Kurz und knapp – darum geht’s
Auf einem LKW mit Giftmüll, der von West-Berlin zu einer Deponie in der DDR transportiert werden soll, machen Arbeiter eine grausige Entdeckung: Ein Frauenarm ragt aus der kontaminierten Erde hervor. Hauptkommissar Bülow erkennt in dem Opfer eine Frau wieder, der er erst kürzlich zufällig in einem Restaurant begegnet war. Die Ermittlungen führen in ein Netz aus Werkspionage, Erpressung und komplexen deutsch-deutschen Beziehungen während der Zeit des Kalten Krieges. Als alle Indizien auf einen Verdächtigen hindeuten und Bülow eine Verhaftung vornimmt, beginnt er zu zweifeln, ob er einen schrecklichen Fehler begangen und jemanden verurteilt hat, der möglicherweise „schuldlos schuldig“ ist.
Inhalt der Tatort-Folge „Schuldlos schuldig“
Der graue Morgennebel hängt über dem Grenzübergang, als ein mit Giftmüll beladener LKW sich darauf vorbereitet, von West- nach Ost-Berlin zu fahren. Die Routine des Fahrers wird plötzlich unterbrochen durch einen erschreckenden Anblick: ein blasser Frauenarm, der aus der verseuchten Erde seiner Ladung herausragt. Hauptkommissar Hans Georg Bülow trifft am Tatort ein, sein wettergegerbtes Gesicht verrät keine Emotion, während er den Schauplatz dessen betrachtet, was einer seiner komplexesten Fälle werden wird.
Bülow, mit seinem charakteristischen Trenchcoat und seiner bedächtigen Art, trägt in dieser Ermittlung eine besondere Last. Er erkennt in dem Opfer, Claudia Lorek, eine Frau wieder, der er kürzlich in einem Restaurant begegnet war, wo sie, wie ihm jetzt klar wird, an einem konspirativen Treffen teilnahm. Diese persönliche Verbindung zum Opfer verfolgt Bülow während des gesamten Falls und trübt sein sonst so makelloses Urteilsvermögen mit Zweifeln und dem drängenden Bedürfnis, Gerechtigkeit zu finden.
Die Ermittlungen konzentrieren sich schnell auf den Elektronikfabrikanten Armin Denzel, den verheirateten Liebhaber des Opfers, dessen Grundstück die Quelle der kontaminierten Erde war. „Ich hatte nichts mit ihrem Tod zu tun“, beteuert er, doch die Beweise gegen ihn türmen sich auf wie die Mauer, die die Stadt teilt – imposant und scheinbar undurchdringlich. Als Bülow entdeckt, dass Claudia vertrauliche Dokumente fotografiert hat und sich mit einem Kontakt aus der DDR traf, verwandelt sich der Fall in etwas weitaus politisch Brisanteres.
Bülows Kollegin Sonja überquert die Grenze nach Ost-Berlin und navigiert durch die angespannten Formalitäten des Grenzübergangs wie eine Tänzerin, die präzisen, gefährlichen Schritten folgt. Dort entdeckt sie, dass Claudia in systematische Spionage verwickelt war und durch Täuschung mehrere Grenzübertrittsgenehmigungen erhalten hatte.
Währenddessen bewegt sich Sicherheitschef Dieter Meurer, der Claudia bei der Spionage ertappt und versucht hatte, sie sexuell zu erpressen, am Rande der Ermittlungen wie ein Schatten in der Dämmerung – präsent, aber leicht zu übersehen. Während Bülow die Schichten der Täuschung abträgt, verschwimmt die Grenze zwischen Opfer und Täter, genauso wie die Teilung zwischen Ost- und West-Berlin Familien und Leben mit brutaler Gleichgültigkeit durchschneidet.
Als Bruno Schlosser, Claudias Führungsoffizier aus der DDR, bei der Flucht zur Grenze gefasst wird, glaubt Bülow, der Fall sei gelöst. Doch etwas nagt an ihm – Teile, die eigentlich sauber zusammenpassen sollten, reiben aneinander wie rostige Zahnräder. Als Bülow seinen anhaltenden Zweifeln nachgeht, ahnt er noch nicht, dass das Finden des wahren Mörders zu verheerenden Konsequenzen führen könnte, die tiefgreifende Fragen über Gerechtigkeit, Schuld und den ultimativen Preis der Wahrheit aufwerfen werden…
Hinter den Kulissen
„Schuldlos schuldig“ wurde vom Sender Freies Berlin (SFB) produziert und stellt den vierten Fall für Hauptkommissar Bülow dar, verkörpert vom Schauspielveteranen Heinz Drache. Die Episode wurde zwischen Mai und November 1986 in West-Berlin gedreht und fängt die authentische Atmosphäre des Kalten Krieges weniger als drei Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer ein. Zum Produktionsteam gehörten Olaf Schiefner, verantwortlich für das Szenenbild, und Brigitte Kocadag, zuständig für die Kostüme.
Die Besetzung umfasste Rolf Becker, Claudia Demarmels und Peter Schiff in wichtigen Nebenrollen, die einer komplexen Geschichte von Spionage und moralischer Zweideutigkeit Tiefe verliehen. Diese Episode markierte Draches Rückkehr zur Bülow-Figur nach einer fast zweijährigen Pause, wobei er sich seinem nach Meinung vieler Kritiker komplexesten und fesselndsten Fall stellte.
Als „Schuldlos schuldig“ am 28. Februar 1988 Premiere feierte, erlebten die Zuschauer ein Krimidrama, das mutig zahlreiche sensible Themen ansprach: Umweltskandale, deutsch-deutsche Beziehungen, Industriespionage, sexuelle Nötigung und persönliche Tragödien. Während einige Kritiker anmerkten, dass die Handlung stark auf Zufällen basiere, betrachteten andere sie als die stärkste der Bülow-Ära Tatort-Episoden.
Die Folge erlangte erneute Aufmerksamkeit, als sie zusammen mit anderen Bülow-Episoden 2017 digital restauriert wurde, mit einer speziellen Ausstrahlung auf dem RBB Ende 2018. Interessanterweise wurden diese restaurierten Episoden aufgrund von Rechtsfragen nie in der ARD Mediathek zur Verfügung gestellt, was sie zu eher seltenen Einträgen im umfangreichen Tatort-Katalog macht.
Besetzung
Jürgen Kluckert (Kommissar Matthias Leuschner)
Maximilian Wigger (Assistent Öllerink)
Horst Schön (Stegmüller)
Almut Eggert (Sonja Bach)
Rolf Becker (Armin Denzel)
Claudia Demarmels (Claudia Lorek)
Hans-Werner Bussinger
Edeltraut Elsner
Gudrun Genest
Ursula Gerstel
Antje Hagen
Klaus Jurichs
Arnfried Lerche
K. U. Meves
Klaus Mikoleit
H. H. Müller
Hans Nitschke
Rainer Pigulla
Horst Pinnow
Peter Schiff
Eric Vaessen
Stab
Regie -Thomas Engel
Buch – Peter Scheibler
Kamera – Michael Marszalek
Schnitt – Barbara Herrmann
Musik – Friedrich Scholz
Produktion – SFB
Kriminalhauptkommissar Hans-Georg Bülow will mit seiner Freundin Sonja Bach im Nobelrestaurant
„La Puce“ zu Abend speisen. Da kein Tisch frei ist, setzen sie sich zu einer ihnen unbekannten jungen Frau. Diese stellt sich als Claudia vor und bittet die Beiden, sich als alte Bekannte von ihr auszugeben. Ein Bekannter von ihr wolle sie irgendwohin mitnehmen, wo sie nicht hinwolle. Bülow und Frau Bach sind einverstanden.
Tage darauf liegt Claudias Leiche in der Pathologie und Hans-Georg Bülow soll den Mord an ihr
aufklären…
Schnell gerät der dubiose Bauunternehmer Denzel in Verdacht und Bülow verhaftet ihn. Doch er muß erkennen, dass er vorschnell gehandelt hat…
Interessanter Fall für Hauptkommissar Bülow, noch zu Zeiten der Berliner Mauer. Der Mörder wollte nach Ostberlin flüchten, doch kurz vor der Grenze wird er noch festgenommen.
Der Tatort Nummer 202. Den habe ich noch nicht gesehen. An diesem Wochenende der Erstausstrahlung zog ich gerade vom Rheinland in das Ruhrgebiet, der Karriere wegen und hatte Tatorte in der neuen Wohnung ohne Ende. Dieser Spielfilm ist, so meine ich, nicht gerade der stärkste von dem Spezialisten der Berliner Mordkommission Hauptkommissar Bülow, auch wenn sein Chef ein ständiges Gratulationsepos über ihn ausschüttete. Seine unnachahmliche vornehme Zurückhaltung verliert er hierbei aber auf keinen Fall. Verdächtige in einem Frauenmordfall werden verhaftet, Spione ebenfalls. Die Schlinge zieht sich um den gemeinen Mörder immer mehr zusammen, bis er, von Pein über sich selbst, auch gesteht. Ein unschuldig Verdächtiger, Unternehmer und Familienvater, nimmt sich das Leben. Der Mörder wollte das Opfer in Ostberlin entsorgen und meinte wohl, daß man gerade dort drüben eine Leiche verschwinden lassen kann. Geirrt! Die, da drüben, hätten so wie so alles dreimal umgedreht und haben wirklich bis zum Schluß geäugelt. Woher man das weiß ???
Hervorragend. Raffiniert verknäuelte Dramatik, jedenfalls in der ersten Hälfte.
Eine Augenweide.
Also es ist wirklich erstaunlich. Ich habe im letzten halben Jahr die ersten 200 (und mit denen aus Österreich ein paar mehr) Tatorte angeschaut. Wenn man das so komprimiert sieht, fällt überdeutlich auf, dass in mindestens drei Viertel der Folgen eines der Motive oder zumindest ein wichtiger Aspekt ist, dass ein Mann seine Frau betrügt, eine Frau ihren Mann, oder beides. Das scheint ja in den Köpfen der Autoren eine große Rolle zu spielen. Meiner Erinnerung nach lässt das später irgendwann nach.