Kurz und knapp – darum geht’s
Mitten in ein wichtiges Verhör platzt eine verstörte junge Frau und behauptet, ihr Freund sei ermordet worden – ausgerechnet ein angeblicher 9/11-Todespilot, der in Wirklichkeit für den US-Geheimdienst gearbeitet haben soll. Während Kommissarin Inga Lürsen die Geschichte als Hirngespinst abtut, ist ihr Kollege Stedefreund fasziniert von der jungen Frau und ihrer Verschwörungstheorie. Als die Ermittlungen tiefer gehen, verdichten sich die Hinweise auf ein Geheimnis mit internationalen Ausmaßen, und die Bremer Fahnder geraten selbst ins Visier mächtiger Akteure im Schatten…
Inhalt der Tatort-Folge „Scheherazade“
Gehetzt wie ein Tier auf der Flucht rast eine junge Frau mit Sonnenbrille und auffälligem Nackentattoo durch die Straßen Bremens. Jedes Geräusch lässt sie zusammenzucken, jeder Schatten scheint sie zu verfolgen – besonders ein asiatischer Fahrradkurier, der immer wieder in ihrem Blickfeld auftaucht. Im fahlen Licht einer Straßenlaterne gleicht ihr Gesicht einer verängstigten Maske, in die sich die Paranoia regelrecht eingegraben hat.
Ohne zu zögern stürmt die Frau ins Präsidium und unterbricht ein entscheidendes Verhör, in dem Kommissarin Inga Lürsen und ihr Kollege Stedefreund kurz vor einem Durchbruch stehen. Lürsen erkennt die Störerin sofort: Es ist Manuela „Manu“ Truss, eine drogenabhängige Frau mit psychischen Problemen, die sie aus einem früheren Fall kennt. Wegen ihrer Neigung zu phantasievollen Geschichten nennt Lürsen sie nur noch „Scheherazade“ – nach der berühmten Märchenerzählerin aus Tausendundeiner Nacht.
„Mein Freund ist tot. Marwan. Ermordet“, behauptet Manu mit zitternder Stimme.
„Ach, und wer war’s diesmal?“, entgegnet Lürsen zynisch, während die Müdigkeit wie Blei an ihren Augenlidern hängt.
Die erfahrene Kommissarin ist überzeugt: Hier erzählt jemand wieder eines ihrer Märchen. Lürsen, die derzeit selbst in einer persönlichen Krise steckt und sich fragt, ob sie sich verändert hat, reagiert mit Misstrauen. Stedefreund dagegen ist von Anfang an fasziniert von der geheimnisvollen Frau und ihrer unglaublichen Geschichte. Der Tatort in Manus Wohnung präsentiert sich allerdings wie eine leere Bühne – keine Leiche, keine Blutspuren, nichts, was ihre Behauptungen stützen würde.
Als Manu ihre Verschwörungstheorie entwickelt, entführt sie die Ermittler in ein Labyrinth aus internationaler Politik und Geheimdiensten. Bei flüsterndem Wasserhahn erklärt sie, ihr ermordeter Freund sei kein Geringerer als Marwan al-Shehhi gewesen – angeblich einer der Todespiloten vom 11. September, der aber tatsächlich für den US-Geheimdienst spioniert und in Bremen Unterschlupf gefunden habe. Da er zu viel über die wahren Hintergründe der Anschläge gewusst habe, sei er nun von der CIA beseitigt worden.
Die Anspannung in Stedefreunds kleiner Wohnung ist förmlich greifbar, als er und Manu in der stillen Dunkelheit Verbindungen herstellen, die so ungeheuerlich sind, dass sie entweder als Wahnsinn oder als erschreckende Wahrheit gelten müssen. Seine Faszination für die junge Frau wächst mit jeder Minute, während sich die nächtliche Stadt wie ein Kokon um die beiden legt. Die Fahndung nach der Wahrheit gleicht der Suche nach einem schwarzen Katz in finsterer Nacht – unsichtbar, aber möglicherweise gefährlich nahe.
Parallel dazu trifft Kommissarin Lürsen auf Rolf Jahnussen, eine alte Flamme, die längst erloschen schien. Seine selbstsichere Art und seine Position in einem internationalen Sicherheitsunternehmen werfen bald Fragen auf. Ist es wirklich nur Zufall, dass er gerade jetzt wieder in Lürsens Leben tritt? Die Grenzen zwischen beruflicher Distanz und privater Nähe verschwimmen, während die Stadt im nächtlichen Regen glänzt wie ein Spielbrett, auf dem unsichtbare Mächte ihre Figuren verschieben.
Als ein Privatdetektiv auftaucht, der angeblich für Manus Reinigungsfirma arbeitet, verdichtet sich das Netz aus Hinweisen und Widersprüchen. Die verwirrende Videoaufnahme vom 11. September, die Manu präsentiert, der mysteriöse Fahrradkurier, der sie hartnäckig verfolgt – sind dies alles nur Ausgeburten einer kranken Fantasie oder Puzzleteile einer erschreckenden Realität? Je tiefer Stedefreund in den Fall eintaucht, desto mehr scheint er selbst Teil von Manus paranoidem Universum zu werden…
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Scheherazade“ markiert einen besonderen Meilenstein in der Geschichte der Krimireihe: Es handelt sich um die 600. Folge. Bezeichnenderweise wurde auch die 500. Folge in Bremen produziert, was die Hansestadt zu einem wichtigen Ort in der Tatort-Historie macht. Gedreht wurde der Film vom 7. September bis zum 12. Oktober 2004 in Bremen unter dem Arbeitstitel „Verschwörung“.
Regie führte das auch privat liierte Duo Peter Henning und Claudia Prietzel, die später noch die Tatort-Folgen „Ordnung im Lot“ und „Echolot“ in Szene setzten. Das Drehbuch stammte aus der Feder des renommierten Autors Christian Jeltsch, der bereits mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet worden war. Für die besondere visuelle Atmosphäre zeichnete Kameramann Ngo The Chau verantwortlich, der später auch den vieldiskutierten Nick-Tschiller-Erstling „Willkommen in Hamburg“ filmte und bei „Das Mädchen, das allein nach Haus‘ geht“ Regie führte.
In den Hauptrollen brillierten einmal mehr Sabine Postel als Kommissarin Inga Lürsen und Oliver Mommsen als ihr Kollege Nils Stedefreund. Eine besondere schauspielerische Leistung bot Esther Zimmering in der Rolle der psychisch labilen Manuela „Manu“ Truss, die auch in der Tatort-Folge „Borowski und die Sterne“ zu sehen war. Als Lürsens Affäre Rolf Jahnussen stand Peter Ender vor der Kamera, der dem Tatort-Publikum auch aus „Pauline“ bekannt sein dürfte. In der Rolle des schlafmützigen Assistenten überzeugte Dietmar Mössmer, der auch in „Die Heilige“ mitspielte.
Bei seiner Erstausstrahlung am 5. Juni 2005 erreichte der Film 7,27 Millionen Zuschauer, was einem beachtlichen Marktanteil von 20,9 Prozent entsprach. Die experimentelle Kameraführung und der Versuch, einen Hauch von „Homeland“ ins beschauliche Bremen zu bringen, stießen bei Kritikern auf gemischte Reaktionen. Während die atmosphärischen Bilder und die Darstellung der psychischen Ausnahmesituation der Protagonistin gelobt wurden, gab es auch Stimmen, die das Drehbuch als zu überladen kritisierten.
Nach der Ausstrahlung kursierten in Internetforen zahlreiche Theorien, ob die im Film angedeuteten Verschwörungen rund um die Anschläge vom 11. September 2001 auf realen Hintergründen basieren könnten – ein Beweis dafür, dass „Scheherazade“ als Jubiläumsfolge genau den Nerv einer Zeit traf, in der Verschwörungstheorien zunehmend die öffentliche Diskussion prägten.
Der Tatort mit der Nummer 600 aus Bremen. Die Hauptkommissare Lürsen und Stedefreund von der dortigen Mordkommission ermitteln in einem seltsamen und verschlagenen Fall, für sich selbst und eher untypisch. Durch eine stadtbekannte und der Lürsen zugängliche notorische Schwindlerin wird eine angebliche Weltverschwörung aufgerufen und Stedefreund fährt voll darauf ab, unterstützt diese mit Geldgaben, nicht ganz freiwillig, eher ausleihen ohne zu fragen. Ehrlich? Den schaue ich mir kein zweites Mal an, konnte nächtelang nicht schlafen.
Ich würde diesen Tatort gerne noch einmal sehen. Wie groß ist, dass er noch einmal läuft?
Hip, fast, colourful, sexy, in and out of focus and very 2004. Handheld cameras, lots of running, and a confusing story without an ending. And why not, not all Tatorts should be the same, with a Kommissar catching the killer. Was there even a killer?
Wie von mir von der Ästhetik des Films her vermutet, werkte hier – wie 7 Jahre später in der Folge ‚Ordnung im Lot‘ – derselbe Regisseur: Peter Henning.
Auch hier geht es um eine psychisch auffällige Frau (Manu), hinsichtlich derer Fr. Lürsen zunächst sehr skeptisch auftritt.
Die entzückende junge Manu wird durch Esther Zimmering allerdings m.E. um einiges sympathischer dargestellt als die psychisch kranke Frau in ‚Ordnung im Lot‘ (Mira Partecke).
Ich mag diese ‚alte‘ Folge mit etwas ‚Trash‘-Charakter, die – wie @kvas sagt – „very 2004“ ist:
*****