Kurz und knapp – darum geht’s

Eine sensationslüsterne Fernsehsendung mit dem Titel „Zielscheibe“ ruft zur Jagd auf Verbrecher auf, doch dann wird ihre polarisierende Moderatorin Petra Odetzki ermordet. Kommissar Max Palu muss in einer aufgeheizten Atmosphäre ermitteln, während Odetzkis Ehemann Tom die Sendung übernimmt und die Hetze gegen den vermeintlichen Täter, den serbischen Flüchtling Ante Besic, fortsetzt. Als Palu endlich der wahren Täterin auf die Spur kommt, droht ein von den Medien aufgewiegelter Mob Selbstjustiz zu üben und Besic zu lynchen …

Inhalt der Tatort-Folge „Zielscheibe“

Nachts in einem heruntergekommenen Hotel in Saarbrücken. Schweißgebadet schreckt Kommissar Max Palu aus einem unruhigen Schlaf hoch – das Trauma eines früheren Falls sucht ihn heim. Das Telefon klingelt, ein tödlicher Schuss ist gefallen: Ein Unschuldiger wurde von einem Sondereinsatzkommando erschossen, weil der Portier ihn für den gesuchten Kriegsverbrecher Ante Besic hielt – ein tragischer Fehler, verursacht durch die aufpeitschende Fahndungssendung „Zielscheibe“.

Palu kennt Besic seit Jahren und weiß, dass hinter der Geschichte des Mannes mehr steckt, als die schwarz-weißen Schlagzeilen vermuten lassen. Der Kommissar wirkt müde, die Falten in seinem Gesicht sind tiefer geworden, als wären sie Flussläufe in einer von Erosion gezeichneten Landschaft. Sein Büro ist wie immer ein Spiegelbild seines Charakters: chaotisch, aber mit einem klaren System – nur er weiß, wo er was findet. Mit stoischer Beharrlichkeit geht er seinen Weg, während alle um ihn herum dem Medienwahn zu erliegen scheinen.

Der echte Besic hat unterdessen in einem Sexkino am Saarbrücker Bahnhof Geiseln genommen. Grelles Neonlicht flackert über das abgenutzte Pflaster vor dem Etablissement, als Palu das Gebäude betritt. „Ich will nur Gerechtigkeit, Max“, flüstert Besic, als der Kommissar mit ihm unter vier Augen redet. Draußen warten bereits die Kamerateams der Sendung „Zielscheibe“, angeführt von ihrer erbarmungslosen Moderatorin Petra Odetzki, die aus menschlichem Leid Quote macht wie ein Raubtier aus Schwäche Beute.

Nach seiner Verhaftung wird Besic von Komplizen befreit, und die Jagd auf ihn gleicht einem Treiben im Wald, bei dem das Wild keine Chance hat – mit jedem sensationslüsternen Bericht wird die Schlinge enger gezogen. Als Petra Odetzki erschossen in ihrem luxuriösen Haus aufgefunden wird, explodiert die öffentliche Empörung wie ein unter Druck stehender Kessel. Ihr Ehemann Tom übernimmt kurzerhand die Moderation der Sendung und heizt die Stimmung weiter an.

Palu bewegt sich durch eine Stadt, die im Fieber der Sensationslust zu verbrennen scheint. Jede seiner vorsichtigen Ermittlungsschritte wird von der Medienmeute verfolgt, während er nach und nach aufdeckt, dass im Hause Odetzki nicht alles so glänzte wie in den TV-Scheinwerfern: Eine gescheiterte Ehe, berufliche Rivalitäten und eine Assistentin namens Annette, deren Loyalität tiefer geht, als es zunächst den Anschein hat. „Früher haben wir Verbrecher gejagt, jetzt jagen wir Einschaltquoten“, bemerkt Palu bitter zu seinem Kollegen.

Die Suche nach dem Mörder führt Palu in eine serbisch-orthodoxe Kirche, wo Besic Zuflucht gefunden hat. Das gedämpfte Licht der Kerzen wirft flackernde Schatten an die mit Ikonen geschmückten Wände – ein seltsamer Ort des Friedens inmitten einer Stadt, die nach Blut schreit. Doch das Versteck wird verraten, und plötzlich wälzt sich eine aufgebrachte Menschenmenge wie eine dunkle Flutwelle auf die Kirche zu, bereit, den vermeintlichen Mörder zu lynchen. Palu steht allein zwischen dem Mob und seinem Opfer – ein einsamer Damm gegen die Flut aus Hass und Hysterie…

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Zielscheibe“ wurde als 13. Fall mit Kriminalhauptkommissar Max Palu (Jochen Senf) vom Saarländischen Rundfunk produziert und am 14. Oktober 2001 im Ersten ausgestrahlt. Die Dreharbeiten fanden größtenteils in Saarbrücken statt, wo auch die Serienhandlung angesiedelt ist. Unter der Regie des mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichneten Kino- und TV-Regisseurs Robert Sigl entstand ein brisanter Fall, der die Grenzen zwischen Realität und Reality-TV auslotet.

In der Besetzung überzeugte neben dem Stammermittler Jochen Senf besonders Juliane Köhler als skrupellose Moderatorin Petra Odetzki. Thomas Limpinsel verkörperte ihren nicht minder ehrgeizigen Ehemann Tom, während Franjo Marincic als zu Unrecht verdächtigter Serbe Ante Besic zu sehen war. Die Rolle der Produktionsassistentin Annette wurde zum tragischen Schlüsselcharakter der Geschichte.

Bei der Erstausstrahlung erreichte „Zielscheibe“ 6,20 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 18,3 Prozent entsprach – beachtliche Zahlen für eine Sendung, die selbst die Sensationsgier des Publikums kritisch thematisiert.

Nach der Ausstrahlung wurde der Film für seine Medienkritik gelobt. Regisseur Sigl kommentierte das Drehbuch von Peter Zingler mit den Worten: „Solche Drehbücher sind selten.“ Die bedrohliche Mischung aus „Aktenzeichen XY – ungelöst“ und „Big Brother“ kam der damaligen Fernsehrealität bedrückend nahe und wirkt bis heute aktuell. Die schnelle Schnittfolge und die dramaturgisch durchdachten Sequenzen verstärkten den unbehaglichen Eindruck einer Medienlandschaft, in der für Quoten über Leichen gegangen wird – ein Thema, das in Zeiten sozialer Medien und Fake News nichts an Brisanz eingebüßt hat.

Besetzung

Annette – Nina Weniger
Dr. Dreyer – Thomas Koschwitz
Ernst Glogowski – Christoph Gareisen
Frau Braun – Alice Hoffmann
Günter Boos – Aykut Kayacik
Horst Kaldin – Tayfun Bademsoy
Isabelle Jung – Nicole Max
Margit – Tatjana Clasing
Max Palu – Jochen Senf
Stephan, sein Assistent – Gregor Weber
Tom Odetzki – Thomas Limpinsel
u.a.

Stab

Regie – Robert Sigl
Buch – Peter Zingler
Kamera – Klaus Peter Weber
Schnitt – Biljana Grafwallner-Bresovska
Musik – Frank Nimsgern
Produktion – SR