Kurz und knapp – darum geht’s
In der Wohnung der Familie Däubler fallen nach einer heftigen Auseinandersetzung Schüsse. Die Polizei findet Frau Däubler tot vor, während ihr Mann und der gemeinsame Sohn schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Kommissar Eugen Lutz steht vor einem Rätsel: Alles deutet darauf hin, dass Herr Däubler der Täter ist, doch ein Motiv für die Familientragödie scheint es nicht zu geben. Als der verletzte Ehemann sich nicht an die Tat erinnern kann, muss Lutz Schicht für Schicht die verborgende Wahrheit freilegen – ohne zu ahnen, dass er den verzweifelten Mann damit an den Rand eines erneuten Selbstmordversuchs treibt…
Inhalt der Tatort-Folge „Blinde Wut“
Schrill durchbricht das Martinshorn der Polizeifahrzeuge die nächtliche Stille in einem sonst beschaulichen Stuttgarter Wohnviertel. Kommissar Eugen Lutz betritt mit gezogener Waffe die Wohnung der Familie Däubler, aus der Nachbarn Schüsse gemeldet haben. Das grelle Licht der Taschenlampen schneidet durch die Dunkelheit und enthüllt ein Bild des Grauens: Frau Däubler liegt leblos auf dem Boden, ihr Mann und der kleine Sohn schwer verletzt daneben.
Von Beginn an scheint der Fall für Lutz klar zu sein: Ein Familienvater dreht durch und richtet seine Familie und fast sich selbst zugrunde. Die Tatwaffe gehört Däubler, an seiner Hand werden Schmauchspuren gefunden. „Jeder Mensch hat Grenzen, die er nicht überschreiten sollte“, murmelt Lutz, als er den Tatort verlässt. Doch sein feines Gespür für Unstimmigkeiten lässt ihn zögern. Wie ein verborgener Schatten liegt ein Widerspruch über dem scheinbar eindeutigen Fall – Nachbarin Kronbeck will gesehen haben, wie jemand aus dem Haus rannte.
Die Ermittlungsarbeit gleicht einem vorsichtigen Abtasten im Nebel. Lutz, stets ruhig und besonnen, folgt seinen Zweifeln und stößt auf immer neue Risse in der Fassade der vermeintlich heilen Familie. Da ist Bernhard Däublers Traum von einem Leben als Entwicklungshelfer in Afrika, den seine Frau Marion strikt ablehnte. Da ist Klaus Schäder, der Ex-Freund von Marion Däubler, der merkwürdig offen über seine regelmäßigen Treffen mit der Verheirateten spricht. „Ihr Mann hat uns förmlich dazu aufgefordert auszugehen“, behauptet er mit einem Unterton, der Lutz hellhörig werden lässt.
Während der Sohn weiter um sein Leben kämpft, ringt Bernhard Däubler im Krankenhaus nicht nur mit seinen körperlichen Verletzungen, sondern auch mit der fragmentarischen Erinnerung an jene Nacht. „Habe ich wirklich auf meine Frau und meinen Sohn geschossen?“, fragt er Lutz mit zitternder Stimme, die Augen weit aufgerissen vor Entsetzen. Die Amnesie ist wie eine Mauer, hinter der sich die Wahrheit verbirgt.
Im Hintergrund ziehen weitere Akteure ihre Fäden. Däublers Ex-Frau Hildegard gibt der Boulevardpresse bereitwillig Interviews, in denen sie behauptet, Bernhard habe zu ihr zurückkehren wollen. Marions Bruder Lorenz Kleinhans schmuggelt eine Pistole in einer Pralinenschachtel ins Krankenhaus – eine stumme Aufforderung zum Suizid. Die Familie der Getöteten hat ihr Urteil bereits gefällt.
Als Däubler aus dem Krankenhaus flieht und in seine eigene Wohnung zurückkehrt, scheint die verdrängte Erinnerung durch die vertraute Umgebung zurückzukehren. „Sie wollte den Jungen nehmen und mich verlassen“, gesteht er Lutz, während er erneut die Waffe auf sich selbst richtet. Die Tragödie droht sich zu wiederholen.
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Blinde Wut“ ist die 132. Folge der beliebten Krimireihe und wurde von Regisseur Theo Mezger für den Süddeutschen Rundfunk inszeniert. Die Dreharbeiten fanden zwischen dem 21. September und dem 24. Oktober 1981 in Stuttgart, Waiblingen, Leonberg sowie in den Studios 4 und 5 des SDR statt.
In seiner Rolle als Kriminalhauptkommissar Eugen Lutz brilliert Werner Schumacher, für den dies bereits der zwölfte Fall ist. Seine zurückhaltende, aber präzise Ermittlungsarbeit macht diese Folge zu einem psychologisch dichten Kammerspiel, das weniger auf Action als auf die inneren Abgründe der Figuren setzt.
Mit beeindruckenden 20,63 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 54% bei der Erstausstrahlung am 10. Januar 1982 zählt „Blinde Wut“ zu den erfolgreichsten Tatort-Folgen der achtziger Jahre. Die ungewöhnliche Herangehensweise an das Thema Familientragödie sorgte für intensive Diskussionen unter den Zuschauern.
Nach der Ausstrahlung kursierten zahlreiche Theorien zur psychologischen Dimension des Falls. Die Darstellung einer scheinbar intakten Familie, deren Fassade durch unausgesprochene Konflikte und Sehnsüchte zum Einsturz gebracht wird, traf den Nerv der Zeit und wirft bis heute Fragen nach den verborgenen Triebfedern menschlichen Handelns auf.
Darsteller
Angelika Ambrasas · Manfred Boehm · Volker Eckstein · Irmgard Förch · Lars Hertner · Peter-Jochen Kemmer · Ulli Kinalzik · Rüdiger Kirschstein · Renate Malzacher · Hans-Dieter Reichert · Heidemarie Rohweder · Fred C. Siebeck · Dietz Werner Steck · Frank Strecker · Ludwig Thiesen · Christiane Timerding · Claudia Wedekind · Grete Wurm
Stab
Buch: Peter Scheibler
Regie: Theo Mezger
Kamera: Justus Pankau
Schnitt: Christa Kemnitz
Musik: Jonas C. Haefeli
Produktion: SDR
Der Tatort Nummer 132 aus Stuttgart mit Hauptkommissar Lutz und Assistent Wagner sowie in Amtshilfe Kriminalhauptkommissar Liersdahl. Diese Einbeziehung von weiteren Tatort-Kommissaren fand ich früher schon gut, obwohl ich dieses Tatort-Drama heute zum ersten Male gesehen habe. In einer Nebenrolle spielte sogar der spätere Tatort-Kommissar Bienzle, toll. Bis zuletzt, in diesem anregenden Tatort-Spielfilm, glaubte ich an einer beteiligten vierten Person, fand die Mutter und den Bruder des verletzten Opfers bei Übergabe des Geschenks im Krankenhaus kalt und verantwortungslos. Die haben diesen Blender aber sofort erkannt, ihr ganzer Glaube hing an den schwer verletzten Enkel, ihren Schatz. Auch interessant zu sehen, die damaligen Automodelle, nicht im Museum oder Album, sondern real im Straßenverkehr. Sehenswert, auch ohne großartige Actionszenen. Aber Kultstatus? Hier fehlen wohl ein paar erforderliche Meinungen.
Wo, bitte, soll da Liersdahl gewesen sein? Warum fragte Lutz nicht, wo er die Waffe her hatte? Aber insgesamt ein guter Tatort, eigentlich auch ein Psychospiel. Lutz gefiel mir aber besser ohne Schnäuzer! ;-)
Diethelm
Eigentlich ein eher lahmer Fall, aber herrlich langsam inszeniert, und natürlich ein Blick in die westdeutsche Realität Anfang der 80er Jahre, tolle Autos, teils schräge Klamotten. Kann man guten Gewissens schauen, aber „Kult“ ist etwas hoch gegriffen.
Diethelm Glaser: Bezüglich der Waffe wurde am Anfang erwähnt, dass er einen Waffenschein besitze und die Waffe ordentlich angemeldet sei.
Und noch eine Korrektur zum Text oben: Der Sohn überlebt auch, am Ende ist er das entscheidende Argument für den Familienvater, doch nicht Suizid zu begehen.
@Konrad Kuklinsky:
Herzlichen Dank für Ihren wertvollen Hinweis, wir haben die entsprechenden Textpassagen in der Folgenbeschreibung umgehend korrigiert.
Mit besten Grüßen aus der Redaktion
Sabine
Lutz im Double-Feature am 30./31.12.2020 auf SWR mit den Folgen 004 & 132:
Wie schon in #004 geht es auch hier um das Motiv und nicht um das simple „Wer war’s?“ – hat durchaus 4 Sterne verdient.
Trotzdem spannend und fein herausgearbeitet, dazu ein illustres Ensemble: Grete Wurm, Claudia Wedekind (die echte Frau Felmy – ich verwechsle sie immer mit der Film-Ehefrau Karin Eickelbaum), Ulli Kinalzik (der Hein bei Graf Luckner bzw. Direktion City), die beiden „Steine“ Rüdiger Kirschstein und der 1993 leider mit nur 46 Jahren viel zu früh verstorbene Volker Eckstein, der gefühlt in 9 von 10 Krimis als Bösewicht besetzt war – sieht er nicht Udo Kier ziemlich ähnlich?
Und D. W. Staeck mit Schnauz als Nachbar Kronbeck konnte sich seinerzeit wohl noch nicht vorstellen, daß ihm in Stuttgart einmal eine große Karriere als Bienzle bevorsteht.
Am Rande bemerkenswert: Ein Porsche 944 (Kennzeichen S-EC 2925) als Rettungswagen! Nobel, nobel: 163 PS, Vmax 220 km/h. Daneben gab es noch einen zweiten mit S-EU 4482, auch in München war einer im Einsatz.
PS: @Dirk, der eigentlich immer recht fundiert kommentiert, ist hier wohl im falschen Film: KHK Liersdahl (Heinz Dieter Eppler), der 2x in Saarbrücken ermittelte (70/73), hatte zwar einige Gastauftritte zwischen 1973-77, aber definitiv nicht hier.
Ein eher lahmer und biederer Fall für ein verschneiten Sonntag Nachmittag. Gibt bessere Lutz Folgen
Der Tatort mit der Nummer 132 und aus dem Jahr 1982. Dieser Tatort ist immer einmal wieder interessant zu schauen, mit oder ohne Hauptkommissar Liersdahl in Amtshilfe. Da muss mir wohl die „Enter-Taste“ entglitten sein. Danke an die weiteren Meinungsgeber für den Hinweis.