Kurz und knapp – darum geht’s

Nach seiner Haftentlassung taucht Bernd Laschke unter, aus Angst vor der Rache seiner ehemaligen Gangsterbande, deren Mitglied er einst verriet. Kommissar Kasulke nimmt die Suche nach dem verschwundenen Ex-Häftling auf, während dessen Familie verzweifelt nach ihm fahndet. In West-Berlin führt die Spur in ein wahres „Rattennest“: eine Bande von Zuhältern und Schutzgelderpressern unter Führung des eitlen Möchtegern-Gangsterbosses Jerry. Als Laschke mit gestohlener Waffe und neuem Selbstbewusstsein seinen ehemaligen Boss herausfordert, gerät sein Sohn zwischen die Fronten und wird zum Spielball in einem tödlichen Machtkampf zwischen rivalisierenden Banden.

Inhalt der Tatort-Folge „Rattennest“

Verlassen und heruntergekommene Hinterhöfe, grau-verhangener Berliner Himmel, das schmutzige Neonlicht der zwielichtigen Bars – der Tatort „Rattennest“ taucht tief ein in die kriminelle Unterwelt des geteilten Berlins der frühen Siebzigerjahre. Nervös huscht Bernd Laschke durch die Straßen, immer auf der Hut, stets in Angst vor seinen früheren Komplizen. Die Stadt selbst scheint ihm keine Zuflucht zu bieten – weder im Westen noch im Osten, wo man ihn umgehend wieder zurückschickt.

Kommissar Kasulke wirkt seltsam machtlos in diesem Gangstermilieu. Wie ein einsamer Wanderer in einer feindlichen Umgebung versucht er, das Dickicht aus Lügen und Verrat zu durchdringen. „Wir suchen einen, der sich versteckt, weil er Angst hat – und die anderen suchen ihn auch“, erklärt er lakonisch seinem Assistenten. Sein biederes Auftreten steht in krassem Gegensatz zur schillernden Erscheinung des Bandenbosses Jerry.

In einer von Zigarrenrauch geschwängerten Bar treffen die Kontrahenten schließlich aufeinander. Die Spannung knistert förmlich, als Jerry mit seinem imposanten Oldsmobile vorfährt. Seine goldene Halskette glänzt im Halbdunkel, während er mit seinen Schlägern „Frankenstein“ und Stocker den flüchtigen Laschke in die Enge treibt. Der Flüchtling wirkt zunächst wie ein verschrecktes Tier – doch er hat sich längst bewaffnet und dreht den Spieß um.

Was folgt, gleicht einer modernen Gladiatoren-Arena: Auf einer trostlosen Müllkippe kommt es zum Showdown zwischen Laschke und Jerry. Der einstige Unterwürfige demütigt seinen früheren Boss, der im Dreck kriechend um sein Leben fleht. Die Hierarchie der Ganovenszene wankt, als Jerrys eigene Leute sich von ihm abwenden und in Laschke ihren neuen Anführer sehen. Doch in den schmuddeligen Hinterzimmern des „Rattennests“ lauert längst eine neue Gefahr. Wie ein Kartenhaus droht Laschkes neuer Status zusammenzubrechen, als Jerry dessen Sohn in seine Gewalt bringt und so ein perverses Spiel um Macht, Geld und Rache beginnt.

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Rattennest“ wurde vom Sender Freies Berlin (SFB) produziert und am 8. Oktober 1972 als 22. Folge der Reihe erstausgestrahlt. Die Dreharbeiten fanden im Frühjahr 1972 an verschiedenen Originalschauplätzen in West-Berlin statt, wobei Regisseur Günter Gräwert und Kameramann Horst Schier dem Film eine für die damalige Fernsehproduktion ungewöhnlich cineastische Qualität verliehen.

Die Besetzung vereint eine Reihe namhafter Schauspieler: Paul Esser verkörpert zum zweiten und letzten Mal Kommissar Kasulke, dessen Rolle im Film jedoch erstaunlich passiv bleibt. Die eigentliche Hauptfigur ist der Gangsterboss Jerry, dargestellt von Götz George, der neun Jahre später als Duisburger Kommissar Schimanski zu einem der bekanntesten „Tatort“-Stars werden sollte. In weiteren Rollen glänzen Ingrid van Bergen als Jerrys Freundin Petra, Herbert Fux als brutaler Schläger „Frankenstein“, Willy Semmelrogge als zwielichtiger Nachtclubbesitzer und in einer kleinen Nebenrolle der damals noch als Filmschauspieler wenig bekannte Dieter Hallervorden.

Stilistisch setzt sich „Rattennest“ deutlich vom ersten Berliner „Tatort“ „Der Boss“ ab. Während das Drehbuch von Johannes Hendrich stammt, der auch den Vorgänger verfasste, kreiert Gräwert hier einen fast kinotauglichen Film mit bemerkenswerten Bildern. Ein besonderes Markenzeichen ist der völlige Verzicht auf Filmmusik – Atmosphäre entsteht durch Alltagsgeräusche und eingespielte Songs, allen voran Isaac Hayes‘ berühmte Titelmelodie aus dem Kinofilm „Shaft“, die erklingt, wenn Jerry und seine Bande durch Berlin cruisen.

Bei seiner Erstausstrahlung erreichte „Rattennest“ eine beachtliche Einschaltquote, doch trotz des Erfolgs blieb es bei nur zwei Fällen für Kommissar Kasulke. In Erinnerung bleibt die Episode vor allem als ein frühes Beispiel für Götz Georges schauspielerische Bandbreite, lange bevor er mit Schimanski Fernsehgeschichte schreiben sollte.

Besetzung

Kommissar Kasulke – Paul Esser
Roland – Gerhrad Dressel
Herta – Carla Hagen
Thomas – Angelo Kanseas
Bernd Latschke – Jan Groth
Jerry – Götz George

Stab

Regie: Günter Gräwert
Kamera: Horst Schier
Buch: Johannes Hendrich
Szenenbild: Oskar Pietsch