Tatort Folge 273: Bienzle und die schöne Lau

Kurz und knapp – darum geht’s

Eigentlich wollte Kommissar Ernst Bienzle mit seiner Lebensgefährtin nach Korsika in den Urlaub fahren, als ihn die Nachricht vom Ausbruch des Schwerverbrechers Helmut Selneck erreicht – ein Mann, den Bienzle selbst hinter Gitter gebracht hatte. Kaum hat der Kommissar den Flüchtigen in Blaubeuren gestellt, wird der Höhlentaucher Fritz Laible tot im mysteriösen Blautopf gefunden. Bienzle beginnt zu ermitteln und stößt schnell auf die attraktive, aber kaltblütige Witwe Vera, die im Ort nur „die schöne Lau“ genannt wird und deren Heirat mit dem wohlhabenden Bauern für mehrere Männer ein Dorn im Auge war. Als der Kommissar beginnt, die komplexen Beziehungsgeflechte zwischen Vera, ihrem Schwager und ihrem jungen Liebhaber zu entwirren, ahnt er nicht, dass er sich damit selbst in tödliche Gefahr begibt…

Inhalt der Tatort-Folge „Bienzle und die schöne Lau“

Eigentlich sollte der Urlaub nach Korsika Kommissar Ernst Bienzle und seine Lebensgefährtin Hannelore schon längst an sonnige Strände geführt haben, doch das Telefon klingelt zur Unzeit. Das Schwäbische in Bienzles Stimme wird noch eine Spur stärker, als er erfährt, dass ausgerechnet Helmut Selneck aus dem Gefängnis ausgebrochen ist – ein Mann, den er vor Jahren wegen Totschlags überführt hatte. Mit einem knappen „Des isch jetzt also wichtiger“ verabschiedet er sich von den Urlaubsplänen und begibt sich nach Blaubeuren, während Hannelore enttäuscht zurückbleibt.

Der eigensinnige Kommissar, der seine Fälle lieber mit Intuition als mit Technik löst, trifft in dem beschaulichen Städtchen auf der Schwäbischen Alb ein, wo sich der geflohene Verbrecher verstecken könnte. Was er nicht ahnt: Selneck hat in der Zwischenzeit Hannelore in ihrer gemeinsamen Wohnung überfallen und ihr Bienzles Aufenthaltsort entlockt. Die erschrockene Frau, die sich eigentlich nach mehr Aufmerksamkeit von ihrem workaholic-Partner sehnt, verständigt Bienzles Kollegen Gächter und fährt mit ihm nach Blaubeuren – lieber will sie an der Seite ihres Mannes sein als allein in der Stuttgarter Wohnung.

Derweil erkundet Bienzle die kleinstädtische Atmosphäre Blaubeurens, wo das türkisfarbene Wasser des Blautopfs im Sonnenlicht schimmert wie ein kostbarer Edelstein. Die örtliche Legende um die schöne Wassernixe Lau, die in den Tiefen der Quelle hausen soll, verleiht dem Ort eine mystische Aura. Durch Hinweise des Landwirts Fritz Laible gelingt es Bienzle schließlich, den Flüchtigen zu stellen – doch die Erleichterung währt nur kurz.

Denn kurz darauf wird eben jener hilfsbereite Laible tot im Blautopf gefunden. Der passionierte Höhlentaucher, der die unterirdischen Gänge wie kein anderer kannte, soll bei einem Tauchgang verunglückt sein. Doch der alte Weinmann, ein Freund des Toten, zweifelt an einem Unfall: „Der Fritz? Der war vorsichtiger als jeder andere. Der hat alles doppelt und dreifach gesichert. Nein, so ist der nicht umgekommen.“ Die Atmosphäre im Gasthof, wo Bienzle und Hannelore untergebracht sind, wird plötzlich so trüb und undurchsichtig wie das dunkle Wasser in den Tiefen des Blautopfs.

Hannelore, die mit ihrem untrüglichen Gespür für zwischenmenschliche Spannungen gesegnet ist, beginnt, sich im Ort umzuhören. „Manchmal hast du dein Ohr näher an den Menschen als ich“, gesteht Bienzle widerwillig ein, während er seiner Lebensgefährtin zuhört. Was sie herausfindet, ist alles andere als harmonisch: Vera Laible, die Witwe des Toten, trägt den Spitznamen „die schöne Lau“ – in Anlehnung an die Sagengestalt – und scheint vom Tod ihres Mannes kaum berührt. Wie ein exotischer Vogel im Käfig wirkt sie in dem ländlichen Ort, träumt vom Leben in der Großstadt und erhält mit dem Erbe ihres Mannes die Möglichkeit, diesem Traum näher zu kommen.

Die Fahndung nach dem Mörder gleicht einem Gang durch das verschlungene Höhlensystem unter dem Blautopf – je tiefer Bienzle vordringt, desto komplexer wird das Beziehungsgeflecht: Da ist Eberhard, Fritz‘ Bruder, dem nicht nur sein Erbe entgangen ist, sondern auch seine frühere Geliebte Vera, die von Fritz „ausgespannt“ wurde. „Ich hab ihm alles gegeben, und er hat alles genommen“, sagt Eberhard mit einer Bitterkeit, die wie ein Echo von den Wänden des niedrigen Bauernhauses widerhallt. Und da ist Thomas Weinmann, der junge Liebhaber von Vera, der mit ihr sogar im Blautopf getaucht ist – sehr zum Missfallen von Fritz, der die Höhle als sein Territorium betrachtete.

Als Bienzle diese verworrenen Fäden zu entwirren beginnt, wird die Atmosphäre immer düsterer. Bei einem Gespräch mit dem Gastwirt Pomerenke wird dem Kommissar bewusst, wie tödlich das Höhlentauchen sein kann: Die klaustrophobische Enge, die Desorientierung in der Dunkelheit, die wachsende Panik, wenn man nicht mehr weiß, welcher Gang zurück ins Freie führt – der Tod lauert hier in jeder falschen Abzweigung. Die Beschreibung des Gastwirts von den Tiefen des Blautopfs spiegelt perfekt die verdeckten Abgründe dieser scheinbar idyllischen Gemeinschaft wider.

Für Bienzle wird immer klarer, dass die schöne Vera der Schlüssel zur Lösung des Falls ist. Doch um den Mörder zu überführen, muss er klug vorgehen und stellt der „schönen Lau“ eine Falle. Was er nicht ahnt: Er begibt sich damit selbst in eine gefährliche Situation, die ihm zum Verhängnis werden könnte…

Hinter den Kulissen

„Bienzle und die schöne Lau“ ist die 273. Episode der Tatort-Reihe und wurde vom Süddeutschen Rundfunk produziert. Am 28. März 1993 strahlte das Erste Deutsche Fernsehen den zweiten Fall des Stuttgarter Kommissars Ernst Bienzle aus. Mit 12,72 Millionen Zuschauern bei der Erstausstrahlung ist dieser Tatort nicht nur der meistgesehene aller Bienzle-Folgen, sondern gehört auch zu den erfolgreichsten Tatort-Episoden der 1990er Jahre überhaupt.

Gedreht wurde am Originalschauplatz in Blaubeuren auf der Schwäbischen Alb. Der mysteriöse Blautopf, eine Karstquelle mit charakteristisch blauem Wasser, existiert tatsächlich und ist Eingang zu einem der längsten Höhlensysteme Deutschlands. Die gefährlichen Tauchgänge, die im Film thematisiert werden, haben in der Realität bereits mehrfach zu tödlichen Unfällen geführt.

Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Felix Huby aus dem Jahr 1985, wobei sich die Verfilmung in wesentlichen Punkten vom Buch unterscheidet. Die Geschichte um den entflohenen Straftäter Selnek findet sich beispielsweise nur im Film, während Bienzle im Roman lediglich zum Urlauben nach Blaubeuren reist.

Unter der Regie von Hartmut Griesmayr glänzen neben dem Hauptdarsteller Dietz-Werner Steck als eigensinniger schwäbischer Kommissar vor allem Rita Russek als seine Lebensgefährtin Hannelore Schmiedinger und Despina Pajanou in der Rolle der verführerischen Vera Laible. Weitere Rollen wurden mit bekannten Charakterdarstellern wie Jürgen Holtz (Gastwirt Pomerenke), Bernd Tauber (Fritz Laible) und Gerd David (Helmut Selneck) besetzt.

Der Titel der Folge spielt auf die gleichnamige schwäbische Sage an, die auf Eduard Mörikes Erzählung „Das Stuttgarter Hutzelmännlein“ zurückgeht. Die schöne Lau ist darin eine Wassernixe, die am Blautopf lebt und mit der sich bis heute zahlreiche lokale Legenden verbinden – unter anderem soll sie dafür verantwortlich sein, dass Taucher die Tiefe der Höhle nicht abschätzen können, da sie das Bleigewicht gestohlen hat. Noch heute kann man am Ufer des Blautopfs eine Steinskulptur der schönen Lau bestaunen, die von Touristen gerne fotografiert wird.

Nach der Ausstrahlung des Films erlebte der Blautopf einen verstärkten touristischen Andrang, wobei besonders die atmosphärischen Unterwasseraufnahmen das Publikum faszinierten. Die dunkle und klaustrophobische Tauchersequenz gilt unter Tatort-Fans als eine der stimmungsvollsten Szenen der gesamten Reihe.

Videos zur Produktion

Video 30 Sekunden aus den ersten 30 Minuten

Besetzung

Hauptkommissar Ernst Bienzle – Dietz-Werner Steck
Kommissar Gächter – Rüdiger Wandel
Vera Laible – Despina Pajanou
Fritz Laible – Bernd Tauber
Liz – Tatjana Clasing
Selneck – Gerd David
Eberhard Laible – Matthias Ponnier
Hannelore Schmiedinger – Rita Russek
Thomas Weinmann – Jakob Wurster
u.a.

Stab

Drehbuch – Felix Huby, Werner Zeindler
Regie – Hartmut Griesmayr
Kamera – Georg Steinweh
Musik – Roland Baumgartner

Bilder: SWR

10 Kommentare

Schreiben Sie einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

×
  1. vor 13 Jahren

    Wie kommt man denn an das geniale Musikstück (ruhig, getragen, Fagott) von Roland Baumgartner, das im Lauf dieses Tatorts immer wieder angespielt wird?

    Danke im Voraus für alle hilfreichen Hinweise!

  2. vor 13 Jahren

    Wie ist denn die Leiche an die Oberfläche gekommen? Gibt es da eine Strömung, die Körper aus dem Höhlensystem hinausspült?

    Joachim

  3. vor 9 Jahren

    Ein Tatort Nummer 273 mit Hauptkommissar Bienzle aus Stuttgart. Hauptkommissar Bienzle ist urlaubsreif und kommt trotzdem nicht zur Ruhe. Erst muss er auf dem Weg zum Urlaubsort einen brutal gefährlichen Ausbrecher dingfest machen, dann kommen ihm mörderische Erbschleicher in die Quere. Etwas zuviel auf einmal für einen altersgereiften Kommissar in Urlaubslaune, aber warum nicht und sehenswert alle male. Und das alles mit Lau und zusätzlich wird er schlau. Ehrlich.

  4. vor 6 Jahren

    Zwar von der Dramatik her etwas matschig, jedoch ist die Figur des Blautopfs sicherlich noch entwicklungsfâhig.

  5. vor 5 Jahren

    Fand diesen Tatort alles andere als sehenswert.

  6. vor 5 Jahren

    Herrlich alter Tatort! Auf der Alb ist was los, Nachtleben, Country-Sängerin, Liebeslust und Mord. Der eigentliche Mord kommt ja ziemlich spät, auch so eine zeitgemäße Variante. Langes „mörderisches“ Vorspiel. Papa Weinmann ist ein echter Kotzbrocken, so dass noch gut ein Nebenmord hätte passieren können. Und diese Western-Highnoon–Musik. Nach dem Ritt des Täters hätte es noch ein Schusswechsel auf der Dorfstraße geben müssen und die Sache wäre perfekt gewesen. Sergio Leone lässt grüßen – auch in der Langsamkeit der Handlung. Zwar irgendwie altbacken aber dann doch sehr freizügig. Und wenig Sendungsmoral an die Zuschauer durch die Öffentlich-Rechtlichen.

  7. vor 4 Jahren

    Eine schon etwas angestaubte Geschichte die nur noch wenig zu überzeugen weiß. Leider nur 2 Sterne für diesen behäbigen Dorf Krimi.

  8. vor 4 Jahren

    Bienzle – Legende! Toter am Blautopf, nix mit Feierobend

  9. vor 3 Jahren

    Wie der Titel schon andeutet: sehr „retro“! Archaische Beziehungs-Muster, Mord beim Tauchen im Naturjuwel „Blautopf“. Was will man mehr? Einer der besten Bienzle-TO´s (danke an die SWR-Mediathek) …

  10. vor 2 Jahren

    @Maria:
    Volle Zustimmung! Die Handlungen und Personen wurden damals meistens (nicht immer) viel EINDIMENSIONALER – also weniger vielschichtig – dargestellt. Ebenso war der Wechsel auf das heutige HD ein ‚Quantensprung‘.
    Die Aufnahmen vom ‚Blautopf“ entschädigen aber m.E. etwas. Tauch-Aufnahmen gibt’s ja nicht in jedem TO …

Neue Tatort-Folgen
Baden-Baden
14 Folgen
Berlin
96 Folgen
Bern
12 Folgen
Braunschweig
1 Folgen
Bremen
49 Folgen
Bremerhaven
1 Folgen
Dortmund
28 Folgen
Dresden
39 Folgen
Duisburg
29 Folgen
Düsseldorf
15 Folgen
Erfurt
2 Folgen
Essen
22 Folgen
Frankfurt
87 Folgen
Freiburg
1 Folgen
Göttingen
5 Folgen
Hamburg
105 Folgen
Hannover
30 Folgen
Heppenheim
1 Folgen
Kiel
51 Folgen
Köln
100 Folgen
Konstanz
31 Folgen
Leipzig
44 Folgen
Lübeck
2 Folgen
Ludwigshafen
81 Folgen
Luzern
17 Folgen
Mainz
7 Folgen
München
124 Folgen
Münster
47 Folgen
Nürnberg
10 Folgen
Saarbrücken
45 Folgen
Schwarzwald
14 Folgen
Stade
1 Folgen
Stuttgart
78 Folgen
Weimar
11 Folgen
Wien
90 Folgen
Wiesbaden
13 Folgen
Zürich
9 Folgen