Kurz und knapp – darum geht’s

Ein vermeintlicher Stromunfall in der Badewanne kostet den Speditionsbesitzer Kurt Ellroth das Leben, doch Kriminalhauptkommissarin Hanne Wiegand erhält einen anonymen Hinweis, der sie zweifeln lässt. Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht bald Ballou, ein junger Hilfsarbeiter und Hobby-Schauspieler, der in die französische Ehefrau des Toten verliebt ist und von einem gemeinsamen Neuanfang träumt. Als Wiegand tiefer in die Geschäfte der scheinbar bankrotten Spedition eintaucht, deckt sie ein Netz aus Versicherungsbetrug, Geldunterschlagung und falschen Hoffnungen auf – und gerät in einen Machtkampf mit einem Dänen, der sein Geld zurückfordert…

Inhalt der Tatort-Folge „Aus der Traum“

In der Stille eines heruntergekommenen Speditionsgeländes kämpft der junge Hilfsarbeiter Ballou mit der harten Realität seines Alltags und flüchtet sich in die Traumwelt des Theaters. Die vergilbten Gardinen seines kargen Zimmers auf dem Firmengelände sind die einzige Trennung zwischen der staubigen Wirklichkeit und seinen Sehnsüchten – nach einem Leben auf der Bühne und an der Seite von Denise Ellroth, der französischen Frau seines Chefs.

„Ich ertrage es nicht, wenn er dich so behandelt“, flüstert Ballou, als er wieder einmal die Spuren von Kurts Gewaltausbrüchen in Denises Gesicht sieht. Ein blaues Auge, das sie mit Make-up zu verbergen versucht. Die Konfrontation mit seinem Chef im Badezimmer eskaliert. Das Plätschern des Wassers, das die Wanne füllt, übertönt Kurts herablassende Bemerkungen – bis nur noch Stille herrscht und ein kleiner Fernseher scheinbar versehentlich ins Wasser gefallen ist.

Kommissarin Hanne Wiegand wirkt ausgelaugt, als sie zum vermeintlichen Unfallort gerufen wird. Die emsigen Bewegungen der Spurensicherer im flackernden Licht der Badezimmerlampe und die Blicke, die zwischen Ballou und der unter Schock stehenden Witwe gewechselt werden, wecken ihr Misstrauen. Wiegand ist eine Frau mit Instinkt, die das Gespür für die feinen Risse in den Fassaden der Menschen nie verloren hat. Ballous übereifrige Hilfsbereitschaft gegenüber Denise und ihren Kindern erscheint ihr verdächtig.

„Fremdverschulden nicht erkennbar“, steht in der Todesbescheinigung – doch ein anonymer Brief bringt Bewegung in den Fall. Wie ein Schatten folgt Wiegand fortan Ballou, der zwischen Werkstatt und Theaterbühne pendelt. Im gelben Licht der Scheinwerfer beobachtet sie, wie er ausgerechnet einen Mörder spielt, mit einer Intensität, die sie erschaudern lässt. „‚Wenn wir morden, dann aus Liebe oder Hass – nie aus Vernunft‘, sagt er auf der Bühne“, notiert Wiegand in ihr Notizbuch.

Die Ermittlungen enthüllen ein Geflecht aus Täuschungen: Die Spedition Ellroth ist keineswegs pleite, sondern floriert im Schatten der Legalität durch Versicherungsbetrug. Ballous nächtliche Entdeckung im Büro – er durchwühlt fieberhaft Aktenordner im schwachen Schein einer Taschenlampe – stürzt ihn in einen moralischen Abgrund. Richard Ellroth, der Bruder des Toten, erwischt ihn dabei und spinnt sein eigenes Netz aus Verdächtigungen, in dem Ballou und Denise sich als Komplizen verfangen sollen.

Wiegands Ermittlungen gleichen einem Theaterstück, in dem nichts so ist, wie es scheint. Die Kulissen verschieben sich ständig. Wie ein Regisseur arrangiert sie ihre Verhöre, stellt Fallen, provoziert Reaktionen. Doch Ballou, selbst ein Schauspieler, pariert ihre Angriffe. Sein Traum von der großen Rolle und der gemeinsamen Zukunft mit Denise zerbröckelt jedoch mit jedem Tag. Der Theaterregisseur wirft ihn aus dem Ensemble, seine Traumrolle bei der Premiere soll nun sein Konkurrent Felix spielen.

Die Atmosphäre verdichtet sich, als ein mysteriöser Däne namens Andersson mit seinen Schergen auf dem Firmengelände auftaucht. Sein schwerer Schritt auf dem Kies, begleitet vom bedrohlichen Knurren des Wachhundes, durchbricht die trügerische Stille. Ein Schuss hallt durch die Nacht. Es geht um Geld – viel Geld. 800.000 DM, verschwunden in den Untiefen des Ellroth’schen Betrugssystems.

In ihrer Verzweiflung schließen Ballou und Richard einen gefährlichen Pakt: Ein letzter Coup soll die Schulden begleichen. Die Lagerhalle in Baden-Baden liegt in bleiches Mondlicht getaucht, als sie ihre eigenen Waren entwenden, um den Diebstahl später der Versicherung zu melden. Das Spiel der Schatten an den Wänden verrät nicht, dass Denise längst die Polizei informiert hat – angeblich um Ballou zu schützen, wie sie sagt. Die Situation eskaliert, Schüsse fallen. Für Richard endet das Spiel tödlich.

Die Beziehung zwischen Ballou und Denise verändert sich wie eine dramatische Wendung im dritten Akt eines Theaterstücks. War sie wirklich das hilflose Opfer, als das sie sich präsentierte? Die Art, wie sie nun mit dem Dänen verhandelt, lässt Ballou am eigenen Verstand zweifeln. Seine Träume, die einst wie glitzernde Sterne am Nachthimmel schienen, verblassen in der Morgendämmerung der Realität.

Kommissarin Wiegand, entschlossen wie ein Jäger, der seine Beute in die Enge treibt, setzt alles auf eine letzte Karte. Mit psychologischem Geschick inszeniert sie eine Falle für Ballou, der sich immer mehr in seinen Lügen verstrickt wie in einem engen Kostüm, das mit jeder Bewegung mehr einschnürt…

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Aus der Traum“ ist die 182. Folge der traditionsreichen Krimireihe und wurde vom Südwestfunk (SWF) produziert. Die Dreharbeiten fanden zwischen dem 1. Juli und dem 8. August 1985 in Baden-Baden und Karlsruhe statt, wobei die atmosphärischen Theaterszenen unter Mitwirkung des Jugendclubs Kritisches Theater im Staatstheater Stuttgart gedreht wurden.

Für Karin Anselm in der Rolle der Kriminalhauptkommissarin Hanne Wiegand war es bereits der sechste Fall. Ihre Darstellung der hartnäckigen Ermittlerin, die sich von falschen Fährten nicht täuschen lässt, hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine treue Fangemeinde gewonnen.

Die Erstausstrahlung am 15. Juni 1986 im Ersten Programm der ARD sahen 10,06 Millionen Zuschauer, was einem beachtlichen Marktanteil von 30 Prozent entsprach. Die psychologisch komplexe Geschichte um Träume, Verrat und die Suche nach einem besseren Leben traf offenbar den Nerv des Publikums.

Nach der Ausstrahlung wurde besonders die Inszenierung der Theaterszenen und die Darstellung des Spannungsfelds zwischen Realität und Illusion von Kritikern gelobt. Die Verknüpfung der Kriminalhandlung mit der Theaterwelt erzeugte eine Meta-Ebene, die für die damalige Zeit ungewöhnlich war und dem Tatort eine besondere Note verlieh.

Besetzung

Kommissarin Wiegand – Karin Anselm
Ballou – Frank Holtmann
Kurt – Wolfgang Schenck
Denise – Carole Keeper
Richard – Uwe Friedrichsen
Däne – Ulli Kinalzik
Regisseur Kaiser – Herbert König
Felix – Ingo Hülsmann

Stab

Buch – Norbert Ehry
Regie – Hansgünther Heyme
Kamera – Johannes Hollmann
Szenenbild – Jost Bednar
Kostüme – Gerda Nuspel
Ton – Karin Klein
Schnitt – Katrin Eplinius
Produktionsleitung – Werner Rollauer
Produktion – Peter Schulze-Rohr