Kurz und knapp – darum geht’s
Eine junge Frau stürzt bei einer nächtlichen Überfahrt von der Reling einer Bodensee-Fähre ins eiskalte Wasser und bleibt trotz sofortiger Rettungsmaßnahmen verschwunden. Hauptkommissar Eugen Lutz nimmt die Ermittlungen auf und stößt schnell auf Ungereimtheiten: War es wirklich ein Unfall oder steckt mehr dahinter? Der Ehemann Robert Reiser, Inhaber einer Bootsfirma und leidenschaftlicher Spieler, scheint ein Alibi zu haben, doch eine hohe Lebensversicherung und eine Affäre mit seiner Angestellten Vera lassen den Kommissar aufhorchen. Als Lutz einem ausgeklügelten Versicherungsbetrug auf die Spur kommt, wird plötzlich eine Leiche gefunden – doch es ist nicht die der verschwundenen Edith Reiser … Wie alles ausgeht, ist am 3. April 1972 um 20:15 Uhr im Ersten zu sehen.
Inhalt der Tatort-Folge „Kennwort Fähre“
Nebelschwaden hängen tief über dem Bodensee, als die Lichter der Fähre nach Friedrichshafen durch die Dunkelheit schneiden. An der Reling steht Edith Reiser, deren Gesicht vom fahlen Mondlicht beschienen wird. Sie hat gerade einen Tag bei ihrer Schwester in St. Gallen verbracht und lässt sich nun den kalten Nachtwind um die Nase wehen. Der Ingenieur Brielmeyer, der sie eben noch in ein angeregtes Gespräch verwickelt hatte, dreht sich nur kurz weg, um sich eine Zigarette anzuzünden. Ein Schrei zerreißt die Stille – und als er sich umdreht, ist die Frau verschwunden.
Die Scheinwerfer der Fähre tasten verzweifelt über die schwarze Wasseroberfläche, die wie ein unbarmherziger Spiegel das Licht zurückwirft. Die Schiffscrew wendet sofort das Schiff, doch vom Opfer fehlt jede Spur, als sei es von der dunklen See verschluckt worden. „Bei diesen Temperaturen – keine Chance“, murmelt ein Beamter der Wasserschutzpolizei mit versteinerter Miene. Die Wasserschutzpolizei wird alarmiert, doch selbst den erfahrensten Rettern ist klar: Bei den eisigen Wassertemperaturen sind die Überlebenschancen verschwindend gering.
Hauptkommissar Eugen Lutz betritt am nächsten Morgen die Anlegestelle in Friedrichshafen. Der Wind zerrt an seinem Mantel, während sein Blick über den nun friedlich daliegenden See schweift, der sein Geheimnis eifersüchtig zu hüten scheint. Lutz, bekannt für seine grummelige Art und seinen untrüglichen Spürsinn, schüttelt skeptisch den Kopf. „Ein Unfall? Vielleicht. Aber mein Gefühl sagt etwas anderes.“ Mit diesen Worten beginnt eine Ermittlung, die ihn tief in die Abgründe menschlicher Habgier führen wird.
Der Kommissar sucht den Augenzeugen Brielmeyer auf, der in seinem schäbigen Hotelzimmer sitzt und nervös an einer Zigarette zieht. „Sie hat gelacht, geflirtet – wollen Sie mir erzählen, dass so jemand Selbstmord begeht?“ Brielmeyer schüttelt vehement den Kopf. „Unmöglich.“ Sein Zeugnis wirft neue Fragen auf: Was, wenn es kein Unfall war? Wer könnte ein Interesse am Tod der jungen Frau haben?
Die Spur führt Lutz zum Ehemann Robert Reiser, Inhaber des Bootsunternehmens „Internautika Reiser“. In seinem eleganten Büro mit Blick auf den Hafen wirkt Reiser seltsam gefasst für einen Mann, dessen Frau gerade ums Leben gekommen ist. Unter der makellosen Oberfläche des erfolgreichen Geschäftsmannes wittert Lutz etwas, das wie ein fauliger Geruch nicht zu übertünchen ist. „Mein Beileid zum Verlust Ihrer Frau“, sagt Lutz mit einem Blick, der tiefer bohrt als seine Worte. Die Antwort ist ein knappes Nicken, das mehr verrät als tausend Tränen.
Bald stößt der Kommissar auf eine pikante Entdeckung: Robert Reiser führt seit Jahren eine Affäre mit seiner Angestellten Vera, einer attraktiven Blondine mit kühlem Blick. Und dann ist da noch die Lebensversicherung von Edith Reiser – eine halbe Million Mark. Eine Summe, die jeden Verdacht in grelles Licht taucht. Doch Reiser präsentiert ein scheinbar wasserdichtes Alibi: Er war auf einer Bootsmesse in Friedrichshafen und verbrachte den Abend im Casino. Zeugen bestätigen seine Anwesenheit. „Wie ein Fisch im Wasser“, denkt Lutz, „aber selbst der schlaueste Fisch hinterlässt Spuren.“
Die Ermittlungen führen Lutz durch verrauchte Spielsäle, in denen das Klackern der Roulettekugel wie ein unheilvoller Herzschlag pulsiert, und an den Kai, wo Fischer in der Morgendämmerung ihre Netze auswerfen – leer, wie die Suche nach Ediths Leiche. „Wenn jemand ins Wasser fällt, taucht er irgendwann wieder auf“, murmelt ein alter Fischer, während er mit wettergegerbten Händen an seinem Netz knüpft. „Es sei denn, man will nicht gefunden werden.“
Als Lutz erfährt, dass Robert Reiser kurz vor dem Unglück einen Neoprenanzug gekauft hat, mit dem man selbst in eisigem Wasser längere Zeit überleben kann, schließen sich die ersten Puzzleteile zusammen. Doch dann ändert eine Nachricht alles: Vera Beermann wird tot in ihrer Badewanne aufgefunden – ein scheinbarer Unfall mit einem Föhn.
In einem atemlosen Finale folgt Lutz einer heißen Spur nach Zürich, wo sich jemand die Versicherungssumme auszahlen lassen will. Während einer Verfolgungsjagd durch die engen Gassen der Schweizer Stadt ahnt der Kommissar noch nicht, welche überraschende Wendung der Fall nehmen wird, als er endlich die Verantwortlichen stellt …
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Kennwort Fähre“ ist die 17. Folge der ARD-Krimireihe und erst der zweite Fall für den knurrigen Kommissar Eugen Lutz, gespielt von Werner Schumacher. Das Drehbuch stammt aus der Feder von Wolfgang Menge, der bereits zuvor mehrere Kressin-Folgen inszeniert hatte und durch seine Arbeit am Fernsehklassiker „Das Millionenspiel“ bekannt wurde.
Die Dreharbeiten erstreckten sich über einen ungewöhnlich langen Zeitraum: Sie begannen im November 1970 und wurden erst von Mai bis Juni 1971 fortgesetzt. Als Kulisse dienten die malerischen Landschaften rund um den Bodensee mit Drehorten in Tettnang, Friedrichshafen und Lindau, aber auch die Schweizer Städte Zürich, St. Gallen und Romanshorn sowie Frankfurt am Main und Stuttgart.
In der Besetzung finden sich einige bemerkenswerte Namen: In der Rolle des Ingenieurs Brielmeyer ist Frank Strecker zu sehen, der später in weiteren Tatort-Folgen als Assistent von Kommissar Lutz unter den Namen Glöckle und Wagner auftauchen wird. Zu den Tatverdächtigen zählt unter anderem Siegfried Rauch, der später durch Serien wie „Das Traumschiff“ Berühmtheit erlangen sollte. Eine weitere Besonderheit: Mit Ulla Berkéwicz ist auch die spätere Leiterin des renommierten Suhrkamp-Verlags in einer Rolle zu sehen.
Die Erstausstrahlung am 3. April 1972 war ein beispielloser Erfolg: Mit einem heute kaum noch vorstellbaren Marktanteil von 64 Prozent saß fast ganz Deutschland vor den Fernsehgeräten. Bemerkenswert ist auch, dass „Kennwort Fähre“ die erste Tatort-Folge war, die nicht an einem Sonntag, sondern an einem Feiertag (Ostermontag) ausgestrahlt wurde.
Nach der Ausstrahlung sorgte besonders das raffinierte Versicherungsbetrugs-Szenario für Gesprächsstoff: In Zeitungen wurden Experten zitiert, die die Plausibilität eines solchen Falls diskutierten und auf ähnliche reale Betrugsfälle hinwiesen. Die düstere Atmosphäre der Bodenseelandschaft bei Nacht und die psychologisch komplexe Figurenzeichnung wurden von der Kritik besonders hervorgehoben.
Besetzung
Kommissar Lutz – Werner Schumacher
Robert Reiser – Siegfried Rauch
Angelika – Karin Frey
Vera – Ulla Berkewicz
Hauptkommissar Brauchle – Max Strecker
Agnes – Renate Heilmeyer
Breilmeier – Frank Strecker
Schroth – Wolfgang Hepp
Pfisterer – Harry Kalenberg
Pulvermüller – Oscar Müller
Staatsanwalt – Robert Naegele
Oberpolizist – Peter Kner
Geschäftsführer – Thomas Reiner
Hartmann – Wolfgang Bieger
Edith Reiser – Inge Bahr
u.a.
Stab
Drehbuch – Wolfgang Menge
Regie – Theo Mezger
Musik – Jonas C. Haefeli
S/B – Dieter Höpker
Produktionsleitung – Karl Heinz Tischendorf
Produktionsleitung – Dr. Reinhart Müller-Freienfels
Kamera – Willy Pankau
Maske – Trudi Winkle
Kostüme – Suse Reinbold
Ein durchaus kleverer Fall! Das wirklich Schöne an der Tatort-Reihe ist, dass sie uns mittlerweile einen interessanten Einblick in bundesrepublikanische Zeitgeschichte gibt. Sei es, wie in diesem TO, auch nur die Tatsache, dass Kommissar Lutz im VW-Käfer zuum Tatort fährt, zudem mit Tettnanger TT Kennzeichen, welches unlängst von einem fleißigen Verkehrsminister wieder aus der Mottenkiste hervorgezogen wurde.
Ich muss gestehen, ich gebe gern alten ‚Tatorts‘ einen gewissen ‚Altersbonus‘, in dem irren Glauben, früher sei halt alles besser gewesen. Doch das stimmt nicht so ganz. Heute fällt es mir schwer, mich noch einmal in jene Zeit Anfang der 70er Jahre hineinzuversetzen, bevor die privaten Sender anfingen, uns jegliche Fernsehkultur zu zerdeppern. Empfand man einen Film dieser Machart damals wirklich als einen spannenden ‚Thriller‘??
Lassen wir das. Umgehauen hat mich dieser Tatort nicht, aber es war und ist immer wieder schön, wenn die Sender ihre alten Schätzchen ausgraben. Bitte weiter so!! Wir lieben Autojagden im VW-Käfer und die verzweifelte Suche nach Telefonzellen!!
3 Punkte… inkl. ‚Altersbonus‘ :-)
Ich mag auch (ab und zu) den Flair der älteren Folgen…obwohl man sich an den langsameren Takt der Filme gewöhnen muss. Finde ich je nach Situation positiv oder negativ. Aber immer wieder interessant, wie die Sachen (Autos, Frisuren, Kleidung, diverse Alltagsgegenstände) damals ausgesehen haben.
Mit Altersbonus sogar 4 Sterne ;-)
Der Tatort 017 mit dem Hauptkommissar Schumacher aus Stuttgart. Der ermittelt, ohne es zu wissen, in einem ganz abgeklärten Fall von Versicherungsbetrug und ist am Ende genauso überrascht wie sein Kollege von der Wasserschutzpolizei. Ein vorgetäuschter tödlicher Unfall und ein Badenwannenmord, auch in der Erstsendung war man sicherlich erstaunt über die Zusammenhänge. Mit einem damaligen Anteil von 64 % bei den Fernsehzuschauern sicherlich ein imposanter Tatort-Fernsehfilm. Wahrscheinlich lief im Zweiten Huckleberry Finn, den werde ich damals geschaut haben und im Dritten Furtwängler oder Karajahn. Gesehen habe ich diesen Krimi erst vor ein paar Jahren und war angetan von der professionellen Vorgehensweise der gemeinen Betrüger und Mörder. Aber wo kommt eigentlich dieser Hauptkommissar Brauchle her? Der ist mir schon bei Oberinspektor Marek durch seine Penetranz aufgefallen. Sehenswerter Oldie der ersten Tatort-Generation.
Mein Lieblingslutz
…und ein Ro80, super!