Kurz und knapp – darum geht’s
Kriminalhauptkommissar Bülow wird von einer Theaterintendantin zu einer Premiere von Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“ eingeladen, doch der Abend endet unerwartet tragisch: Während der Aufführung erschießt sich einer der Hauptdarsteller nicht nur im Stück, sondern tatsächlich auf offener Bühne. Schnell wird aus der Frage „Selbstmord, warum?“ die Frage „Mord, durch wen und warum?“, und in der emotional aufgeladenen Theaterwelt gibt es zahlreiche Verdächtige mit komplizierten Beziehungsgeflechten. Als die Ermittlungen tiefer in die Abgründe hinter den Kulissen vordringen, fordert das fragile Beziehungsgeflecht des Ensembles ein weiteres Opfer, und Bülow muss sein ganzes Geschick aufbieten, um in diesem letzten Fall seiner Karriere den Vorhang für den Täter fallen zu lassen.
Inhalt der Tatort-Folge „Alles Theater“
Gedämpftes Gemurmel erfüllt den Zuschauerraum, während sich der schwere Vorhang des Theaters langsam hebt. Kriminalhauptkommissar Bülow sitzt im Premierenpublikum und beobachtet mit seinem geübten Blick nicht nur das Stück auf der Bühne, sondern auch die angespannte Atmosphäre hinter der perfekt inszenierten Fassade. Der Theatersaal ist erfüllt von einer ungewöhnlichen Mischung aus Premierenfieber und unausgesprochenen Spannungen zwischen den Akteuren – ein Pulverfass, das nur auf einen Funken wartet.
Bülow, ein Mann von Welt mit Vorliebe für kulturelle Veranstaltungen, genießt zunächst seinen seltenen Abend fernab des Polizeialltags. Sein feiner Instinkt für menschliche Konflikte lässt ihn jedoch bereits die ersten Risse in der Theatergemeinschaft wahrnehmen, noch bevor der tragische Höhepunkt des Abends eintritt. Wie ein erfahrener Schachspieler, der mehrere Züge vorausdenkt, registriert er die kleinen Zeichen von Animositäten und Rivalitäten, die zwischen den Darstellern wie elektrische Funken überspringen.
Auf der Bühne spielt sich derweil Pirandellos Stück ab, in dem Fiktion und Realität zu verschwimmen scheinen – ein dramatisches Vorspiel dessen, was folgen wird. In der schicksalhaften Szene, in der Georg Mertens laut Skript erst auf seine Kollegin Uta Pohl zielen und sich dann selbst erschießen soll, geschieht das Unfassbare: Er drückt ab und bricht tatsächlich blutend zusammen. Das Entsetzen im Publikum ist greifbar, die Theaterillusion zerbricht wie dünnes Glas, und plötzlich wird die Bühne zum Tatort.
Noch während die letzten Theaterbesucher den Saal verlassen, beginnt Bülow mit seinen Ermittlungen. Die verspiegelte Garderobenwelt, in der sich jede Geste vervielfacht und jedes gesprochene Wort ein Echo zu haben scheint, entpuppt sich als Labyrinth aus Lügen, Intrigen und Kokainkonsum. Der Requisiteur berichtet von einer echten Waffe, die nicht hätte geladen sein dürfen, und von Mertens‘ ungewöhnlichem Beharren darauf, sie nach der Generalprobe mit in seine Garderobe zu nehmen.
Wie ein Regisseur, der durch eine komplizierte Szene führt, navigiert Bülow durch das Ensemble aus verdächtigen Charakteren: Da ist Holger Koch, der nervöse Co-Intendant, dessen Position Mertens bedroht hatte und der eine Affäre mit der jungen Schauspielerin Uta Pohl hat. Dann Regine von Lempert, die Theaterintendantin mit undurchsichtigen Motiven, die Bülow vor dem Gesellschafter Sadowsky warnt. Und schließlich Anna Pfeil, Kochs Ehefrau und Hauptdarstellerin, die nach einer Depression eine Liaison mit dem nun toten Mertens eingegangen war.
Das Verhör der Verdächtigen gleicht zunehmend selbst einer dramatischen Inszenierung, bei der jeder eine Rolle zu spielen scheint. Aus Aufzeichnungen und Videoaufnahmen, die Mertens heimlich angefertigt hatte, ergibt sich das Bild eines Frauenhelden, der nicht nur mit Anna, sondern auch mit Uta und sogar mit von Lempert Affären unterhielt. Die Fahndung gestaltet sich wie die Suche nach einer verborgenen Szenenanweisung in einem chaotischen Regiebuch – jeder Verdächtige scheint ein Motiv zu haben, aber die entscheidenden Beweise bleiben zunächst im Dunkeln.
Während Bülow die Fäden der Intrige entschlüsselt, kommt es zu einem verzweifelten Streit zwischen Anna und Uta, bei dem letztere Anna des Mordes an Mertens beschuldigt. Kurz darauf wird Uta tot aufgefunden – gestürzt aus ihrer Garderobe. In ihrer Handtasche findet sich das fehlende Magazin der Tatwaffe, doch Bülow ist skeptisch. Die Kampfspuren in Utas Garderobe und Anna Pfeils verlorenes Armkettchen in der Hand der Toten sprechen eine andere Sprache als die eines Selbstmords.
Als die Morgendämmerung das Theater in kaltes Licht taucht, führt Bülow die letzte Szene seiner Ermittlung auf. Konfrontiert mit den Beweisen gesteht Anna Pfeil schließlich beide Morde. Wie eine tragische Figur in einem klassischen Drama hatte sie aus Rache und Verzweiflung über die Zerstörung ihrer Ehe gehandelt. Während die Beamten Anna abführen, fällt für Hauptkommissar Bülow in seinem letzten Fall symbolisch der Vorhang.
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Alles Theater“ ist der sechste und letzte Fall des Kriminalhauptkommissars Bülow, gespielt vom charismatischen Heinz Drache, der zuvor bereits durch seine Rollen in Durbridge-Krimis und Edgar-Wallace-Verfilmungen bekannt geworden war. Produziert vom Sender Freies Berlin, wurden die Dreharbeiten zwischen Juli und August 1988 in West-Berlin durchgeführt, kurz vor dem historischen Fall der Berliner Mauer. Der Film wurde am 30. Juli 1989 erstmals in der ARD ausgestrahlt und markierte damit das Ende einer kurzen, aber bemerkenswerten Ära des Berliner Tatorts.
Die Inszenierung unter der Regie von Peter Adam, der zuvor Erfahrungen mit Schimanski-Tatorten gesammelt hatte, setzt auf die Verbindung von Theaterwelt und Kriminalfall. Das Szenenbild stammte von Jörg Neumann, während Harro Brödler für den Ton verantwortlich zeichnete. Mit einer ungewöhnlich kurzen Laufzeit von nur 80 Minuten – statt der üblichen 90 – präsentiert sich „Alles Theater“ als kompakter Fall, der in nahezu Echtzeit innerhalb einer Nacht gelöst wird.
Neben Heinz Drache als Kommissar Bülow, der wegen seiner kultivierten Art manchmal als „Schicki-Micki-Kommissar“, „austernschlürfender Anti-Schimanski“ oder „Don Flanello“ bezeichnet wurde, glänzt eine Reihe von Schauspielern in diesem Ensemble-Stück. Besonders hervorzuheben ist Daniela Ziegler in der Rolle der Theaterintendantin Regine von Lempert, die mit ihrer nuancierten Darstellung überzeugt.
Nach der Ausstrahlung kursierten unter Tatort-Fans Theorien, dass die Wahl eines Theaterstücks von Luigi Pirandello, der das Leben als „groteskes Maskenspiel“ betrachtete, kein Zufall, sondern eine Metapher für das bevorstehende Ende der geteilten Stadt sein könnte. Ob bewusst oder unbewusst – „Alles Theater“ fängt mit seinem Setting und Stil ein Stück Zeitgeist des späten West-Berlins ein, das kurz darauf von der historischen Wende überrollt werden sollte.
Besetzung
Hans Nitschke (K Janke)
Dietrich Mattausch (Holger Koch)
Christine Ostermayer (Anna Pfeil)
Petra von Morzé (Uta Pohl)
Jürgen Heinrich (Georg Mertens)
Daniela Ziegler (Regina von Lempert)
Peter Aust
Nikolaus Dutsch
Friedhelm Lehmann
Gundula Petrowska
Ludger Pistor
Eberhard Prüter
Stab
Regie: Peter Adam
Buch: Knut Boeser
Kamera: Klemens Becker
Schnitt: Friederike Badekow
Musik: Stephan Melbinger
Produktion:SFB
Kriminalhauptkommissar Hans Georg Bülow aus Berlin geht zum letzten Mal auf „Nadelstreife“.
Der Gentleman muß sich mit allerlei Intrigen im Theatermilieu herumschlagen und klärt an einem Abend zwei Morde auf.
Das alles bewältigt er wie gewohnt stil- und taktvoll mit immenser Selbstsicherheit.
Schade, dass dies der letzte „TATORT“ mit Heinz Drache ist, und es ist abermals schade, dass die wunderbar gelungenen sechs Fälle mit ihm als Ermittler nicht wiederholt werden!
Der Tatort Nummer 221 aus Berlin mit dem eleganten und gern gesehenen Hauptkommissar Bülow. In diesem, seinem letzten Tatort-Fernsehspiel, wird Theater im Theater gespielt. Kenner sagen, glaube ich, ein Film im Film. Aber schwach, sehr schwach. Als hätte man es absichtlich gemacht, diesen Gentlemen – Kommissar los zu werden. Gekommen sind andere, weichere, schmuddeligere, obzönere Tatort-Kommissare. Alle aber auch ab 20:15 Uhr, zur gemütlichen Familienkrimifernsehzeit. In seinem letzten Fall ermittelte Bülow nicht, er war Statist. Schade. Ich habe diesen Tatort-Kommissar im Familienkreis immer gerne geschaut, es war fast eine Pflichtsendung. Die Schauspieler sind zwar im Trailer nicht ausdrücklich aufgeführt, waren aber trotzdem Bestandteil der gehobenen Kategorie. Aber das Buch kam von einem Knut Boeser.