Kurz und knapp – darum geht’s
Kriminalhauptkommissar Franz Markowitz steht vor dem schwersten Fall seiner Karriere: Das Mordopfer ist seine eigene Tochter Lilo, die er seit der Trennung von seiner Frau vor dem Mauerbau kaum kannte. Obwohl er wegen Befangenheit offiziell vom Dienst suspendiert wird, treibt ihn die persönliche Betroffenheit in die inoffizielle Ermittlung. Die Spur führt ihn zurück in den Ostteil Berlins zu seiner Ex-Frau Eva-Maria und in ein Netz aus alten Beziehungen, Stasi-Verstrickungen und verratenen Fluchten. Als Eva-Maria selbst zur Waffe greift, um den vermeintlichen Mörder ihrer Tochter zur Rechenschaft zu ziehen, ahnt Markowitz nicht, dass er einen dramatischen Wettlauf gegen die Zeit beginnt…
Inhalt der Tatort-Folge „Tödliche Vergangenheit“
Der schrille Klang eines Telefons unterbricht die Proben von Hobby-Trompeter Franz Markowitz. Ein Anruf, der sein Leben für immer verändern wird. Am grauen Morgen steht der Kriminalhauptkommissar wie versteinert vor einer Leiche – es ist Lilo, seine eigene Tochter. Der Himmel über Berlin scheint plötzlich noch tiefer zu hängen, als er das blasse Gesicht erkennt, das er seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat. Seit dem Mauerbau hatte er seine Familie im Ostteil zurückgelassen, ein Schatten, der nie wirklich aus seinem Leben verschwand.
Die Spurensicherung arbeitet mit klinischer Präzision, während Markowitz stumm daneben steht. Seine Kollegen Gerber und Pohl übernehmen offiziell den Fall – Markowitz ist zu persönlich involviert, zu befangen. Doch die väterliche Wunde treibt ihn unerbittlich voran. „Das bin ich ihr schuldig“, murmelt er seinem Kollegen zu, der vergeblich versucht, ihn zur Vernunft zu bringen.
Die Kneipe seiner Ex-Frau Eva-Maria liegt wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten im nun wiedervereinten Berlin. Der Geruch von abgestandenem Bier und Zigarettenqualm hängt in der Luft, als Markowitz nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder den Raum betritt, in dem einst ihre gemeinsame Geschichte begann. Wie fremde Planeten, die nach langer Zeit wieder in dieselbe Umlaufbahn geraten, stehen sie sich gegenüber – verbunden nur durch den Tod ihrer Tochter. „Du hast sie damals im Stich gelassen, und jetzt ist sie tot“, wirft Eva-Maria ihm entgegen, ihre Stimme so kalt wie der Wind, der durch die Straßen Ost-Berlins fegt.
In der Kneipe macht Markowitz Bekanntschaft mit Harry, einem jungen Mann mit unruhigem Blick. Er war Lilos ehemaliger Freund, der sie auf ihrer Flucht durch die Spree nach Westberlin begleiten wollte, aber gefasst wurde und jahrelang wegen „Republikflucht“ im Gefängnis saß. Seine jetzige Freundin Karla hatte am Abend vor dem Mord eine heftige Auseinandersetzung mit Lilo – Eifersucht als mögliches Motiv? Die Fragen stapeln sich wie die ungeöffneten Akten auf Markowitz‘ Schreibtisch.
Die Mauer ist gefallen, doch ihre Schatten sind noch allgegenwärtig. Wie eine archäologische Grabung in die jüngste Vergangenheit führen Markowitz‘ Ermittlungen immer tiefer in die verworrenen Machenschaften der Staatssicherheit. Brialzik, ein alter Freund der Familie und eine Art Ziehvater für Lilo, verhält sich merkwürdig distanziert. Seine Uhr, die in regelmäßigen Abständen piept wie ein mechanisches Herz, wurde in der Mordnacht von einer blinden Nachbarin gehört – direkt am Tatort.
Während Markowitz in den Trümmern seiner eigenen Vergangenheit gräbt, zeichnet sich ein düsteres Bild ab: Lilo und Harry wurden offenbar gezwungen, für die Stasi zu arbeiten, um sich überhaupt treffen zu können. In einer Stadt, die durch eine Mauer geteilt war, wurde jede menschliche Beziehung zur Verhandlungsmasse. Wie Schachfiguren wurden sie auf einem Brett bewegt, dessen Spielregeln sie nie vollständig durchschauten.
Eva-Maria entwendet heimlich Markowitz‘ Dienstwaffe und hinterlässt eine irreführende Spur, die auf Harry als Täter deutet. Der Kommissar bemerkt jedoch die Finte – er hat denselben Ohrring seiner Tochter bereits in Brialziks Wagen gefunden. Plötzlich erkennt er das wahre Ausmaß der Gefahr: Seine Ex-Frau will Selbstjustiz üben. Als er durch die nächtlichen Straßen Berlins zu Eva-Marias Kneipe eilt, ahnt er nicht, welch dramatische Konfrontation dort auf ihn wartet…
Hinter den Kulissen
„Tödliche Vergangenheit“ markiert den ersten Fall für Günter Lamprecht in der Rolle des Berliner Tatort-Kommissars Franz Markowitz, der bis 1995 insgesamt in acht Folgen ermittelte. Der Film wurde im Dezember 1990 in Berlin gedreht und hat damit eine besondere historische Bedeutung: Es ist der erste Tatort aus der wiedervereinten Hauptstadt nach dem Mauerfall – ein Krimi, der die noch frischen Wunden und Narben der deutschen Teilung authentisch einfängt.
Für Regie und Drehbuch zeichnete Marianne Lüdcke verantwortlich, die zuvor bereits den TV-Mehrteiler „Die große Flatter“ inszeniert hatte. In der Rolle des Harry Breitzke ist Richy Müller zu sehen, der später selbst zum Tatort-Kommissar avancierte und seit 2008 gemeinsam mit Felix Klare als Thorsten Lannert in Stuttgart ermittelt. Karin Baal verkörpert Eva-Maria, die ehemalige Frau des Kommissars, mit jener schneidenden Intensität, die das Publikum von ihr aus früheren Produktionen kannte.
Die Erstausstrahlung erfolgte am 20. Mai 1991 im Ersten und erreichte 13,97 Millionen Zuschauer. Kritiker lobten besonders die atmosphärische Darstellung des noch von den Nachwehen der Teilung geprägten Berlins und die nuancierte Darstellung von Lamprecht als emotional involvierter Ermittler. Die komplexe Verknüpfung von Familiendrama und politischer Vergangenheit machte diese Folge zu einem besonderen Zeitdokument der frühen Nachwendezeit.
Besetzung
Kriminalhauptkommissar Franz Markowitz – Günter Lamprecht
Gerber Max – Volkert Martens
Eva Maria – Karin Baal
Lilo – Katja Junge
Harrys Mutter – Renate Grosser
Brialzik – Hans Teuscher
Klaus – Jürgen Rothert
Karla – Dagmar Manzel
Pohl – Hans Nischke
Harry – Richy Müller
u.a.
Stab
Drehbuch – Marianne Lüdcke
Regie – Marianne Lüdcke
Kamera – Michael Baldenius
Bilder: rbb
Einer der ersten und auch besten Fernsehfilme in
deutsch-deutscher Koproduktion aus der Wendezeit.
Die Schlapphut-Geschichte um den
Gastwirt/Führungsoffizier im Friedrichshainer Kiez,
der seine Stieftochter und ihren Lover
zu Stasi-Kurierdiensten und Ungarnreisen zwingt . .
naja, ist halt immer dick aufgetragen worden,
die Phantasie schoß Honigblüten in jener Zeit,
also geschenkt . .
Aber – wie ist das gespielt, gelebt!, gefilmt
und zelebriert worden.
Da stimmt jede Figur, ein Ensemble deutscher
Charakter-Darsteller schenkt sich nichts,
gibt nicht preis. Großartig Hans Teuscher,
Karin Baal, Richy Müller und die Manzel,
als herbe, spröde Ost-Karbolmaus,
meist wird ihr ja nur die Dame abverlangt.
Traumhaft schöne und bedeutungsschwere Symbolik,
ein stolzer Film auf das geeinte Berlin.
Da wird die Kamera drauf gelassen, Stimmung eingefangen
oder zwingend u. melancholisch (Musik! etc.) aufgebaut.
Lamprechts Markowitz ist ein Kommissar eigener Güte,
mit keiner anderen Auslegung dieser Rolle im „Tatort“
vergleichbar.
Leicht ungepflegt wirkend, schwitzig, unpretenziös,
ein Kumpeltyp ohne Zugaben an Zeitgeist u. Regie.
Schade, daß es nur so wenig Einsatzfälle für
diesen Lamprecht-Anti-Typen gab.
Der SFB hat sicherlich die „originellsten“ Darsteller
dieser Rolle gehabt und stets sofort verschlissen.
Schade. Auch um Markowitz.
Interessant und niemals langweilig, trotz dieser Story.
Das gelingt nur guten Regisseuren und Schauspielern.
LG Peter, Berlin
Ein toller Tatort, nur leider der einzig guter in der Reihe von Markowitz.
Der Tatort Nummer 243. Ein Hauptkommissar Markowitz von der Mordkommission aus Berlin ermittelt. Vom Alter und Aussehen ein gestandener und lebenserfahrener Polizist, der in dem vermeintlichen Mordopfer seine Tochter erkennt. Es entwickelt sich aus diesen Anfangsszenen ein packender und spannender Tatort-Krimi aus den anfänglichen Jahren nach der Wiedervereinigung, mit Bezügen zur Staatssicherheit der ehemaligen DDR und menschlichen Schwächen. Mitarbeiter in diesem ehemaligen Spitzelstaat gab es genug, teils aus Überzeugung, teils aus finanziellen Interessen, teils wegen Erpressung. Markowitz selbst ist sozialistischer Stein und aber auch ein überzeugter Polizist. Das Ende gar nicht einmal theatralisch aufgebaut. Der Film ist noch in zwanzig Jahren sehenswert.
A strong story, good cinematography, a little film noire-ish. It’s also a bit of a history lesson. With the radio that’s on with the news in Eva’s cafe and the drives through East-Berlin where the rain makes it ever sadder and more gloomy. With the house of Markovitz’s old friend that’s full of western stuff he seems to be hoarding but doesn’t need to anymore and the stories they tell about crossing the border and not being able to go back.
And what a great actor Günter Lamprecht is. I’ve been a fan ever since I saw him as Franz Biberkopf.
Traurige Nachricht: Günter Lamprecht ist bereits am 4. Oktober in Bonn-Bad Godesberg verstorben.
Ihm zu Ehren gibt es heute beim rbb eine Programmänderung, um 22:00 Uhr wird der Erstling von 1991 ausgestrahlt.
In Anbetracht der schauspielerischen Lebensleistung erlaube ich mir mal, die Höchstwertung zu vergeben!