Kurz und knapp – darum geht’s
In Stuttgart wird der Besitzer einer Boxerkneipe ermordet aufgefunden – ausgerechnet nach einem heftigen Streit mit dem ehemaligen Profiboxer Piet Michalke, der unter Gedächtnisstörungen leidet und sich an nichts erinnern kann. Kommissar Ernst Bienzle hegt jedoch Zweifel an Piets Schuld und stellt bald eine Verbindung zu einem weiteren Mordfall her: Ein Bankdirektor wurde kurz zuvor erhängt an der Neckarbrücke entdeckt. Als dem Ermittler klar wird, dass Piet Zeuge eines nächtlichen Geschehens geworden ist, bei dem zwei Männer etwas Schweres in ein Auto verladen haben, ahnt er noch nicht, in welch lebensgefährliche Situation der ahnungslose Boxer durch sein Wissen geraten ist…
Inhalt der Tatort-Folge „Bienzle und der Champion“
Verbissen schlägt Piet Michalke auf den Sandsack ein, während der Schweiß in Strömen fließt. Seine Fäuste fliegen wie automatisch, sein Blick ist entschlossen. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich ein Mann, dessen Karriere durch einen schweren Ringunfall zerstört wurde – und dessen Gedächtnis seither löchrig ist wie ein alter Boxhandschuh. Die Ärzte haben ihm kategorisch vom Boxen abgeraten: „Ein weiterer Kampf könnte tödlich enden“, hatten sie gewarnt. Aber Piet, getrieben von seinem Traum, noch einmal im Rampenlicht zu stehen, trainiert heimlich weiter im Camp seines besten Freundes und ehemaligen Promoters Rico Rottmann.
Kommissar Ernst Bienzle, der stets bodenständige Stuttgarter Ermittler mit Vorliebe für gutes Essen und klare Fakten, wird an einem nasskalten Morgen zum Boxtreff gerufen. In der angeschlossenen Kneipe liegt der Besitzer Jaco Riewers in einer Blutlache – erschossen. „Der hatte ein loses Mundwerk und hat immer wieder Streit gesucht“, berichtet eine Angestellte und fügt hinzu: „Besonders mit Piet Michalke gab’s ständig Ärger. Die beiden haben sich erst gestern wieder heftig gestritten.“ Für Bienzles Kollegen scheint der Fall klar, zumal bei der Durchsuchung von Piets Zimmer die Tatwaffe gefunden wird. Doch der Kommissar bleibt skeptisch. Etwas an dem vermeintlich einfachen Szenario will ihm nicht gefallen.
„Ich kann mich an nichts erinnern“, beteuert Piet mit leerem Blick im Verhörraum. Seine Worte hallen im fensterlosen Raum wie in einem leeren Boxring wider. Seine Gedächtnisstörungen machen ihn zum perfekten Verdächtigen – oder zum perfekten Opfer eines raffinierten Plans. Bienzle, der stets wie ein Schachspieler mehrere Züge vorausdenkt, spürt instinktiv, dass hinter der Fassade des einfachen Mordfalls mehr verborgen liegt.
Die Ermittlungen führen Bienzle in die schillernde Welt der Großinvestoren, als er eine Verbindung zum kürzlich ermordeten Bankdirektor Constantin Wanner herstellt. Dessen Leiche wurde erhängt an der Neckarbrücke gefunden – ein angeblicher Selbstmord, der keiner war. Wie ein Puzzlestück, das plötzlich an die richtige Stelle fällt, kommt Bienzle ein Gedanke: „Was, wenn beide Morde zusammenhängen?“
In Piets fragmentierter Erinnerung taucht ein nächtliches Bild auf: zwei Schatten, die etwas Schweres zu einem Pickup tragen. „Die Suche nach den wahren Tätern gleicht einem Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner“, murmelt Bienzle, während er durch die kalten, neonbeleuchteten Gänge des Boxcamps streift, das in seiner herben Funktionalität so gar nicht zu den glitzernden Hochhausplänen passt, die bei den Unterlagen des toten Bankiers gefunden wurden.
Als Bienzle schließlich die Wahrheit erkennt, muss er einen verzweifelten Wettlauf gegen die Zeit beginnen. Denn ausgerechnet an diesem Abend wird Piet – gegen alle ärztlichen Warnungen – in den Ring steigen. Was für die Zuschauer ein spektakulärer Kampf werden soll, könnte für den ahnungslosen Boxer, der zu viel gesehen hat, zum tödlichen Finale werden…
Hinter den Kulissen
Die Tatort-Folge „Bienzle und der Champion“ wurde vom Süddeutschen Rundfunk produziert und feierte am 23. August 1998 als 394. Episode der Krimireihe ihre Premiere im Ersten Deutschen Fernsehen. Unter der Regie von Dieter Schlotterbeck entstand der achte Fall des Stuttgarter Ermittlers Ernst Bienzle, gespielt von Dietz Werner Steck. Das Drehbuch stammte aus der Feder des renommierten Autors Felix Huby, der auch die literarische Figur des schwäbischen Kommissars erschaffen hatte.
Die Dreharbeiten fanden im Winter 1997/98 in Stuttgart und Umgebung statt, wobei insbesondere die authentischen Locations aus der Boxszene dem Film seine besondere Atmosphäre verleihen. In den Hauptrollen glänzen neben Dietz Werner Steck als Kommissar Bienzle der Schauspieler Ben Becker als angeschlagener Boxer Piet Michalke. Für diese Rolle hatte Becker monatelang Boxtraining absolviert und knapp fünf Kilogramm abgenommen, um möglichst glaubwürdig zu wirken.
Für besonderes Aufsehen sorgte die Besetzung von Dariusz Michalczewski, dem damaligen Boxweltmeister im Halbschwergewicht, der in diesem Tatort sein Schauspieldebüt gab. In einer vielbeachteten Duschszene mit Ben Becker sorgte der „Tiger“, wie Michalczewski genannt wurde, für Authentizität im Boxermilieu. Weitere bekannte Gesichter in Nebenrollen waren Martin Semmelrogge als Kneipenwirt Jaco Riewers, Claude-Oliver Rudolph als Boxpromoter Rico Rottmann und Arthur Brauss als dubioser Immobilieninvestor.
Bei seiner Erstausstrahlung erreichte „Bienzle und der Champion“ eine beachtliche Einschaltquote von 7,38 Millionen Zuschauern, was einem Marktanteil von 23 Prozent entsprach. In der Kritik wurde besonders die ungewöhnlich actionreiche Inszenierung für einen schwäbischen Tatort hervorgehoben, die dem sonst eher ruhigen, analytischen Ermittlerstil von Bienzle einen spannenden Kontrast bot. Nach der Ausstrahlung wurde in Fankreisen besonders über die gesellschaftskritischen Untertöne des Films diskutiert, der die Verbindungen zwischen Hochfinanz und Sportgeschäft kritisch beleuchtet und die Frage aufwirft, wie weit Menschen für Ruhm und Erfolg zu gehen bereit sind.
Hallo,
weiß jemand, wie das Lied heißt und von wem es ist, welches in der Szene gespielt wird, wo Jaco eine neue Tanznummer vorgeführt bekommt, mit zwei Mädels und einem Jungen als Tänzer. Es ist so eine Gospel-House-Nummer, irgendwas mit Holiday oder Celebrate im Refrain, ich bekomms nicht mehr zusammen. Kann jemand helfen?
Danke,
Bert
Starke Folge…ganz klar 5 Sterne…absolut sehenswert
Der Tatort Nummer 394 aus Stuttgart. Der zuständige Hauptkommissar Bienzle, von der dortigen Mordkommission, ermittelt in anfangs unabhängig von einander liegenden Mordfällen. Betroffen ist das Milieu des Box-Sports sowie die schöne Scheinwelt der Banken. Es entwickelt sich ein kriminalistischer und sehr spannender Tatort-Krimi, welchen man äußerst angespannt verfolgen kann. Mit ausschlaggebend hierfür ist, neben dem hervorragenden Drehbuch von Felix Huby und der guten Regiearbeit von Dieter Schlotterbeck, auch die hervorragende Besetzungsliste der Schauspieler, Spitzendarsteller im deutschen Fernsehen und in der Realität auch im Kampfsport. Ich meine mit einer der besten Tatort-Streifen und sehr sehens- und wiederholungswert. Wirklich.
Da gehen die Meinungen weit auseinander,ich fand die Folge Sehr Gut gemacht.Wann erscheint sie
endlich auf DVD ??
Ganz starke Bienzle Vorstellung. Mit viel fetziger Musik und viel geboxe. Allerdings hier mal spannend und ganz stark besetzt. Bester Bienzle Bomben Folge. Arthur Brauss auch dabei neben Semmelrogge, Becker und Rudolph. 4,6 Sterne
Hier durfte der junge Ben Becker in einer kurzen Dusch-Szene sein Gemächt zeigen. Naja, wem´s gefällt … (die Boxer-Szene wurde ganz gut dargestellt, die sonstigen Handlungen des Krimis wirkten aus heutiger Sicht allerdings sehr „altbacken“ bzw. vorhersehbar)
Wie die Vorschreiber schon schrieben: Klasse Gang, die man da zusammengebracht hat!
Zwei unterschiedliche Milieus auf unheilvolle Weise miteinander verknüpft – da haben sich die Richtigen gefunden.
Zum Auftakt hängt eine Leiche von einer Brücke herunter – fällt einem da nicht gleich die Londoner Blackfriars Bridge ein, an der 1982 Roberto Calvi, der „Bankier Gottes“ (Banco Ambrosiano), erhängt aufgefunden wurde?
Vom Kriminalistischen her wären für diese Folge nur 2 Sterne zu vergeben, zu dünn und durchsichtig die Story (liegt beim „Filmbösewicht Nr. 1“ Claude-Oliver Rudolph ja nahe – man gugle mal „Ebbies Bluff“ von 1993), aber die Darstellerriege sorgt für den 3. und die authentische Darstellung des Milieus beschert den 4. Stern.
Grinst beim Interview am Ende des Presse-Termins, bei dem Rudolph den nassforschen Journalisten ausknockt, im Hintergrund nicht Eberhard (gen. Ebby) Thust in die Kamera? Seinerzeit eine Größe im Boxgeschäft (u.a. mit dem Tiger Michalczewski), mit einer äußerst bunten Biografie!
Eine sehr zeitgeistige Folge, in den goldenen 90er-Jahren boomte der Boxsport, war richtig populär, beinahe jeden Monat gab’s einen Kampf live im ÖR- wie im Privat-TV, die Klitschkos, die Brüder Rocchigiani, der Tiger natürlich, Henry ‚Gentleman‘ Maske, Sven Ottke, Axel Schulz et al. – heute ist die Szene so gut wie tot…
Einige schöne Szenen bot der Film, so die doppelte 360-Grad-Kamerafahrt um Bienzle & seine Hannelore am Tisch im Restaurant (Bienzle ordert das Modegesöff Prosecco statt Trollinger!) – Michael Ballhaus machte ihn einst in Fassbinders Psychothriller ‚Martha‘ populär; die Kampfatmosphäre im Ring fing die subjektive Kamera (Steadycam) sehr schön ein.
Ein paar Sprüche wie „Recherchieren statt Rasieren“ würzten ebenso wie solche Dialoge: „Wie soll ich ihnen das in’n paar Worten erklären?“, fragt der schnöselige Banker. „Ooch, bilden sie ruhig ganze Sätze, wir haben Zeit“, entgegnet Bienzle.
War das Gespräch im Gefangenentransporter so geschickt angelegt, um Piets Zustand zu überprüfen? „Ihren Kampf damals gegen Laszlo Papp hab ich gesehen, live in der Schleyer-Halle“.
Mit der Antwort „In der Fünften ist der schon zweimal zu Boden gegangen“ war Bienzle klar, daß es um dessen geistige Gesundheit nicht gut bestellt ist (der Dreifach-Olympiasieger Papp hatte seine beste Zeit zwischen 1948 und 1956).
Am Rande notiert:
Werbung für Hasseröder und Taxofit, unkaschiert, damals hatten die Sendeanstalten wohl keine Problem hinsichtlich Schleichwerbung.
Und zu guter Letzt der Abspann:
Mich ärgert, obwohl erwähnt, daß der Darsteller des hypnotisierenden Psychotherapeuten nirgendwo, weder hier noch bei den Kollegen vom tatort-fundus Erwähnung findet; bei Wikipedia ist ihm fälschlich die Rolle eines Bankers zugeschrieben – deshalb sei er hier korrekt notiert:
Gerd Udo Feller.
Aber warte, geht noch weiter: Besonderer Dank an
– Landespolizeidirektion Stuttgart – ok
– Fitness-Centrum Langer Stuttgart – ok
– Hells Angels Stuttgart – Hä?
Die werden doch nicht etwa eine „Aufwandsentschädigung“ aus dem Gebührentopf bekommen haben?