Kurz und knapp – darum geht’s
Auf einem Gutshof am Münchner Stadtrand wird der allseits unbeliebte Schäfermeister Jost Schulze erstochen in seinem Wohnwagen gefunden – daneben ein aufgespießter Schafskopf als makabre Botschaft. Die Kommissare Batic und Leitmayr stoßen bei ihren Ermittlungen auf eine Mauer des Schweigens, denn niemand auf dem multikulturellen Stadlerhof scheint dem Ermordeten eine Träne nachzuweinen – außer dem wortkargen Gutsbesitzer Karl Stadler. Als die Ermittler schließlich herausfinden, dass Schulze dem Besitzer Geld für die Renovierung des baufälligen Hofes geliehen hatte und offenbar kein Interesse daran hatte, wie versprochen mit seiner Frau in den Osten zurückzukehren, geraten sie in ein Netz aus Geldgier und verborgenen Familiengeheimnissen…
Inhalt der Tatort-Folge „Der Wolf im Schafspelz“
Schlaflos und missmutig tappt Franz Leitmayr im Morgengrauen über die taunasse Panzerwiese am Stadtrand Münchens. Der Kommissar leidet unter einer selbst auferlegten Bierkur, die ihn mehr plagt als beflügelt. Im fahlen Licht der aufgehenden Sonne müssen er und sein Kollege Ivo Batic nicht nur einen Toten begutachten, sondern auch den grausigen Anblick eines aufgespießten Schafskopfes ertragen. Der Schäfermeister Jost Schulze liegt erstochen in seinem Wohnwagen – just einen Tag nach einem hitzigen Streit während des türkischen Opferfestes Kurban Bayram.
„Warum können diese Leut‘ nicht einfach antworten?!“, knurrt Leitmayr, als die Ermittler auf dem heruntergekommenen Stadlerhof auf eine Mauer des Schweigens stoßen. Der verfallene Gutshof, im Kontrast zur nahen Großstadt wie eine fremde Welt, beherbergt eine bunt zusammengewürfelte Arbeiterschaft aus Türken und Italienern. Die nebelverhangenen Felder und der morbide Charme des denkmalgeschützten Anwesens bilden eine Kulisse, die zumindest Leitmayr trotz seiner miserablen Laune kurzzeitig für die Schönheit der Natur empfänglich macht.
Während Batic mit stoischer Ruhe die Befragungen durchführt, lässt sein Kollege seine schlechte Laune an allen aus. Ihre Ermittlungen gleichen der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen – niemand will etwas gesehen haben, niemand will etwas sagen. Die einzige Erkenntnis: Kaum jemand auf dem Hof mochte das Opfer. Auch vom dritten im Bunde, Carlo Menzinger, kommt wenig Hilfe – der ist in München mehr mit kulinarischen Recherchen zu Schafsköpfen als mit polizeilichen Ermittlungen beschäftigt.
Ein Gespräch mit Maximilian, dem Sohn des Gutsbesitzers, bringt die Kommissare schließlich auf eine erste heiße Spur. Sie erfahren von einem Streit zwischen dem Opfer und Arkan Ergin, dem Sohn des türkischen Gutsmechanikers. „Er hat uns alle wie Dreck behandelt“, gibt Arkan später zu, als seine Fingerabdrücke am Tatort gefunden werden. Den Mord streitet er jedoch vehement ab.
Weitere Nachforschungen enthüllen, dass der denkmalgeschützte Hof dringend renoviert werden müsste und die Schafzucht kaum noch Gewinn abwirft. Zudem hatte Schulze dem schweigsamen Gutsbesitzer Karl Stadler offenbar beträchtliche Summen für Renovierungsarbeiten geliehen – ein mögliches Mordmotiv? Gleichzeitig erfährt Leitmayr von Cindy Schulze, dass ihr Mann ihr seit langem versprochen hatte, mit ihr in die ostdeutsche Heimat zurückzukehren – ein Versprechen, das er offensichtlich nie einzulösen gedachte.
Als die Ermittler in einem der Schuppen einen merkwürdigen Fund machen, beginnt sich das Puzzle langsam zusammenzusetzen. Die vermeintlich heile Welt des Stadlerhofs scheint von innen heraus zu verfaulen wie die morschen Balken seiner Scheunen. Während Leitmayr angesichts der Sturheit der Befragten endgültig der Kragen platzt, ist es schließlich Batics Einfühlungsvermögen, das den Fall zum Abschluss bringt…
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Der Wolf im Schafspelz“ wurde vom Bayerischen Rundfunk produziert und feierte am 24. Februar 2002 seine Erstausstrahlung im Ersten. Für den griechischen Regisseur Filippos Tsitos, Absolvent der Berliner Filmhochschule, war es die erste Regiearbeit für die renommierte Krimireihe. Das Drehbuch stammte von einer deutsch-brasilianischen Autorin, die mit dieser Folge ihr Drehbuchdebüt gab.
In den Hauptrollen ermittelten wie gewohnt Miroslav Nemec als Ivo Batic und Udo Wachtveitl als Franz Leitmayr, unterstützt von Michael Fitz als Carlo Menzinger. Ein besonderer Casting-Coup gelang mit der Verpflichtung von Franz Xaver Kroetz für die Rolle des wortkargen Gutsbesitzers Karl Stadler. Der bekannte Schriftsteller, Schauspieler und „grandiose Selbstdarsteller“ kehrte nach längerer Spielpause für diese Rolle vor die Kamera zurück und überzeugte mit seiner Darstellung des Patriarchen, der langsam spürt, dass seine Zeit vorbei ist – „mit dem ihm typischen Hang zum modernen Volksdrama“ und einer Naturverbundenheit, die ihm „förmlich ins rotwangige Gesicht geschminkt“ war.
Die Erstausstrahlung verfolgten 8,66 Millionen Zuschauer, was einem beachtlichen Marktanteil von 23,7 Prozent für Das Erste entsprach. Die Kritiker lobten besonders die atmosphärische Inszenierung des ungewöhnlichen Settings – ein Bauernhof in Großstadtnähe – und die Darstellung der multikulturellen Arbeiterschaft, die auf dem Hof eine Art „Utopie“ lebt, bis Geldgier diese kleine Welt von innen aushöhlt.
Nach der Ausstrahlung wurde der Kontrast zwischen den urbanen Ermittlern und dem ländlichen Milieu am Stadtrand besonders hervorgehoben – ein Spannungsfeld, das durch die Kameraarbeit von Tsitos mit „Gefühl für schöne Bilder“ eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde. Die Folge gilt unter Fans als „besonderes Heimatkrimi-Schmankerl“, das ein Milieu zeigt, „dem man in Großstadtnähe nicht häufig begegnet“.
Besetzung
Ivo Batic – Miroslav Nemec
Franz Leitmayr – Udo Wachtveitl
Carlo Menzinger – Michael Fitz
Karl Stadler – Franz Xaver Kroetz
Maximilian Stadler – Hendrik Duryn
Frieda Stadler – Brigitta Köhler
Jost Schulze – Achim Buch
Cindy Schulze – Tatjana Alexander
Arkan Ergin – Hussi Kutlucan
Recep Ergin – Ünal Gümüs
Giuseppe Santini – Claudio Caiolo
Dr. Josef Vogler – Herman van Ulzen
Rechtsmediziner – Hans B. Goetzfried
Chefpräparator – Bernd Dechamps
Beamter Spurensicherung – Thomas Munkas Meinhardt
Vittorio – Rinaldo Talamonti
Schorsch – Herbert Fischer
Wächter – Wulf Schmid Noerr
Stab
Drehbuch – Stefanie Kremser
Regie – Filippos Tsitos
Kamera – James Jacobs
Szenenbild – Dieter Bächle
Musik – Martin Grassl
Der Tatort Nummer 492 aus München. Der passt. Die beiden Hauptakteure, Leitmary und Batic, von der Mordkommission, ermitteln am Rande der Millionenmetropole. Ja, Mär wäre nicht zu sagen. Einmal gesehen und dann schnell wieder gehen.
Einfach wunderbar in Szene gesetzt, Landberliner Dialekt trifft auf bayrisch, Türke auf Sarde usw. Und mittendrin ein Mord und die Kommissare.
Sehr spannend aufgezogen, toller Flow … Gute Unterhaltung.
Mein Tatort Roulette geht weiter und diesen habe ich tatsächlich erst zum Zweiten Mal gesehen. Sehr schöne Gegend dort. Aber ich habe ihn besser in Erinnerung. Für ein Sonntäglichen Krimi Nachmittag aber geeignet. 3 Sterne
@Redaktion: Der Ermordete heißt „Schulze“, nicht „Stadler“! Auch sonst hat die Inhaltsangabe stellenweise recht wenig mit dem gezeigten Tatort zu tun.
Mir hat die Inszenierung der skurrilen Agrarwelt am Rande der Stadt mitsamt ihrer Eigendynamik sehr gut gefallen. Auch Leitmayrs grantige Laune ob seiner selbst auferlegten „Bierkur“ passte bestens ins Stimmungsbild. Leider fehlten komplett die starken oder auch nur irgendwie interessanten Frauencharaktere (der Kurzauftritt von Adele Neuhauser am Ende zählt nicht), die aber höchstwahrscheinlich eh einen großen Bogen um solche Soziotope machen.
Von daher 4 Sterne für die gute Unterhaltung. Und ich hätte Lust auf eine Bierkur…