Kurz und knapp – darum geht’s
Ein vermeintlicher Selbstmord wird zum Fall für Kommissar Franz Markowitz: Der Tod des Varieté-Künstlers Gabriel Burow wurde vor über einem Jahr als Suizid zu den Akten gelegt, doch seine Witwe glaubt nicht an die offizielle Version. Als Markowitz während einer Silvestervorstellung im Wintergarten Varieté auf die verzweifelte Frau trifft, lässt ihn ihr Schicksal nicht los. Seine inoffizielle Prüfung der geschlossenen Akten enthüllt bald eine vage Spur, die ihn in ein Berliner Altenheim führt – und zu einer düsteren Verbindung nach Lettland, der Heimat des toten Artisten. Als Markowitz auf eine Gruppe von Altnazis und deren Neonazi-Nachfolger stößt, gerät er selbst in Lebensgefahr…
Inhalt der Tatort-Folge „Geschlossene Akten“
Schlaflos blickt Kommissar Franz Markowitz in der Silvesternacht aus dem vereisten Fenster seines Büros auf das nächtliche Berlin. Die Lichter der Stadt verschwimmen im eisigen Nebel, während Böller in der Ferne knallen. Der Jahreswechsel zu 1994 steht bevor, doch festliche Stimmung will bei ihm nicht aufkommen. Erst als sein Assistent Pohl ihn zur Neujahrsgala ins Varieté Wintergarten einlädt, verlässt er widerwillig sein Büro.
Die glitzernde Welt des Varietés bildet einen scharfen Kontrast zu Markowitz‘ eigener melancholischer Grundstimmung. Während er den Künstlern auf der Bühne zuschaut, bemerkt er, wie eine Frau unter den Zuschauern plötzlich zusammensackt. Renate Burow, die Witwe eines vor über einem Jahr verstorbenen Varieté-Künstlers, wird von schmerzhaften Erinnerungen überwältigt. Sie kann nicht glauben, dass ihr Mann freiwillig aus dem Leben geschieden ist – obwohl die polizeilichen Akten bereits geschlossen wurden.
Markowitz, der sein Leben der Wahrheitssuche verschrieben hat, kann ihre verzweifelten Bitten nicht ignorieren. Seine erste Durchsicht der Akten bestätigt zwar die Arbeit seiner Kollegen, doch ein Detail lässt ihn aufhorchen: Ein BVG-Ticket in Burows Manteltasche zeigt, dass er am Tag vor seinem Tod ein Altenheim in Charlottenburg besucht hatte. Die Befragung der Besucher der letzten Vorstellung, bei der Burow plötzlich erstarrt war, führt Markowitz in eben dieses Heim.
Zwischen kahlen Gängen und dem Geruch von Desinfektionsmitteln stößt der Kommissar auf Walter Beerendorf, einen Heimbewohner mit dunkler Vergangenheit. In dessen Zimmer entdeckt Markowitz beunruhigende Erinnerungsstücke aus dem Dritten Reich, und ein aus der Wand herausgelöstes Bild wirkt wie eine klaffende Wunde in der mit brauner Nostalgie tapezierten Vergangenheit.
„Den Mann kenne ich nicht“, beteuern die Heimbewohner beim Anblick von Burows Foto. Doch die ältere Frau Seitz vertraut Markowitz an, dass Burow einen Tag vor seinem Tod eine heftige Auseinandersetzung mit Beerendorf hatte. „Er hat mit dem Staatsanwalt gedroht“, flüstert sie, als fürchte sie selbst die Konsequenzen dieser Aussage.
Die Ermittlungen führen Markowitz zu einer Landmaschinenfirma in Spandau mit Verbindungen nach Lettland – Burows Heimat. Wie Puzzleteile eines düsteren Bildes fügen sich die Fragmente zusammen: Beerendorf ist in Wahrheit der gesuchte SS-Obersturmführer Reimann, verantwortlich für die Auslöschung von Burows Heimatdorf. Die Firma Perschke, deren Inhaber ein führender Neonazi ist, schützt alte Kriegsverbrecher und handelt mit Waffen.
Die Suche nach Gerechtigkeit gleicht für Markowitz dem Gang durch ein Minenfeld – je näher er der Wahrheit kommt, desto gefährlicher wird es. Als er herausfindet, dass Beerendorf selbst einem fingierten Verkehrsunfall zum Opfer fiel, wird klar: Diese Kreise schrecken vor nichts zurück, um ihre Vergangenheit zu schützen.
In einer spannungsgeladenen Konfrontation auf einem Neonazi-Treffen in Falkensee stellt Markowitz Perschke senior mit der Wahrheit über zwei Morde – an Burow und Beerendorf – und lässt ihn abführen. Doch die Erleichterung über die gelösten Fälle kann die Bitterkeit darüber, dass Perschke wohl nur für den Waffenschmuggel, nicht aber für die Morde verurteilt werden kann, kaum überdecken.
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Geschlossene Akten“ (Folge 296) wurde vom Sender Freies Berlin (SFB) produziert und am 4. September 1994 erstmals in der ARD ausgestrahlt. Es handelt sich um den siebten Fall mit Kriminalhauptkommissar Franz Markowitz, verkörpert durch den renommierten Charakterdarsteller Günter Lamprecht, der auch am Drehbuch mitarbeitete.
Die Regie führte Matti Geschonneck, der gemeinsam mit Hauptdarsteller Günter Lamprecht auch das Drehbuch verfasste. Dies erklärt, warum die Figur des Markowitz besonders facettenreich und authentisch wirkt – Lamprecht schrieb sich die Rolle buchstäblich auf den Leib.
Mit einer ungewöhnlichen Länge von 102 Minuten überschritt diese Tatort-Folge deutlich das damalige Standardformat von 87-89 Minuten. Die Dreharbeiten fanden an verschiedenen Berliner Schauplätzen statt, darunter das historische Wintergarten Varieté, das auch heute noch in ähnlicher Form existiert, verschiedene Locations in Spandau und im damals noch weniger gentrifiziertem Falkensee am Stadtrand.
In den Hauptrollen brillierten neben Günter Lamprecht als Kommissar Markowitz auch Hans Nitschke als Kommissar Pohl, Jutta Wachowiak als trauernde Witwe Renate Burow und Renate Schroeter als Heimleiterin Uschi Lemke. In Nebenrollen waren unter anderem H.W. Hamacher als Walter Beerendorf und der beliebte Entertainer Robert Kreis als Conferencier zu sehen.
Bei seiner Erstausstrahlung erreichte „Geschlossene Akten“ 7,64 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 25,3 %. Der Film wurde für seinen authentischen Blick auf die Neonazi-Szene im wiedervereinigten Berlin gelobt, aber auch für seinen bewusst langsamen, fast melancholischen Erzählstil, der sich deutlich von heutigen, schneller geschnittenen Krimis unterscheidet.
Interessant ist die zeitgeschichtliche Einordnung: Nach der Wiederausstrahlung 2001 wurde der Film sieben Jahre lang nicht im Fernsehen gezeigt, bis der Westdeutsche Rundfunk ihn wieder ins Programm nahm. Fans der Berliner Tatort-Reihe schätzen „Geschlossene Akten“ als einen der besten Fälle des nur achtmal zwischen 1991 und 1995 ermittelnden Kommissars Markowitz.
Besetzung
Hauptkommissar Markowitz – Günter Lamprecht
Kommissar Pohl – Hans Nitschke
Kriminalrat Heide – Thomas Schendel
Beate Berger – Claudia Balko
Renate Burow – Jutta Wachowiak
Uschi Lemke – Renate Schroeter
Istvan – Janusz Cichocki
Walter Beerendorf – H.W. Hamacher
Conferencier – Robert Kreis
Lisa Pohl – Andrea Brix
Stab
Kamera – Wolfram Beyer
Regie – Matti Geschonneck
Musik – Ulrich Gumpert
Ausstattung – Gerd Staub
Buch – Günter Lamprecht
Buch – Matti Geschonneck
Bilder: WDR/SFB
Ein sehr guter Tatort, ungewöhnlich, aber realistisch. Markowitz ist ja nicht der typische Kommissar, und wo anderen die Pistole locker sitzt, hört er lieber zu und recherchiert gründlich, um dann zuzuschlagen. absolut sehenswert!
Diethelm
Der Tatort Nummer 296 mit dem Berliner Hauptkommissar Markowitz. Ein interessanter Tatort-Kriminalfilm, Markowitz recherchiert einen älteren, bereits zu den Akten gelegten Selbstmordfall, deckt diesen letztendlich als Mord auf und stößt auf Verbrechen aus der Kriegszeit um 1945. Aus Angst vor Enttarnung alter Seilschaften geschieht ein weiterer Mord, ein Altenheimbewohner muß dran glauben, gemeuchelt von seinem ebenfalls in die Jahre gekommenen ehemaligen Adjutanten aus der gemeinsamen Wehrdienstzeit. Da auch der Zeuge dieser miesen fiesen Tat sein Leben lassen musste, kommt der ehemalige Adju doch tatsächlich ein weiteres Mal ungeschoren davon. Bei dieser Story ist der nebenher aufgedeckte internationale Waffenhandel schon in den Hintergrund geschoben worden. Ein in einigen Szenen sehr langatmig wirkender Tatort-Spielfilm, welcher aber dennoch nicht ganz in die große Schublade der Filmgeschichte verschwinden sollte. Günter Lamprecht schrieb das Buch, ja, und kanzelte den bösen Wicht zumindest verbal übelst ab.
Ein Tatort mit Markowitz als wunderbare Kommissar Musik. Dazu wunderbare Bilder aus einem Berlin der 90er. Markowitz auf dem Balkon ein epischer Moment wunderschön. Die Momente mit der chilligen Jazzmusik haben perfekt gepasst in die Atmosphäre. Das kann nur Edgar Froese mit Tangerine Dream besser
This great episode starts with clowns and ends with Nazis. A well made film, good story, moody as always with the walking-alone-at-night-accompanied-by-a-jazzy-score. He is a little less lonesome though, because Markowitz meets a woman.