Tatort Folge 764: Hitchcock und Frau Wernicke

Kurz und knapp – darum geht’s

Eine einsame Rentnerin, Irmgard Wernicke, meldet der Polizei, dass sie beobachtet hat, wie ihr Nachbar seine Frau vergiftet und die Leiche beseitigt hat – doch niemand will ihr so recht glauben. Die Berliner Kommissare Ritter und Stark finden weder eine Leiche noch handfeste Beweise, während der beschuldigte Weinhändler Benkelmann überzeugend erklärt, seine Frau sei lediglich nach Portugal verreist. Als die Ermittler erfahren, dass kurz vor dem angeblichen Mord Hitchcocks Thriller „Das Fenster zum Hof“ im Fernsehen lief, werden sie misstrauisch – doch plötzlich verschwindet die alte Dame spurlos und in Portugal werden weibliche Leichenteile gefunden…

Inhalt der Tatort-Folge „Hitchcock und Frau Wernicke“

Fahles Morgenlicht fällt durch die Gardinen, während Irmgard Wernicke wie jeden Tag am Fenster ihrer kleinen Berliner Mietwohnung sitzt und mit ihrem Wellensittich plaudert. Das leise Ticken der Wanduhr markiert die eintönigen Stunden ihres Alltags. Die betagte Rentnerin, deren faltiges Gesicht von einem Leben voller Entbehrungen zeugt, ist gefangen in ihrer eigenen kleinen Welt – begrenzt durch die vier Wände ihrer Wohnung und den Blick auf das Mietshaus gegenüber, in dem das Leben der anderen vor ihr wie auf einer Bühne abläuft.

„So richtig interessiert es eigentlich niemanden, was Irmgard Wernicke da zu sagen hat“, bemerkt Kommissar Lutz Weber spöttisch, als er seinen Kollegen Till Ritter und Felix Stark von dem dritten Anruf der alten Dame berichtet. Zwischen den beiden Hauptkommissaren herrscht eine angespannte Stimmung; sie wirken gereizt und erschöpft vom Polizeialltag. Ritter, sonst so selbstsicher und dominant, zeigt ungewohnte Anzeichen von Ungeduld, während der besonnenere Stark versucht, die Balance zu halten. Dass sie nun zu einer vermeintlich senilen Rentnerin fahren müssen, die sich womöglich nur etwas einbildet, verschlechtert ihre Laune nur noch mehr.

In der dämmrigen Wohnung voller abgenutzter Möbel und vergilbter Fotos entfaltet sich vor den Kommissaren eine unheimliche Geschichte: Wernicke berichtet mit fester Stimme, wie sie beobachtet hat, dass Robert Benkelmann seiner Frau Gift in die Suppe geträufelt hat. „Erst hat er etwas aus seiner Jacke genommen, dann ist ihr Kopf auf die Tischplatte gesunken“, erklärt sie und führt die Ermittler zum Fenster, von dem aus sie direkt in die Wohnung des Weinhändlers blicken kann. Die Entfernung zwischen den Häusern wirkt wie ein schwarzer Graben, über den hinweg der Alltag der Nachbarn wie stumme Schattenspiele erscheint.

Der Besuch bei Benkelmann selbst ist wie das Betreten einer anderen Welt: Gepflegte Einrichtung, teure Weinflaschen und ein charmanter, kooperativer Gastgeber, der bereitwillig erklärt, seine depressive Frau sei mit dem Zug nach Lissabon gereist. „Sie wollte schon immer einmal mit dem Zug durch Europa fahren“, erklärt er mit einem warmen Lächeln, das nicht ganz seine Augen erreicht. Die Suche der Kommissare in seiner Wohnung gleicht einem Tasten im Nebel – keine Blutspuren, keine Anzeichen eines Kampfes, nichts, was Wernickes Verdächtigungen stützen würde.

Als Weber die Ermittler später darauf hinweist, dass kurz zuvor Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ im Fernsehen lief, kippt die Wahrnehmung: Hat die einsame alte Frau Film und Wirklichkeit vermischt? Ritter konfrontiert sie unwirsch mit diesem Verdacht, was sie tief verletzt. Die Nacht bricht herein, und vom Fenster der verlassenen Wohnung Wernickes aus beobachten die Kommissare später die seltsamen Vorgänge in Benkelmanns Apartment – wie Nachtwächter, die den Abgrund zwischen Wahrheit und Täuschung überbrücken wollen.

Die Fahndung nach der verschwundenen Zeugin entwickelt sich wie ein gespenstischer Tanz um Wahrheit und Täuschung – ein Spiel, bei dem die Realität so trügerisch schillert wie die Glasscherben, die nach einem plötzlichen Gewitter auf dem Berliner Asphalt glitzern. Als die portugiesische Polizei schließlich berichtet, dass Leichenteile gefunden wurden, bricht die sorgsam konstruierte Fassade zusammen wie ein Kartenhaus im Wind.

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Hitchcock und Frau Wernicke“ wurde von der Eikon Filmproduktion im Auftrag des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) produziert. Die Dreharbeiten fanden an verschiedenen Schauplätzen in Berlin statt, was dem Film seine authentische Hauptstadt-Atmosphäre verleiht. Regisseur und Drehbuchautor Klaus Krämer inszenierte die Geschichte bewusst als kammerspielartiges Psychodrama, das hauptsächlich in zwei Wohnungen spielt.

In den Hauptrollen brillieren Dominic Raacke als Kriminalhauptkommissar Till Ritter (sein 28. Fall) und Boris Aljinovic als Felix Stark (sein 22. Fall). Eine besonders eindrucksvolle Leistung liefert die Schauspielerin Barbara Morawiecz in der Rolle der Irmgard Wernicke, die den Zuschauer zwischen Mitgefühl und Zweifel schwanken lässt. Hans-Jochen Wagner als Robert Benkelmann verkörpert den perfekten Hitchcock-Verdächtigen – charmant und undurchschaubar zugleich. Das Ensemble wird komplettiert durch Nebenrollen wie Lotte Ohm als Krankenpflegerin Renate Müller und Robert Höller als Zivi Timo.

Am 6. Mai 2010 feierte der Film seine Premiere im Kino Babylon in Berlin, bevor er am 24. Mai 2010 erstmals im Ersten ausgestrahlt wurde. Die Kritiker lobten besonders die gelungene Hommage an Hitchcocks Meisterwerk „Das Fenster zum Hof“ und die atmosphärische Dichte des Kammerspiels.

Nach der Ausstrahlung diskutierten Zuschauer lebhaft darüber, ob Krämer mit der bewussten Vermischung von Fiktion und Realität innerhalb der Filmhandlung eine Metaebene des Erzählens geschaffen hat. Der Film wurde als einer der besten Fälle des Berliner Ermittlerduos gewertet, der mit seinem langsamen Erzähltempo und der Fokussierung auf die Charaktere statt auf Action den Mut hatte, sich dem typischen Krimi-Schema zu entziehen.

Bemerkenswert ist auch, dass der Name Frau Wernicke eine historische Anspielung enthält: Während des Zweiten Weltkriegs war „Frau Wernicke“ eine fiktive Berliner Hausfrau in einer populären Sendereihe des deutschen Dienstes der BBC – ein Detail, das dem Titel des Films eine zusätzliche Bedeutungsebene verleiht.

Videos zur Produktion

ARD Plus Trailer

ARD Trailer


Besetzung

Hauptkommissar Till Ritter – Dominic Raacke
Hauptkommissar Felix Stark – Boris Aljinovic
Benkelmann [Weinhändler] – Hans-Jochen Wagner
Irmgard Wernicke [Rentnerin] – Barbara Morawiecz
Timo [Zivi] – Robert Höller
Renate Müller [Krankenpflegerin] – Lotte Ohm
Gernot Schuber – Steffen Münster
Ella Leiser – Jenny Schily
Lutz Weber – Ernst-Georg Schwill
Sebastian Stark – Aaron Altaras

Stab

Außenrequisite – Tanja Oppel
Erster Aufnahmeleiter – Nadine Sparig
Herstellungsleitung – Manu S. Scheidt
Innenrequisite – Thomas Hainich
Kamera – Ralph Netzer
Kostüme/Kostümbild – Eveline Stösser
Musik/Filmkompositionen – Torsten Sense
Produktionsleitung – Peter Brodhuhn
Produzent – Ernst Ludwig Ganzert
Schnitt – Monika Schindler
Sounddesign – Miles Kann
Szenenbild – Brigitte Schlögel
Regie und Buch – Klaus Krämer

Bilder: rbb/Hans-Joachim Pfeiffer

33 Kommentare

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  1. vor 15 Jahren

    Einer der besten!!!!!

  2. vor 15 Jahren

    Fand ihn auch sehr gut!!

    mir fielen nur zwei dinge auf: Wenn sie die Anrufe der frau Wernicke überprüft haben – warum haben sie dann nicht den nächtlichen anruf bei der krankenschwester gesehen? und:
    warum haben sie nicht mal das telefon von dem Benkelmann überprüft? Der hat doch ständig telefoniert und sicher auch mit der Händlerin.

  3. vor 15 Jahren

    Sehr cooler Tatort, echt einer der Besten!

  4. vor 15 Jahren

    Echt ein klasse Film! Glückwunsch


  5. Ende der Erstausstrahlung

  6. Lea
    vor 15 Jahren

    Hilfe, bin 10 Min. vor Schluß eingeschlafen ;-) Aber nicht, weil er langweilig war, fand ihn echt klasse.

    Nur – Wer war es denn nun? Der Ehemann? Und hat Frau Wernecke überlebt?

  7. vor 15 Jahren

    Hallo, ich habe auch den Schluss verpasst!!!
    Wo steckt Frau Wernecke? Hat sie überlebt?

  8. vor 15 Jahren

    Weiss jemand, wann der Tatort „Hitchcock und Frau Wernicke“
    wiederholt wird?

  9. vor 15 Jahren

    Hallo Lea:
    habe den Schluss gefunden:

    „Eine alte Dame verschwand in die Wohnung ihrer Krankenschwester – nur die beiden Kommissare schienen dies nicht zu kapieren. Am Ende stellte sich heraus, dass wir öfter älteren Menschen Vertrauen schenken sollten: Der fiese Benkelmann hatte tatsächlich seine Frau zersägt, die Leichenteile transportierte dann seine Geliebte in einem Kühltransporter und verstreute sie in Portugal, damit die Frau als Opfer eines portugiesischen Serienkillers gölte. „

  10. Lea
    vor 15 Jahren

    Danke für die Infos. Aber: wie ist der denn nach Portugal gekommen bzw. wann hat er die Teile in P verstreut? Angeblich war er doch die ganze Zeit, in der die Untersuchung lief nicht weg.
    Fragen über Fragen :-)
    Fazit: WACH bleiben!
    Gruss

  11. Flo
    vor 15 Jahren

    Hallo Kerstin und Lea.
    Einfach in der ARD-Mediathek noch mal anschauen, wer ihn verpasst hat.
    Gruss

  12. vor 15 Jahren

    Hallo Lea,

    wie geht der Spruch: „wer lesen kann, ist klar im Vorteil“

    Ich schrieb: die Leichenteile transportierte dann seine Geliebte in einem Kühltransporter und verstreute sie in Portugal

  13. vor 15 Jahren

    Der beste Tatort aller Zeiten. Er ist mein Favorit. Und ich habe bereits unzählige gesehen. Weiter so Berlin.

  14. vor 15 Jahren

    Hallo zusammen, wir haben den Tatort “ Hitchcock und Frau Wernicke“ leider verpasst, haben im Rückreiseverkehr gestanden ;-(. Hat jemand eine Idee, wann die Folge wiederholt wird? Mediathek bringt nichts, hakt ohne Ende. Danke für etwaige Tipps…

  15. gjb
    vor 15 Jahren

    @ dirk,

    ab und an beim rbb reinschaun, der wiederholt häufiger

    mal aktuellere to`s…und meist berliner ( u.a. ) ich denke

    mo nacht….

    grüsse

    gjb

  16. vor 15 Jahren

    Gerne würde ich die Folge 764 noch einmal sehen. Wer kann mir helfen, wann und wo die Wiederholung läuft?

    Vielen Dank, Susan

  17. vor 15 Jahren

    Why no English sub-titles? I live in Los Angeles, California…and I’ve read about your program for years, and would happily buy some dvds if only there were English subs. Hope springs eternal!

  18. vor 13 Jahren

    Man weiß anfangs nicht so recht, ob es unsinnig wird, da kommt immer mehr Spannung auf. Ein wenig unheimlich sogar. Auf jeden Fall merken und wieder ansehen.

  19. vor 12 Jahren

    Der kommt nicht morgen, der kommt JETZT! ,-)

  20. vor 12 Jahren

    Bisschen verwirrend zwischendurch, aber gut.

  21. vor 10 Jahren

  22. vor 10 Jahren

    Der Tatort 764 aus Berlin mit den beiden Super-Bullen, den Hauptkommissaren Ritter und Stark von der Mordkommission. Etwas ungewöhnlich diesmal, man kümmert sich um eine Frau Wernicke, anfangs weniger später um so intensiver. Die alte Dame hat einen Mord gesehen, zusammen mit ihrem Wellensittich und will das menschliche Verbrechen auch zur Sühne bringen. Dieses schaffte sie auch. Ein Tatort-Fernsehfilm, der irgendwie abgeschaut wirkte, aber zuweilen spannende Szenen inne hatte. Der ist besonders zur Krimistunde zu empfehlen, mit Keksen und Tee oder ohne. Sehenswert.

  23. vor 8 Jahren

    Top Tatort!Für mich einer der besten von den ganzen ca. 1000 Tatorts
    die es gibt.Sowas möchte ich mal Sonntags Abends sehen.Einfach einer
    der besten Tatort.

  24. WW
    vor 7 Jahren

    Ein ganz hervorragender Tatort!

  25. vor 7 Jahren

    Ein vertrockneter Hitchcock.

  26. vor 7 Jahren

    Ein total unaufgeregter und ruhiger Tatort, dennoch stetig spannend! Habe ihn jetzt erst gesehen, schade, dass die beiden keinen Tatort mehr machen.

  27. vor 6 Jahren

    Der war großartig. Der Film schafft es, dass man zwischendurch tatsächlich an Frau Wernicke zweifelt, genau wie Ritter… um dann hinterher ein schlechtes Gewissen deswegen zu haben. Ich bin froh, dass der Drehbuchautor sie überleben ließ.

  28. vor 6 Jahren

    Man muss solche Filme mögen. Ruhig, Zeit für „Privates“, aber nicht von den Kommisaren, menschliches – der Moment wo Stark bei der Pflegerin als Privatmann klingelt, dann das hin und her in den Ermittlungen und viel Zeit für Mimik und Gestik und keine Rennerei der Darsteller und keine Wackelkamera eines rennenden K-Manns. Selbst wenn man den Tatort schon das 3. Mal gesehen hat, hat man jetzt Zeit für die Nuancen. Und eigentlich mal ein einfühlsamer Schluss, der das schweigende Täterpaar zeigt, das nicht um Verständnis jammert bzw. gesteht. Hoch depressive Menschen sind echt eine Last, die man gerne los werden will, um selber noch ein wenig zu leben. Schade, dass ein Krimi im TV immer eine Auflösung braucht. Habe die Täter verstanden.

  29. vor 4 Jahren

    This is a great Tatort and a great tribute to a famous film. In my top 10.

  30. vor 4 Jahren

    Und zum wiederholten Male schaue ich diesen TO und bin begeistert. Spannend, selbst wenn man das Ende kennt und ich liebe die Ruhe, mit der die Ermittlungen vorgetrieben werden.

  31. vor 4 Jahren

    Ich kann mich nur wiederholen und Kathi anschließen. Ich habe ihn mir noch einmal angeschaut. Echt traurig, dass es nicht geklappt hat mit dem „Verbrechen“.

  32. vor 4 Jahren

    Ritter und Stark wieder einmal echt starkes Team, trotz oder gerade wegen ihrer Verschiedenheit, spannende Geschichte, Darsteller tadellos, Regie einfühlsam, alles gelungen, sehenswert. Nicht zu vergessen Assistent Weber, das Berliner Original, unvergessen, leider 2020 verstorben (Ernst-Georg Schwill).

  33. vor 4 Jahren

    Ein echt spannender Film. Sehr solide und ruhig inszeniert. Man bleibt bis zum Schluss am Ball und rätselt mit. Schöner Beitrag. 4 Sterne

  34. vor 9 Monaten

    Auch beim zweiten Anschauen immer noch sehr guter Tatort! Viele Ähnlichkeiten mit Hitchcocks Film „Das Fenster zum Hof“ aber mit mehr Gefühl und ohne Action. Ruhiger und trotzdem spannender Film mit sehr guten Schauspielern! Man ahnt schon lange, wer die Täter sind und verabscheut ihre Taten. Am Ende des Tatorts gibt es jedoch einen tragischen, herzzerreißenden Moment, der mir lange im Gedächtnis blieb und man fühlt plötzlich mit den Tätern mit! Sehr guter Ton, Regie und Drehbuch! 5 von 5 Sterne!

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