Tatort Folge 100: Ein Schuss zuviel

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Erscheinungsjahr: 1979
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Kommissar: Haferkamp

Kurz und knapp – darum geht’s

Zwei Untersuchungshäftlinge fliehen unter Geiselnahme aus der JVA, doch vor dem Gefängnistor wird einer der beiden von Wachtmeister Jakobs erschossen. Kommissar Haferkamp steht vor einem Dilemma, als der Kollege Wörlemann behauptet, Jakobs habe unnötig geschossen, obwohl sich der Häftling bereits ergeben hatte. Der flüchtige Tomi Selzer wäre der einzige Zeuge, der die Wahrheit ans Licht bringen könnte – doch er verweigert sich der Polizei, da er selbst unschuldig im Gefängnis saß und nun wegen der Geiselnahme mit zusätzlicher Haft rechnen muss. Als Haferkamp alle Hebel in Bewegung setzt, um Selzers habhaft zu werden, gerät er in ein Netz aus Lügen, Intrigen und Loyalitätskonflikten, das unweigerlich zur Katastrophe führt…

Inhalt der Tatort-Folge „Ein Schuss zuviel“

Erschöpft und angespannt sitzt Wachtmeister Jakobs in der grauen Amtsstube, während die Neonröhren unbarmherzig jeden Schatten aus seinem blassen Gesicht vertreiben. Seine Hände zittern leicht, als er zum wiederholten Mal seine Version des Vorfalls zu Protokoll gibt: „Ich habe nur meine Pflicht getan – nach dem Warnschuss haben sie nicht reagiert.“ Haferkamp betrachtet ihn mit einem Blick, der Zweifel nicht verbergen kann. Der erfahrene Kommissar spürt, dass mehr hinter der Geschichte steckt, als Jakobs zugeben will.

Der Essener Hauptkommissar Heinz Haferkamp kämpft in diesem Fall nicht nur gegen die Uhr, sondern auch gegen seine eigene Müdigkeit. Wie ein schwerer Mantel legt sich die Erschöpfung über seine Schultern; jede Vernehmung, jedes Gespräch mit dem Staatsanwalt scheint ihn weiter auszulaugen. Die Ruhrpott-Tristesse, die ihn umgibt, spiegelt seinen inneren Zustand wider – verbraucht, grau, ohne Hoffnung auf Erholung.

„Den Wachtmeister Jakobs kenne ich seit zwanzig Jahren, der ist korrekt“, beteuert ein Kollege. Doch je tiefer Haferkamp gräbt, desto widersprüchlicher wird das Bild. Die Fahndung nach dem flüchtigen Tomi Selzer gleicht der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen des Ruhrgebiets, wo stillgelegte Zechen und verlassene Industrieanlagen zahllose Verstecke bieten. Zwischen den zwei Frauen in Selzers Leben – seiner eifersüchtigen Ex-Freundin Birgit Illich, die ihn aus Rache belastet hat, und seiner loyalen Verlobten Sisi Feldmann – liegt die Wahrheit über seine Unschuld begraben.

Im tristen Licht eines verregneten Nachmittags trifft Haferkamp schließlich auf Tomi Selzer, als dieser unvermittelt in seinem Dienstwagen auftaucht und ihn mit einer Waffe bedroht. „Ich gehe nicht zurück in den Knast – nicht für etwas, das ich nicht getan habe“, erklärt der Flüchtige mit zitternder Stimme. Der kurze Moment des Vertrauens zwischen Kommissar und Gesuchtem zerbricht, als Selzer die herannahenden Polizeibeamten bemerkt und panisch flieht. Die Spirale der Ereignisse dreht sich unaufhaltsam weiter, während über der ganzen Szenerie die drückende Last des Unausgesprochenen schwebt.

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Ein Schuss zuviel“ markiert einen besonderen Meilenstein: Es handelt sich um die 100. Folge der beliebten Krimireihe und den 17. Fall für Kommissar Haferkamp, gespielt vom charismatischen Hansjörg Felmy. Die Dreharbeiten fanden zwischen dem 23. November und dem 18. Dezember 1978 in Essen und West-Berlin statt, wobei die Kulisse des Ruhrgebiets mit seinen damals noch zahlreichen Industrieanlagen dem Film seine charakteristische Atmosphäre verleiht.

An der Seite von Felmy brilliert Willy Semmelrogge als sein Assistent Kreutzer, während die Gastrollen hochkarätig besetzt sind: Thomas Ahrens verkörpert den flüchtigen Tomi Selzer mit einer Mischung aus Verzweiflung und Entschlossenheit. In den weiteren Rollen überzeugen unter anderem die Darsteller der beiden Vollzugsbeamten sowie der zwei Frauen, die um Tomi streiten.

Bei der Erstausstrahlung am Pfingstmontag, dem 4. Juni 1979, erreichte die Jubiläumsfolge einen beachtlichen Marktanteil von 36 Prozent und festigte damit den Ruf der Tatort-Reihe als Publikumsmagnet. Bemerkenswert ist die musikalische Untermalung: Im Film werden mehrfach längere Instrumentalteile aus dem Song „Firth of Fifth“ der Rockband Genesis verwendet, was für die damalige Zeit eine ungewöhnliche Soundtrackwahl darstellte.

Nach der Ausstrahlung wurde besonders die differenzierte Darstellung der Figuren und ihrer psychologischen Konflikte gelobt. Die Folge gilt bis heute als exemplarisch für die Haferkamp-Ära, die sich durch atmosphärische Dichte und soziale Relevanz auszeichnete und einen Kontrapunkt zu den späteren, actionreicheren Schimanski-Folgen aus dem Ruhrgebiet bildete.

Videos zur Produktion

ARD Plus Trailer

Besetzung

Kommissar Haferkamp – Hansjörg Felmy
Kreutzer – Willy Semmelrogge
Tomi Selzer – Thomas Ahrens
Birgit Illich – Michaela May
Sisi Feldmann – Nora Barner
Rudi Jakobs – Herbert Stass
Günther Wörlemann – Friedrich-Georg Beckhaus
Frau Jakobs – Vera Kluth
Friedrich-Georg Backhaus (Wörlemann)
Jürgen Draeger (Staatsanwalt)
Horst Pinnow (Gefängnisdirektor)
Henning Gissel (Aufsichtsbeamter)
Hans Beerhenke (Aufsichtsbeamter)
Karl Friedrich (Aufsichtsbeamter)
Helmut Kraus (Aufsichtsbeamter)
Gisela Zülch (Ärztin)
Conny Palme (Steiger)

Stab

Drehbuch – Wolfgang Mühlbauer
Regie – Hartmut Griesmayr
Kamera – Kai Borsche
Szenenbild – Susanne Quendler
Kostüme – Regine Baetz
Produzent – Jürgen Sehmisch

12 Kommentare

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  1. vor 9 Jahren

    Der Tatort 100. Die Nummer ist würdig für einen der besten und beliebtesten Tatort-Kommissare dieser langen Krimiserie. Hauptkommissar Haferkamp aus Essen ermittelt in diesem Polizeifilm aus dem Jahr 1979 zusammen mit seinem engen Kollegen, Kriminalhauptmeister Kreutzer, im Falle eines Tötungsdeliktes während eines Gefängnisausbruches. Ungereimtheiten bei der Ausübung seines Wachdienstes bei einem Justizbeamten sowie Verfolgung des zweiten Ausbrechers durch die beiden gern gesehenen Mordermittler sind der Schwerpunkt dieses Tatort-Films. Während dessen Flucht passiert ein weiterer Mord, ein ziviler Wachmann muss dran glauben und was liegt näher, als den Flüchtigen zu verdächtigen. Leider nicht gerade einer der stärksten Tatort-Spielfilme aus der Haferkamp-Reihe und so langsam zeigt sich auf, dass seine Ära dem Ende entgegen geht. Aber ein durchaus sehenswerter Kriminalfilm um Schuld und Sühne und ein sehenswertes Zeitdokument des endenden 1970 Jahrzehnt. Bravo.

  2. vor 8 Jahren

    Prima Tatort, schon lange her. Aber von wem ist die Musik?

  3. vor 8 Jahren

    Das mit der Musik hat mir auch keine Ruhe gelassen, da ich mir 100%ig sicher war, daß ich sie kenne…
    Kein Wunder, denn es ist „Firth of fifth“ von Genesis aus der LP „Selling England by the Pound“ (eine meiner Lieblingsscheiben) und später live „Seconds out“…
    Ich war damals absoluter Fan der frühen Genesis! :)
    Mußte es einfach recherchieren, da mir die Melodie ständig im Kopf rumging…

  4. vor 8 Jahren

    Das ist mein absoluter Lieblingstatort. Ich habe ihn zum ersten Mal ca. 1996 im TV gesehen.
    Der Film zeichnet sich durch die schicksalhafte Eskalation aus, die einen Unschuldigen immer weiter in Schwierigkeiten bringt, obwohl er sich dagegen zu wehren versucht und dabei alle Perspektiven vernichtet. Das Thema Loyalität im Strafvollzug mit seinen Facetten Gerechtigkeit und Solidarität finde ich auch sehr interessant dargestellt.

    Zudem spielt der Tatort in meiner Heimatstadt Essen.
    Die Musik hat mich schon in den 90ern begeistert. Ich habe damals an den WDR geschrieben und mich nach der Musik erkundigt. Ich bekam ein mit Schreibmaschine ausgefülltes Formblatt auf dem der WDR bei der GEMA jedes Musikstück mit Dauer, Anfangs- Endzeit, Titel und Komponist gemeldet hat. Die o.g. Genesisplatte bereicherte kurz danach meine CD-Sammlung.

    Eine Frage stellt sich mir doch zur Location. Welche wurden in Essen, welche in Berlin genutzt. Auf welcher Zeche(wohl in Essen?) wurde das Finale gedreht?

  5. vor 8 Jahren

    Stimmt, das war einer der guten alten Tatorte der 70er. Keine Psychopaten-Täter wie so oft in den neueren Folgen. Ganz „normale“ Kriminelle oder Menschen, hier der Wachmann der versagt und schießt. Fehleinschätzungen, sprich menschliches Versagen bestimmen die Handlung.
    Und die Musik, mir ging es wie joern, ich saß Stunden am Turntable um das Stück von Genesis zu finden. War schön, mal wieder die Sammlung dieser Großartigen Band durchzuspielen.
    Alla Hopp!

  6. vor 8 Jahren

    Solide Story mit müde-resigniertem Haferkamp, die psychologische Spannung unter den Wärter-Kollegen gut dargestellt, etwas überdreht die Rolle der Birgit, gespielt von der noch jungen Michaela May. Herbert Stass sehr überzeugend. Viel Pott-Kolorit aus den Siebzigern, Musikauswahl erstklassig.

    Oben schrieb Oliver von den GEMA-Listen – ich bin „Radioheini“ und war mal beim WDR-Hörfunk (auch bei anderen deutschen Sendern). Nach jeder Sendung mußten alle gespielte Titel streng auf diese Listen von Hand protokolliert werden, was besonderen „Spaß“ machte. Dabei promoten doch gerade Radiostationen die Künstler durch gezieltes Airplay…

  7. vor 8 Jahren

    @Oliver: Die Zeche ist „Carl Funke“ in Heisingen. Sie wurde 1973 stillgelegt und 1985 abgerissen und renaturiert. Heute ist nur noch der Förderturm und ein Pumpenhaus übrig.

  8. vor 8 Jahren

    @Stefan
    Danke für die Location Info.
    Schön, dass der Turm noch übrig geblieben ist.
    Sehr traurig, dass das Gebäudeensemble weg ist.
    Weitere Fortsetzungen der Modernisierungskultur, der in Essen
    u.a. das alte Rathaus und die Scheidtschen Hallen zum Opfer fielen.
    In Ermangelung von Nutzungsideen und -willen ist das leider so.
    Anderes Thema.

  9. vor 6 Jahren

    Ausgezeichneter Tatort.
    Die dargestellte Problematik ist zeitlos, auch heute noch aktuell.

  10. vor 5 Jahren

    Kann mich den Vorrednern anschließen. Zeitloses Thema, wie sich die beteiligten Protagonisten die „Wahrheit“ zurecht biegen. Spezial die Ehefrau von Jacobs. Die schöne heile Fassade vom Mann aufrecht erhalten. Mit so einer Frau möchte ich keine 5 min zusammen sein. Über authentische Gefühle und Seelenqualen kann man mit der nicht reden. Wir alles verdrängt. Prima Zeitgeist. Damals sagte man: „Über so etwas redet man nicht!“

    Jeder redet dem anderen gut zu, damit er es so macht, dass es in die eigene heile Welt passt. Ansonsten herrliche Bilder. Bettwäsche und Tapeten.

    Nix mit Gender und so. Da gab es noch Fräuleins, die nicht abwertend als solche bezeichnet und angesprochen werden.

    Und Jacobs, man meint fasst er schlägt beim Gehen die Hacken zusammen.

    Echt herrlich und auch ein wenig traurig. Hatte am Ende sehr viel Sympathie für Tomi

  11. vor 3 Jahren

    Ja, der zeitweise resignierend wirkende Haferkamp bleibt in dieser Folge ebenso haften, wie sein gebrochenes Versprechen gegenüber Fräulein Feldmann in der Kneipe. Weiß jemand, welches Musikstück da in der Gaststätte läuft? Das hört sich für mich nach Bellamy Brothers oder ähnlichem an. Zur Zeche Carl Funke möchte ich noch – bevor jemand von weit her anreist und enttäuscht ist – präzisieren. Es steht heute noch das offene Fördergerüst über dem Schacht 1. Der geschlossene Förderturm mit Turmkopffördermaschine, erst Mitte der 1960-er Jahre über Schacht 2 errichtet und keine zehn Jahre im Förderbetrieb, wurde Mitte der 1980-er Jahre gesprengt. Davon gibt es Amateurfilmbilder, die der WDR einmal bei einer Baldeneysee-Reportage eingebaut hat.

  12. vor 3 Jahren

    Die Suche nach dem Lied in der Kneipe aus der Musikbox ist erledigt. Es handelt sich um „Handy Man“ von James Taylor.

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