jemand heimlich verabreicht hat. Plötzlich steht Pflüger nicht nur vor einem alten, längst verjährten Mordfall, sondern auch vor einem frischen Verbrechen. Ein erster Hinweis kommt von einem Angler, der den Obdachlosen am Rheinufer gesehen hatte, wie er verzweifelt gegen die Betonwände eines alten Westwallbunkers schlug – beobachtet von einem Mann, der ihm später folgte.

Die Suche nach der Wahrheit gleicht einem Puzzle, bei dem entscheidende Teile fehlen. Pflügers Weg führt ihn nach München zu seinem Kollegen Melchior Veigl, um die Familie des vermutlichen Opfers ausfindig zu machen. Die alte Frau Windegger, deren Sohn seit 1939 als vermisst gilt, überreicht dem Kommissar ein vergilbtes Foto – darauf vier junge Männer vor dem Bunker, darunter ihr Sohn Lothar und der nun ermordete Obdachlose Matysiak.

Zurück in Baden-Baden stößt Pflüger auf Albert Pohl, einen Masseur im Krankenhaus, der ebenfalls auf dem Foto zu sehen ist. Der vierte Mann entpuppt sich als Wolfgang Bernbacher, mittlerweile ein wohlhabender Bauunternehmer und angesehenes Mitglied der Kurstadt-Gesellschaft. Während Pflüger durch Tennisclubs, Rennbahnen und Casinos streift, um sich dem elitären Zirkel zu nähern, merkt er, wie sich um ihn herum eine Mauer des Schweigens aufbaut. „Manche Dinge sollte man ruhen lassen, Herr Kommissar“, wird ihm mehr als einmal geraten.

Seine hartnäckigen Nachforschungen enthüllen schließlich die grausame Wahrheit: Die vier Männer arbeiteten 1939 gemeinsam am Westwallbunker. Nach einem Kartenspiel, bei dem sie Lothar Windegger des Betrugs beschuldigten, brachten sie ihn um und betonierten ihn im Bunker ein. Jahrzehntelang blieb das Verbrechen unentdeckt, bis Matysiaks schlechtes Gewissen ihn zum Reden brachte – und ihm zum Verhängnis wurde.

Als die Leiche von Windegger endlich aus dem Beton geborgen wird, steht Pohl als Doppelmörder fest. Doch während er sich für beide Taten verantworten muss, geht Bernbacher rechtlich straffrei aus – der Mord an Windegger ist nach damaliger Rechtsauffassung verjährt. Stattdessen trifft ihn eine andere Form der Gerechtigkeit: Bei seinem jährlichen Sommerfest bleibt er allein, gemieden von der Gesellschaft, in der er einst so hohes Ansehen genoss.

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Wenn Steine sprechen“ wurde unter der Regie von Erich Neureuther zwischen Herbst und Winter 1971 in Baden-Baden, München und an verschiedenen Standorten am Rhein gedreht. Diese 15. Folge der Krimireihe markiert das Debüt des Südwestfunks (SWF) im Tatort-Universum und wurde am 13. Februar 1972 erstmals ausgestrahlt.

In der Hauptrolle brilliert Ernst Jacobi als Kommissar Horst Pflüger, der damit gleichzeitig seinen einzigen Auftritt als Tatort-Ermittler absolviert und zur ersten „Eintagsfliege“ der Krimireihe wird. An seiner Seite sind etablierte Schauspieler wie Detlof Krüger als Bauunternehmer Bernbacher, Max Mairich als Masseur Albert Pohl und Horst Beck als Obdachloser Matysiak zu sehen. Einen besonderen Gastauftritt hat Gustl Bayrhammer als Münchner Kommissar Melchior Veigl, der damit eine frühe Crossover-Episode der Reihe ermöglicht.

Bemerkenswert ist die musikalische Untermalung durch Rolf-Hans Müller, den Leiter des SWF-Tanzorchesters, dessen Komposition deutlich vom Steve-McQueen-Klassiker „Bullit“ inspiriert wurde. Das Drehbuch stammt von Bruno Hampel, für den dies nicht nur die erste Tatort-Folge, sondern auch sein erstes Skript für einen abendfüllenden Fernsehfilm darstellte.

Mit einer Einschaltquote von beeindruckenden 59 Prozent bei der Erstausstrahlung war „Wenn Steine sprechen“ ein voller Erfolg. Dennoch wurde die Episode bis 2021 nur ein einziges Mal – am 19. April 1993 – wiederholt, was sie zu einer Rarität in der Tatort-Geschichte macht. Nach der Ausstrahlung diskutierten Juristen über die im Film thematisierte Verjährung von Morddelikten aus der Vorkriegszeit – eine Frage, die der Bundesgerichtshof erst 1995 in einem Urteil gegen Erich Mielke abschließend klären sollte, wobei er zu einem anderen Schluss kam als im Film dargestellt.

Besetzung

Kommissar Pflüger – Ernst Jacobi
Lambrecht – Thilo von Berlepsch
Matysiak – Horst Beck
Dr. Hallert – Joachim Bliese
Bernbacher – Detlof Krüger
Frau Bernbacher – Marlies Schoenau
Margot – Eva Astor
Wingart – Gernot Endemann
Pohl – Max Mairich
Didi – Dagmar Heller
Max Penzlau – Horst Uhse
Veigl – Gustl Bayrhammer

Stab

Regie – Erich Neureuther
S/B – Karl Schneider
Musik – Rolf-Hans Müller
Kamera – Immo Rentz
Produktionsleitung – Werner Rollauer
Kostüme – Wally Alschansky
Autor – Bruno Hampel
Kamera – Helmut Stoll
Produktionsleitung – Gig Malzacher