Kurz und knapp – darum geht’s
Ein erschlagener Industrieller und ein toter Einbrecher in einer Essener Villa – für Kommissar Haferkamp scheint der Fall klar: Die Schwiegertochter des Opfers, die elegant-kühle Evelyn Stürznickel, ist die wahre Täterin. Doch Star-Anwalt Dr. Alexander zerschmettert Haferkamps Anklage mit einem brillanten Plädoyer, das zum Freispruch führt. Als kurz darauf Evelyns Stieftochter Angela unter mysteriösen Umständen verschwindet und tot aufgefunden wird, folgt ein zweiter Prozess mit erdrückender Beweislast. Seltsamerweise zeigt Dr. Alexander dieses Mal kein Interesse daran, seine Mandantin zu entlasten – als Haferkamp einen versteckten Abschiedsbrief entdeckt, beginnt er die wahren Motive des Anwalts zu erahnen…
Inhalt der Tatort-Folge „Die Abrechnung“
Der Essener Morgen ist trüb und grau, als Kommissar Haferkamp die imposante Villa der Familie Stürznickel betritt. Das Licht der Polizeilampen wirft gespenstische Schatten an die holzgetäfelten Wände des Studierzimmers. Zwei Leichen, zwei Tatorte: Professor Stürznickel, steinreicher Industrieller, liegt erschlagen in seinem Sessel – der vermeintliche Täter, ein gewisser Neugebauer, wenige Meter entfernt mit einem sauberen Schuss in der Brust. Evelyn Stürznickel steht mit erstaunlicher Fassung neben der Leiche. „Ich habe ihn auf frischer Tat ertappt und in Notwehr erschossen“, erklärt sie mit einer Stimme, die kaum zittert.
Haferkamp, dessen wache Augen keine Regung der elegant gekleideten Witwe entgehen lassen, wittert Unstimmigkeiten. Er kennt die menschliche Natur zu gut, um dieser makellosen Darstellung zu glauben. „Manchmal ist eine Geschichte zu perfekt, um wahr zu sein“, murmelt er seinem Assistenten zu, während er durch die teuren Sammlerstücke des Industriellen streift, die seltsamerweise unberührt geblieben sind. Kein typischer Einbruch, keine Anzeichen eines Kampfes – nur zwei Tote und eine Frau, die nun ein Vermögen erbt.
Die fein gesponnene Theorie des Kommissars zerschellt jedoch an der Verteidigungsmauer, die Star-Anwalt Dr. Alexander um seine Mandantin errichtet. Im Gerichtssaal entfaltet sich ein rhetorisches Feuerwerk, das den Richter und die Geschworenen in seinen Bann zieht wie Motten das Licht. „Es gibt keine Gerechtigkeit ohne Beweise“, donnert Alexander durch den Saal, während Haferkamp mit verschränkten Armen dasitzt, seine Augen nie von Evelyn abwendend, die wie eine Skulptur aus Marmor wirkt – kalt, schön und undurchdringlich.
Der Freispruch hallt nach wie ein falscher Ton in einem Konzert. Während die Presse die unschuldige Witwe feiert, taucht die junge Angela Stürznickel, Stieftochter der Freigesprochenen, bei Haferkamp auf. Ein schmales Mädchen mit alten Augen und flüsternder Stimme, das sich weigert, sein Erbe anzutreten. „Warum sollte jemand Millionen ablehnen?“, fragt sich Haferkamp, als er abends allein in seiner kargen Wohnung sitzt, wo nur die klingelnden Eiswürfel in seinem Whiskeyglas die Stille durchbrechen.
Die Antwort bleibt aus – denn Angela verschwindet spurlos. Evelyns zur Schau gestellte Sorge gleicht einer schlecht einstudierten Rolle, denken die Essener Ermittler, als sie die nächsten 48 Stunden fieberhaft nach dem Mädchen suchen. Ein Fischer macht schließlich den grausigen Fund: Angelas lebloser Körper treibt im Wasser eines Flussbetts, die Lungen gefüllt mit Wasser, der Körper mit Schlaftabletten.
Im zweiten Prozess sitzt Evelyn erneut auf der Anklagebank, doch diesmal scheint die Beweislage erdrückend. Seltsamerweise agiert Dr. Alexander wie ausgewechselt – seine sonst so leidenschaftliche Verteidigung wirkt lustlos, fast sabotierend. Haferkamp, der stets seinen Instinkten folgt, findet dieses Verhalten rätselhafter als den Mordfall selbst. Als er erfährt, dass Angela vor ihrem Verschwinden ihren geliebten Wellensittich freigelassen hat – ein klassisches Zeichen für Suizidgedanken – beginnt er, an Evelyns Schuld zu zweifeln.
Die Durchsuchung von Dr. Alexanders Kanzlei gleicht der Öffnung einer verborgenen Kammer, in der dunkle Geheimnisse lauern. In einem versteckten Fach im Schreibtisch des Anwalts findet Haferkamp, wonach er nicht zu suchen wusste: einen Abschiedsbrief von Angela. Während er die Zeilen liest, beginnt er zu verstehen, welch kompliziertes Spiel aus Rache, Recht und falscher Gerechtigkeit sich vor ihm entfaltet…
Hinter den Kulissen
„Die Abrechnung“ markiert den fünften Fall für Kommissar Haferkamp und wurde als 52. Folge der Tatort-Reihe am 8. Juni 1975 erstmals in der ARD ausgestrahlt. Unter der Produktion des WDR entstand ein klassischer Krimi der 70er Jahre, in dem die psychologischen Feinheiten der Figuren mehr Raum einnehmen als die Action.
In der Hauptrolle brilliert Hansjörg Felmy als der eigenwillige, scharfsinnige Kommissar Haferkamp, dessen Markenzeichen sein trockener Humor und sein unstillbarer Durst nach Wahrheit sind. Die Starbesetzung wird komplettiert durch Maria Schell als undurchsichtige Evelyn Stürznickel, Irina Wanka als tragische Angela und Rolf Becker als der ambivalente Rechtsanwalt Dr. Alexander.
Eine besondere Note erhält die Folge durch den Gastauftritt von Gustl Bayrhammer als bayerischer Tatort-Kommissar Veigl, wodurch früh eine Verbindung zwischen den verschiedenen Tatort-Ermittlern geschaffen wurde. Die beiden Kommissare scheinen sich gut zu kennen – sie duzen sich und tauschen wichtige Informationen über Telefonate aus, die entscheidend zur Lösung des Falls beitragen.
Die Dreharbeiten fanden hauptsächlich in Essen und Umgebung statt, wobei besonders die imposante Villa, in der die Stürznickel-Familie residiert, zum charakteristischen Merkmal dieser Folge wurde. Ursprünglich wurde die Episode unter dem Arbeitstitel „Im Namen des Volkes“ produziert, bevor man sich für den prägnanten Titel „Die Abrechnung“ entschied – ein Name, der 1996 noch einmal für eine Schweizer Tatort-Folge verwendet wurde und so eine kuriose Verbindung zwischen den Epochen der beliebten Krimireihe schafft.
Einer der besten Haferkamp Tatorte.Spannend und logisch inszeniert.Vorallem das Psychoduell zwischen Oberkommissar Haferkampf und dem Anwalt Dr. Alexander bringt die Spannung in die Folge.9 von 10 Punkten.
Die Abrechnung hat mir sehr gefallen. Er gehört zu den wenigen alten Tatorten die man sich öfters ansehen kann.
@pumpkins: bei 800+ Folgen gibt es m.E. nicht nur „wenige“ Tatorte, die man sich öfters ansehen kann?!
Der Tatort Nummer 052. Den habe ich noch nicht gesehen, bei der Erstausstrahlung muß ich beim Billard gewesen sein. 75 war meine Queue-Zeit. Ich fand diesen Tatort aus Essen mit Oberkommissar Haferkamp und seinem Kollegen Kriminalhauptmeister Kreutzer, der war ja kaum zu sehen, sehr langatmig. Die Geschichte der mordenden Ehefrau, der Selbstmord der Stief- Tochter, des äußerst beleidigten Rechtsanwaltes, welcher noch persönlich aus gekränkter Eitelkeit das tote Mädchen entsorgte, schien schon sehr in verworrene Intelligenzen entstanden zu sein. Alleine um diesen einen Mega-Weltstar als Zuschauer stand zu halten, brauchte man schon zwei Streichhölzer, um die Augenlider hoch zu halten. Der Untersuchungsrichter schien auch der damaligen Null-Bock Generation angehörig zu sein und KHK Haferkamp hinterließ einen Eindruck. Meine Meinung über einen der Besten in der Tatort-Geschichte, neben KHK Finke aus Kiel.
Warum sich der Anwalt so sehr in seiner Ehre gekränkt fühlte, obwohl er beim Vorgespräch mit der Stürznickel ja schon eine Ahnung hatte, dass sie lügt, bleibt für mich im Dunkeln. Interessante Figuren: der Staranwalt, die Mordverdächtige mit Starallüren und zu guter Letzt Rolf Becker als Geliebter und Tierarzt, der so wirkt wie ein Jurist auf Speed. Ach so: wenn zwei Gauner von München nach Essen ziehen, sollte der Überlebende der beiden eher wie einer aus Bayern klingen und nicht wie einer, der schon immer in Essen oder Umgebung zuhause war. Wegen Haferkamp 4 Sterne.
Ein Spitzen-Tatort aus den 70er Jahren mit coolen Stauder Bierautomaten und einen ganz stark aufgelegten Haferkamp. Eindeutig meine Lieblingsfolge mit Kommissar Haferkamp. Ich sehe ihn immer wieder gerne. Top
Wo war der Stauder Bierautomat?
Der Stauder Bierautomat befand sich an der Kneipe/Tanke gegenüber von Karstadt; auch zu sehen im Tatort Schussfahrt bei Minute 35:25. Und in meinem Youtube-Video „Tatort Simulator Die Abrechnung“.
Haferkamp trank aber Altbier, in der Kneipe gab es Diebels Alt, war auch in den 70ern hier am Niederrhein verbreitet und leckere Frikadellen. Obwohl so spät im TV lange aufgeblieben. Die Besten Tatorte waren die aus Essen, Kiel München damals
Der Tatort mit der Nummer 052 und gestern auf der ARD im Spätprogramm um 23:40 h. Schön das diese kriminalistischen Tatortfilme aus der „Youngtimer Generation“ nicht vergessen sind und werden, ebenso die damaligen Lieblingsschauspieler des deutschen Publikums.
Meine Meinung vom 05.08.2015 halte ich.
Sehr, sehr gut!
Gute Folge, aber ein unlogisches Ende. Warum sollte der Anwalt ausgerechnet den Abschiedsbrief der Stieftochter aufbewahren?