Tatort Folge 1031: Der rote Schatten



Kaum ist der ellenlange „Stau“ (Tatort-Folge 1027) auf Stuttgarts Panoramameile überstanden, werden die zwei Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) auch schon zu einem erneuten Einsatz gerufen: „Der rote Schatten“, ein Relikt aus alten RAF-Zeiten, legt sich langsam über den neuesten Fall und beschäftigt die Ermittler intensiv. Sie müssen im Laufe ihrer Untersuchungen feststellen, dass die Ausläufer des in den 70er Jahren eingeläuteten Kampfes gegen den Terrorismus der Roten Armee Fraktion bis in die Gegenwart reichen.

Inhalt der Tatort-Folge „Der rote Schatten“

Die Tatort-Folge 1031 „Der roten Schatten“, eine Produktion des SWR, basiert auf den Ereignissen rund um den Deutschen Herbst und die historische „Todesnacht von Stammheim“, in der am 17./18. Oktober 1977 die in der JVA Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Anführer Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe starben. Ihre Komplizin Irmgard Möller überlebte schwer verwundet.

Offiziell hieß es damals, die Häftlinge hätten Selbstmord begangen – oder wurden sie doch ermordet und die Suizide bloß fingiert? Der Stuttgarter Tatort „Der rote Schatten“ greift die Fragen auf, die seit der Todesnacht nie abschließend und zweifelsfrei geklärt werden konnten (oder sollten): Wie kamen die Pistolen und das Messer, mit dem sich die verurteilten Terroristen verletzten, tatsächlich in deren Zellen? Waren in Wirklichkeit die Wärter der Justizvollzugsanstalt involviert, und nicht wie behauptet die Anwälte der Häftlinge? Gab es gar ein Attentat-Kommando, dass das Quartett in der besagten Nacht in seinen Zellen überfiel, um die Leitfiguren der RAF ein für alle Mal auszulöschen und dem Terrorismus in der Republik ein Ende zu setzen?

2017 jähren sich der Deutsche Herbst und die drei Todesfälle in der JVA Stammheim zum vierzigsten Mal. Als Regisseur des Films wurde der krimierfahrene Dominik Graf verpflichtet, Jahrgang 1952. Graf wurde für seine Regiearbeiten in der Vergangenheit mehrfach mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Seine neueste Arbeit „Der rote Schatten“ zeichnet sich durch die Verknüpfung zweier Zeitebenen aus:

Im Jetzt ermitteln die Tatort-Kommissare Lannert und Bootz, dazwischen zeigt – teils original aufgenommenes, teils nachgedrehtes – Filmmaterial jene Ereignisse, die im Rahmen des Deutschen Herbstes, der Stammheimer Prozesse und der Todesnacht von Stammheim in den 70er Jahren das Land bewegten.


Erster Tag der Ermittlungen, an einem Freitag:

Der Fall beginnt mit einem Leichenfund, wie in so vielen Tatort-Krimis üblich. Die Hauptkommissare Lannert und Bootz treffen am Tatort auf einer Landstraße nahe Stuttgarts ein, die Kollegen haben bereits die ersten Spuren gesichert. Ein Fahrer ist mit seinem Auto von der Straße abgekommen und liegen geblieben; der Mann steht noch unter Schock und ist vorerst nicht ansprechbar – Thorsten Lannert ergeht es an diesem Morgen ähnlich, hat er doch am Vorabend zu tief ins Glas geschaut.

Das Besondere an diesem 21. Einsatz des Stuttgarter Tatort-Duos Lannert und Bootz offenbart sich im Kofferraum des Unfallwagens. Denn darin liegt eine weibliche Tote, Mitte vierzig und offensichtlich bereits vor Tagen verstorben. Ihre Fußgelenke weisen Griffspuren auf. Auf dem Brustkorb der Leiche befindet sich eine frische Obduktionsnaht: Die bis dato noch Unbekannte befand sich bereits in der Gerichtsmedizin!

Das anschließende Verhör des traumatisierten Fahrers Christoph Heider ergibt, dass es sich bei der Toten um seine Ex-Frau Marianne handelt, die kürzlich bei einem Badewannenunfall ertrank. Weil Heider jedoch fest an einen vertuschten Mord glaubt, entführte er die Leiche, um sie in Frankreich genauer obduzieren zu lassen. Sogar den Namen des mutmaßlichen Mörders kann der verwirrte Heider den ermittelnden Kommissaren im Verhörraum nennen: „Mariannes Freund. Jordan, Wilhelm. Er hat sie umgebracht.“ Das erklärte Motiv: Mariannes frisch abgeschlossene Risiko-Lebensversicherung in Höhe von 400.000 Euro – zugunsten Jordans. Der verzweifelte Mann fordert die Kripo auf, den Mord aufzuklären.

Die Oberstaatsanwaltschaft hatte den Unfall Marianne Heiders längst zu den Akten gelegt, allerdings sind sich die beiden Beamten Lannert und Bootz einig, dass der verhörte Mann das mögliche Kapitalverbrechen überzeugend darlegt. Sie rollen den Fall in Absprache mit Staatsanwältin Alvarez erneut auf. Die 16-jährige Tochter der Heiders, Luisa, wird behutsam zum tragischen Tod ihrer Mutter befragt. Sie berichtet, wie sie und Wilhelm Jordan die leblose Frau aus der Wanne gezogen hatten – doch es sei bereits zu spät gewesen. Auch erzählt der Teenager von einer Pistole, die im Besitz Jordans sei. Im betrunkenen Zustand habe er damit geprahlt, dass er einst für den Geheimdienst gearbeitet hätte … Die Stuttgarter Hauptkommissare Lannert und Bootz werden hellhörig.

Die Kriminalbeamten statten also jenem besagten Jordan (Hannes Jaenicke) einen Überraschungsbesuch ab. Der lebt zurückgezogen in einem Häuschen an den Hängen, empfängt Sozialhilfe und ist der Spielsucht verfallen. Die Polizei mit ihren neugierigen Fragen weist er schroff zurück – ein Treffer?

Tatsächlich zeigt sich, dass Jordan in den 1970er Jahren als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig war. Er ermittelte verdeckt in den Reihen der RAF. Dies könnte eine Erklärung dafür sein, warum Thorsten Lannert und Sebastian Bootz im laufenden Fall von den Behörden behindert werden. Das dünne Eis, auf dem sich die zwei Tatort-Ermittler dabei bewegen, droht mehr und mehr einzubrechen: decken sie womöglich die Wahrheit über die Ereignisse der Stammheimer Todesnacht auf?


Die Filmarbeiten zum SWR-Tatort „Der rote Schatten“ fanden unter anderem in nachgebauten Kulissen der JVA Stammheim statt, da an den Originalschauplätzen nicht gedreht werden durfte. Bei der Klinik, in der Bootz der angeschossene Arm verarztet wird, handelt es sich um das Rems-Murr-Klinikum Winnenden. Die Dreharbeiten nahmen – wie für einen Tatort gewohnt – etwa vier Wochen in Anspruch, in der Zeit vom 19. April bis 19. Mai 2017.

Video zur Tatort-Produktion



Die Redaktion von Tatort-fans meint …

Sabine (37 J. | Kinoliebhaberin)

Ein guter Politkrimi mit Querverweisen, Finten, eingeflochtenen Rückblenden und den üblichen Verschwörungstheorien, die die Geschichte um den Deutschen Herbst lebendig werden lassen. Dominik Graf hat seine Sache gut gemacht und das Ensemble überzeugt durchweg mit seinem Spiel.

Gerald (37 J. | IT-Nerd)

Nach „Stau“ kommt nun thematisch etwas völlig anderes, und das macht den Stuttgart-Tatort auch so sehenswert in meinen Augen. Manchmal verliert sich der Film in den Erzählungen, aber insgesamt heißt es von mir: Einschalten!

Tatort-Besetzung

Hauptkommissar Thorsten Lannert – Richy Müller
Hauptkommissar Sebastian Bootz – Felix Klare
Staatsanwältin Emilia Alvarez – Carolina Vera
Kriminaltechnikerin Nikita Banovic – Mimi Fiedler
Pathologe Dr. Daniel Vogt – Jürgen Hartmann
Kommissar Stolle – Bernd Gnann
Oberstaatsanwalt Lutz – Friedrich Mücke
Wilhelm Jordan – Hannes Jaenicke
Jordan, jung – Elias Popp
Strobel – Michael Hanemann
Strobel, jung – Ulrich Blöcher
Astrid Frühwein, jung – Emma Jane
Andreas Baader – Ognjen Koldzic
Gudrun Ensslin – Sophie Lutz
Erika – Bärbel Schwarz
Heinz – Sascha Maaz
Holger Stängl – Janosch Fries
Marisa Silva – Rosângela Feirreira
Polizistin – Julischka Eichel
Wärter – Tommaso Mattia
Dame – Petra Mott
Spurensicherer – Markus Ertelt
u.a.

Tatort-Stab

Drehbuch – Raul Grothe, Dominik Graf
Regie – Dominik Graf
Kamera – Hendrik A. Kley, Jakob Beurle
Szenenbild – Claus Jürgen Pfeiffer
Schnitt – Tobias Streck
Musik – Sven Rossenbach, Florian Van Volxem und Leo Henrichs

Bilder-Galerie zum Krimi aus Stuttgart


44 Meinungen zum Tatort Folge 1031: Der rote Schatten

  • carmen • am 15.10.17 um 20:13 Uhr

    hallo,
    ich würde gerne die lieder des tatorts 1031 wissen :)
    und gut gemachter spannender tatort
    viele grüße und vielen dank


  • MM223 • am 15.10.17 um 20:49 Uhr

    Endlich mal wieder ein spannender Tatort. Richtig gut. Mehr davon!


  • Ailton • am 15.10.17 um 20:54 Uhr

    Sehr interessanter Tatort, der Realität und Fiktion vermischt. Spannend, relativ plausibel und gut erzählt. Der beste Tatort seit Längerem.


  • Heike Kroell-Frick • am 15.10.17 um 20:54 Uhr

    wirr** wirrer** verwirrt
    Hier sucht man einen „Tatort“ vergeblich


  • NFL • am 15.10.17 um 20:56 Uhr

    Welldone … Endlich mal ein Tatort mit Anspruch … Inhalt aktueller als sich jeder eigentlich wünscht … G20 in Hamburg mit seinem merkwürdigen Leiter Dudda und seinem Planungsstab … Unwahrheiten, Ungereimtheiten, Unfähigkeit .. dieser Tatort passte ..


  • CarstenH • am 15.10.17 um 20:58 Uhr

    Dieser TO ging gut und interessant los. Zugegeben das Thema RAF ist nicht leicht in 90 Minuten umfassend darzustellen. Der Versuch ging leidlich daneben. Ein viel zu fett aufgetragene Story mit nervenden Bildwechseln. In den letzten 90 Sekunden wurden dann noch dreieinhalb Mörder inklusive Motive durchgezogen. Sorry: Das war nix.


  • rudi • am 15.10.17 um 21:06 Uhr

    Spannend, sehr gut gewesen!


  • JoeDalton • am 15.10.17 um 21:15 Uhr

    Einer der besten Tatorte überhaupt, insbesondere deshalb, weil es rund um Stammheim, den Schleyer-Mord usw. tatsächlich im Rahmen der Deckung von Überläufern aus der RAF von staatlicher Seite hanebüchene Vertuschungsaktionen gab mit dem Effekt, das vieles – zumindest offiziell – nicht aufgeklärt ist.

    Spannung sehr gut, viele Überraschungsmomente, der Zuschauer muß sich konzentrieren. Ein bißchen 68er-Nostalgie, OK, mag vielleicht nicht jeder, aber mir gefiel es.

    Kommissar kannte Gudrun Ensslin persönlich als ehemaliger Sympathisant – na ja, vielleicht bißchen zu dick aufgetragen, ebenso die Mordgeschichte im Stammheimer Gefängnis.

    Darsteller absolut überzeugend, Lannert und Bootz wie immer, aber auch die anderen.


  • Jürgen W • am 15.10.17 um 21:15 Uhr

    Super! Toller Plot für einen Tatort


  • Zuseher • am 15.10.17 um 21:24 Uhr

    Kommissar Stroh und Komissar Dumm stolpern durch alten Käse und Verschwörungstheorien, ohne sich um einfache Aufklärung der Tat zu kümmern (Haftbefehl, dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr gegeben): Der Tatort wird je pseudo-aufklärerischer oder pädagogischer, desto langweiliger.


  • alter Fan • am 15.10.17 um 21:27 Uhr

    als “ älterer Mitbürger “ hat man noch einen gewissen Bezug zu der Zeit und den Geschegnissen Ende der 70er – für meine Begriffe gut aufgearbeitete und äußerst interessenta Story – gut gelungen auch die filmischen Rückblenden – ansonsten durch und durch gut gemachter Stuttgarter TO


  • Erika Zeman • am 15.10.17 um 22:33 Uhr

    Jetzt ist die Frage nach Mord oder Selbstmord jetzt wieder offen. Die Frage der RAF Leute. Ein guter und spannender Tatort, Danke


  • NABU Maik • am 15.10.17 um 22:42 Uhr

    Ein guter Tatort, wie die neueren Tatorte sind, mitreißend und eine spann-ende Story. Aber die Stuttgarter Tatorte sind immer sehenswert.


  • Michel • am 15.10.17 um 22:56 Uhr

    Interessantes Thema, welches fast vergessen war. Im „deutschen Herbst“ lehnten sich vermeintliche Idealisten gegen die immer noch die Justiz dominierenden Alt-Nazis auf – und gebrauchten im Endeffekt doch nur dieselben Mittel. Ein tödliches Patt.
    Was in Stammheim wirklich passiert ist, wird sich wohl nie aufklären lassen, da zu viele Spuren dilettansisch (aber damals gab´s halt noch nicht die Vorgehensweisen von heute) bearbeitet wurden.
    Gestört haben mich allerdings die sehr harten und teilweise unmotivierten Schnitte der Kamera. Hier hätte die Regie etwas mehr Ruhe reinbringen können – so ähnelte es mehr einem modernen Musikvideo.
    Sex-Szenen gehören ja mittlerweile zum Standard bei Krimis und sind meist überflüssig. Offen gesagt hat es mich als Mann aber erfreut, etwas mehr von der Frau Staatsanwältin (Carolina Vera) zu sehen. Asche über mein Haupt und ich krieg jetzt sicher viel verbale Prügel, aber sie ist klug, clever, engagiert und halt einfach sexy! Ich meine dies als Komplimente, auch wenn`s dafür von „Emma“ einen Hashtag gibt…
    Viele Grüße
    Michel


  • Hjk • am 15.10.17 um 23:31 Uhr

    Wollte keine zu dick aufgetragene RAF Doku sondern ein Krimi sehen


  • Till Schneider • am 16.10.17 um 2:03 Uhr

    Voll danebengegangen. Den RAF-Hintergrund kann man nicht in anderthalb Stunden plausibel machen, aber das wäre unbedingt notwendig gewesen, damit der Film funktioniert. Es konnte also gar nicht klappen. Und wenn man dann noch einen neuen Rekord in puncto Szenenwechsel-Anzahl, Vor- und Rückblenden usw. aufstellen will, schießt man sich zusätzlich ins Knie.

    Der Offenbarungseid von Drehbuch und Regie war aber der: Einen alten Staatsdiener über zehn Minuten lang (!) erzählen (!) zu lassen, was damals los war. Mit diesem absurden Mittel wurde versucht, die RAF-Kuh vom Eis zu kriegen, d.h. die Story doch noch nachvollziehbar zu machen. Hat selbstverständlich nicht funktioniert. So kriegt man das, was man filmisch nicht darstellen kann oder will, erst recht nicht nicht in die Köpfe der Zuschauer rein. Ich hab einfach nichts kapiert.

    Außerdem hat der alte Staatsdiener nicht mal erzählt, was damals los WAR, sondern nur, was damals los gewesen sein KÖNNTE. Und das auch noch in einem unerträglich billigen, verschwörungstheoretischen Tonfall. Eine Gruselgeschichte für Besserwisser, sozusagen. Richy Müller saß nur da und guckte verständnislos, mit unbewegter Miene. Genau wie ich.

    Diese Aufarbeitung der Vergangenheit war keine und konnte keine werden. Dabei war doch das letzte Stuttgart-Tatörtle „Stau“ so super! Schade.


  • Paule aus Basel • am 16.10.17 um 6:43 Uhr

    Der Tatort war super
    OK – bin eh ein Fan vom Tatort Stuttgart. Also kann er nie schlecht sein :-)
    Aber das Thema was aufgegriffen worde war wircklich gut gemacht. Klar ohne Hintergrundwissen der RAF Geschichte war es schwer zu folgen.
    Aber die Spannung was sehr gut aufgebaut.
    5 von 5 Sternen


  • Thomas • am 16.10.17 um 7:19 Uhr

    Für mich einer der Besten Tatorte diesen Jahres ,
    eine Aufarbeitung der kompletten und komplexen RAF Zeit ist in 90 Minuten unmöglich jedoch werden hier viele Fragen aufgeworfen.
    Dominik Graf nimmt das Genre, schüttelt es, wirft seine Geschichte, die vielleicht ein bisschen viel erklärt, gegen die Wand der „Tatort“-Konvention. Die bekommt erfreuliche Risse. Und wir bekommen einen „Tatort“, wie es ihn nie gab. Wie es ihn häufiger geben sollte. Aufklärung mal anders.
    Vielen Dank ARD


  • arte-Versteher • am 16.10.17 um 7:56 Uhr

    o.k., wenn man als Zuschauer mit dem Anspruch an den Film geht, eine Aufarbeitung der RAF zu sehen (eine Sichtweise, die Graf natürlich mit seinem Faible für Doku-Filmelemente nahelegt), muss man enttäuscht werden. Das klappt wirklich nicht in 90 Minuten Krimi-Spielfilm, oder es wird so ein aberwitziger und im Grunde unfilmischer Parforceritt wie der Monolog des alten Ermittlers über die Todesnacht in Stammheim. Ich behaupte mal, Graf erzählt diesen Teil der Geschichte für seine eigene Generation, also für diejenigen, die diese Zeit miterlebt haben und auch noch ihre eigenen Ansichten (oder Verschwörungstheorien) darüber im Kopf haben. Der Rest wird nicht um die Lektüre von Geschichtsbüchern herumkommen.

    Nun ermitteln Lannert und Bootz und Alvarez aber nicht über Stammheim im Deutschen Herbst, sondern über einen Mordfall im Hier und Jetzt. Und sie erleben dabei, welch langen Arm die Schlapphüte und die, die von ihnen geschützt werden, haben. Gegen welche Windmühlen man da kämpft. Wie aussichtslos das ist. Wie gottgleich sich ein mieser Charakter gebärdet, der sich für unangreifbar hält, weil seine Verfehlungen immer wieder von anderen gedeckt und ausgebügelt werden. Das ist in meinen Augen der interessantere Part der Geschichte, und er ist auch hochaktuell, wenn wir mal an einen Prozess aus unserer Zeit denken, der auch mit einer Organisation mit drei Buchstaben zu tun hat, über die wir nach meiner Meinung nie auch nur annähernd so etwas wie die „Wahrheit“ erfahren werden, einfach weil es dort zu viele Interessen gibt, Schlapphüte und ihre Helfer zu decken.

    Leider ist die Geschichte auch in diesem Teil für mich nicht völlig rund. Der alte Verräter ist per se eine eindimensionale Figur, aber ich weiß nicht, ob ihm nicht ein anderer Schauspieler vielleicht doch mehr Facette und Tiefe hätte geben können. Seine rothaarige Freundin ist ganz und gar eine Kunstfigur für Cineasten. Eingeführt wird sie von der Kamera in einer Szene, in der sie wie Lara Croft inszeniert wird (nacktes Bein, Pistole). Als Schornsteinfegerin mit angeklebtem Bart verkleidet erinnert sie mich an die kürzlich verstorbene Jeanne Moreau in Truffaut’s Jules und Jim. Beim Überfall auf den Geldtransporter ist sie mit Maske und Maschinenpistole eine Hommage an alte Gangsterfilme. Nur eins ist für mich ehrlich gesagt nicht: ein Mensch aus Fleisch und Blut.

    Graf hat Glück, dass er mit dem Stuttgart-Team auf ein Set von Figuren zurückgreifen kann, die von anderen über einen langen Zeitraum schön entwickelt wurden; und was ich ihm hoch anrechne, ist, dass hier nichts versaut, sondern die Figuren behutsam aufnimmt und für sich nutzt. Staatsanwältin Alvarez, schon immer auf den ersten Blick eine glatte Karrieristen, auf den zweiten Blick eine Juristen mit klarem Sinn für die Verantwortung ihres Jobs. Bootz diesmal ein bisschen unter Wert in einer eher dienenden Rolle als Harry, der den Wagen holt. Dafür Nikita Banovic keine Stichwortgeberin mehr, sondern immer öfter eine eigenständige Ermittlerin. Und natürlich Thorsten Lannert. Ich habe Richy Müller schon beim letzten Stuttgart-Tatort über die Maßen für die lakonische Art gelobt, in der er seine Figur agieren lässt. Hier setzt er noch einen drauf. Stoisch und gelassen geht er durch diesen Film, unaufgeregt, manchmal verhalten staunend über das, was ihm da an Theorien aufgetischt wird. Grandios.

    Auch sehr schön übrigens die in Bildern schwelgende Einbettung der Stadt in den Plot.

    Nicht nur in der Ambition, sondern auch in der Umsetzung ein überdurchschnittlicher Tatort. Dennoch kann ich mich nicht zu fünf Sternen durchringen. Anschauen werde ich ihn mir aber sicher noch mehrmals.


  • Thorsten • am 16.10.17 um 9:40 Uhr

    Gute Idee, die RAF-Geschichte aufzugreifen. Mir hat auch gefallen, dass man dieses Mal relativ viel von Stuttgart zu sehen bekam.


  • Deedplace • am 16.10.17 um 14:03 Uhr

    RAF, Stammheim, Baader & Co.
    Eine recht interessante Aufarbeitung, die aber im Detail nicht so recht funktionieren wollte.
    Die Geschichte lässt hier – aufgrund gewollt oder ungewollt schlampigster Aufklärungsarbeit in den 70ern – viel Spielraum für Mutmaßungen und künstlerischer Interpretation.
    Ein schwieriges Thema und vielleicht zu schwierig, um es in 90 Minuten schlüssig darzustellen.
    Lannert & Bootz schlugen sich tapfer, Hannes Jaenicke als Jordan war eine gute Wahl.
    Mutig Herr Graf, aber ein paar Nummern zu groß.


  • renate jahns • am 16.10.17 um 15:00 Uhr

    Bewertung: 0 Sterne

    Der Tatort war Mist. Jaenickes Spiel und das der anderen Akteure war nichtssagend und ausdruckslos. Habe mich gerade per Mail beim Sender beschwert. Die ewigen Sex-Szenen gehen mir auch auf den Sender. Fängt ein Film an vergehen keine drei Minuten und man sieht die Akteure beim Liebesspiel, was für die Handlung sowieso keine Bedeutung hat.
    Der Tatort ist für mich erledigt. Seit längerem schon total überspannt.


  • Rumo • am 16.10.17 um 15:15 Uhr

    Sogar ein gewisser Herr Aust hat diese Folge sehr kritisch kommentiert.
    Nämlich als „gefährlichen Unsinn“. …


  • allesrogervolker • am 16.10.17 um 15:30 Uhr

    …muss das immer wieder sein…für mich die mit dem sogenannten
    „heißen Herbst“ aufgewachsen sind ist so ein Tatort völlig unnötig…
    es gibt keine Verfilmung die an die wirklichen Geschenkset auch nur
    annähernd herankommen an die Wirklichkeit dieser Zeit…dann
    lieber den Film „der Baader Meinhof Komplex“ der ist von den
    Darstellern super besetzt und die Geschichte der RAF wirklich
    glaubHaft wiedergegeben…


  • arte-Versteher • am 16.10.17 um 15:50 Uhr

    @Rumo

    Aust bezieht sich auf die filmische Darstellung der Verschwörungstheorie, nach der die Gefangenen in Stammheim von wem auch immer umgebracht wurden. Ich persönlich halte diese Variante auch für Unfug und gewollte Legendenbildung. Und ich bin auch bei Aust, wenn er mutmaßt, dass die Gefangenen in der Todesnacht abgehört wurden. Das wäre dann wohl unterlassene Hilfeleistung.

    Nicht einer Meinung bin ich mit Aust, wenn er meint, dass der Film dadurch, dass er die Tötungsvariante als eine von vielen durchspielt, gefährlicher Unsinn wird. Meines Erachtens bleibt es dem Betrachter selbst überlassen, welche Variante er plausibel findet. Die Verschwörungstheorie ist seit 40 Jahren im Raum, Graf hat ihr im Prinzip nichts Neues hinzugefügt. Hätte er sie ignorieren sollen? Hätte er sie widerlegen können? Hat er sie zu stark, zu verführerisch gemacht.? Ich denke nicht. Aber ich gebe zu, manchmal neige ich dazu, die Fähigkeit von Zuschauern zur distanzierten Wahrnehmung eines Films zu überschätzen.

    Dass Aust sich zu Wort meldet, ist natürlich unvermeidbar. Er ist in Deutschland der absolute Inhaber der Deutungshoheit über den RAF-Komplex. Was er aber auch sagt: Vieles wäre klarer, wenn die Öffentlichkeit nach 40 Jahren Aktenzugang hätte. Sonst darf man sich über Mythenbildung nicht wundern.

    (Drei Sterne wg. Mehrfachpost)


  • MoMi • am 16.10.17 um 16:50 Uhr

    Absoluter Spitzen-Tatort, der die Geschichte sehr gut aufarbeitet. Spekulationen über den Tod der RAF Mitglieder gut dargestellt. Möglich ist ja inzwischen „Alles“ – Verschwörungstheorien grassieren weltweit. Siehe bei der Ermordung von JFK.
    Datum der Ausstrahlung gut gewählt, da 18.10. nicht möglich für die Ausstrahlung des Tatorts.
    Alles hat mir bestens gefallen und ich hoffe, das Niveau des TO bleibt so.


  • G.E. Rücht • am 16.10.17 um 17:24 Uhr

    Wie hier auf verschiedenen Ebenen die wohl nie wirklich aufgeklärten Dinge in Stammheim beleuchtet werden, ist schon gut gemachtes Fernsehen. Klasse auch das Ende, wer den Spitzel wirklich umbrachte, bleibt wie damals letztlich offen. Habe mich gut unterhalten gefühlt und einige Denkanstöße mitgenommen. Werde mir diesen Tatort auf jeden Fall noch einmal geben.


  • Marcus • am 16.10.17 um 19:41 Uhr

    Wirklich gelungener Tatort, auch wenn bis zum Schluss unklar blieb, wer tatsächlich Jordans Mörder war. Aber die Verknüpfung Herbst 77 und 40 Jahre später hat schon sehr gut gepasst. Die Stuttgarter Truppe wird immer besser, schon „Stau“ war eine prima Geschichte. Soa koas weiderganga im Ländle ;-)


  • Dirk • am 16.10.17 um 22:32 Uhr

    Der Tatort mit der Nummer 1031, gestern, ARD, 20:15 h, Erstsendung. Als ich die Programmvorschau in den allgemeinen und auch globalen, einschlägig bekannten, Medienkörper zu lesen geneigt war, erfüllte mich eine freudige Erwartung auf diesen doch ganz speziell angekündigten Tatort-Thriller, welcher sich, einmal ganz anders und kriminalistisch neutral, mit dem dargestellten filmischen Sachverhalt des wohl dunkelsten Kapitels in der jungen Geschichte des Neuen Deutschlands beschäftigen sollte. Die beiden Asse der Stuttgarter Mordkommission, der Hauptkommissar Lannert und der Hauptkommissar Bootz, ermitteln anfangs in einem wohl nicht wirklich alltäglich vorkommenden Tötungsfall, welcher sich mehr und mehr zu einem gesellschaftlichen Totentanz im Umfeld von ehemaligen und noch aktiv gesuchten Terroristen der damaligen sogenannten Roten Armee Fraktion entwickelte. Unterstützung finden die beiden Todesermittler wie immer durch die attraktiv erscheinende Staatsanwältin Alvares und des Pathologen Doktor Vogt, sowie weiteren Hospitanten in einem düsteren “ Trau-Schau-Wem“ – Polizeifall. Für mich ein interessanter abendlicher Tatort-Thriller, mit Darstellungen abstruser Theorien und somit deftiges Futter für die sicherlich noch reichlich vorhandenen Verschwörungstheoretiker, welche vor, hinter oder auf der Seite des Gesetzbuches in grauer Vergangenheit sich befunden haben. Wer nun wen alles geführt, verführt, verraten, denunziert, gequält, gefoltert oder ermordet hat wird ein 90minütiger Tatort-Spielfilm nach all den Jahrzehnten sicherlich nicht an das so ersehnt wirkende Tageslicht bringen. Vollgepackt mit Klischees und Vorurteilen war dieser Streifen jedoch alle und so viele Male. Ich schaute ihn mir, zugegebener Maßen, erstaunlich interessiert an, wobei ein komplexerer Blick auf das, eigentlich von mir erwartete Hauptthema dieser sonnabendlichen Tatort-Sendung, nämlich die staatsrechtliche Jagd nach raubenden und tötungsbereiten Terroristen einer alternden Generation, sicherlich der, immerhin vorhandenen teilweisen Spannung, gut getan hätte. Ein sehenswerter Fernsehkrimi zum ausklingenden Wochenende, welchen ich mir in einer geplanten Wiederholung sicherlich nicht entgehen lassen werde. Die Dame wurde übrigens von Petra Mott gespielt.


  • Ralf • am 16.10.17 um 23:31 Uhr

    @carmen (ganz oben)
    Der Titelsong heißt »Victory Hall« und ist von Sven Rossenbach, Florian Van Volxem & Matti Rouse. Wenn Du danach googelst, solltest Du Kaufoptionen finden.


  • Hans • am 17.10.17 um 16:20 Uhr

    Grauenhafter Tatort, ´der schlechteste Stuttgarter Tatort ever.
    Bitte hört auf den Tatort für Geschichtsunterricht oder Psychaterie zu missbrauchen. Macht endlich wieder spannende Krimis.


  • Garbak • am 17.10.17 um 21:44 Uhr

    Servus, liebe Gemeinde
    hm. Ich hab doch eine Lücke. Wer hat denn nun die Frau in der Badewanne ermordet? Der Hannes Jaenike war es wohl nicht, denn das verschwundene und wieder aufgetauchte Glas versteh ich wohl so, daß es ihn belasten sollte (Spuren von KO-Tropfen im Glas). Also – war er es wohl nicht. Aber wer dann?
    Wär lieb, wenn mir wer antwortet. Danke.


  • ERwin • am 17.10.17 um 22:47 Uhr

    Ich muss gestehen, ich bin unschlüssig. 3 Sterne? 4 Sterne?? Spannend war es ja. Und doch, haben andere nicht schon all das geschrieben, was ich auch bemängeln würde?
    Am Ende gebe ich einen Stern, obwohl es eigentlich gar keiner sein dürfte. Mein Argument: ich erinnere mich sehr gut – und da denke ich mal, dieser TO wurde wohl nur von der Generation 60+ verstanden – an jene Schreckensjahre, an den Terror der RAF (und es war ja nicht nur der ‚Deutsche Herbst‘, übrigens ein furchtbar verniedlichender Ausdruck für die geschichtlich schlimmste Phase der BRD), an die Fahnungsplakate, an die beständige Angst, an die vielen entsetzlichen Nachrichten von unschuldigen Opfern.
    Kann es denn wirklich wahr sein, dass all dies hier und heute hervorgeholt wird, um einen mittelmäßigen Krimi aufzupeppen??? Ich halte so etwas schlichtweg für unethisch. Die vielen Opfer jener völlig durchgeknallten Mörderbande – nichts anderes waren sie! – würden sich im Grabe umdrehen, wüssten sie, was wir heute aus ihrem Leid gemacht haben: billige Fernsehunterhaltung.


  • alter Fan • am 18.10.17 um 22:33 Uhr

    Frage an die Redaktion : was mir nun schon wiederholt aufgefallen ist und mit Sicherheit jeden Tatort Ermittler aufmerksam machen würde – wie ist es möglich , daß mein Beitrag bereits um 21:27 Uhr bei Ihnen registriert wurde , obwohl ich an dieser Stelle versichern kann , daß ich den TO bis Ende ( 21:45 ) angeschaut und danach meinen Kommentar verfasst habe . Wer dreht da an der Systemuhr ? – oder ?


  • Laura • am 24.10.17 um 9:34 Uhr

    Endlich mal wieder ein Tatort, bei dem man sich etwas konzentrieren muss… Auch jene, die mit dem Stammheim-Prozess nicht versiert sind, haben durch die deutlich gezeigte Kontroverse in der Aufarbeitung der Morde eine Motivation, sich damit zu beschäftigen. Das ist für mich öffentlich-rechtliches Fernsehen, das unabhängig von der Haltung der Regierung sein sollte. Well done!


  • Caro • am 1.11.17 um 17:55 Uhr

    Vielversprechender Anfang. Ich fand es spannend. Leider blieb es nicht so. Spätestens als die Rückblenden kamen, kam Langeweile auf.
    Stuttgart, das könnt ihr besser!


  • Revilo • am 11.10.19 um 15:01 Uhr

    Lannert und Bootz in der 21. von insgesamt bis jetzt 24 Folgen dieser Tatort-Ermittler.

    In dieser Folge “Der rote Schatten“ bekommen es die beiden Stuttgarter Ermittler Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) bei einer Mordermittlung mit dem Deutschen Herbst und deren Verwicklungen von 1977 zu tun. Deshalb kann man davon ausgehen, dass diese beiden Ermittler mit ihrem gesamten Team mal wieder für ein filmisches Experiment benutzt wurden. Was natürlich hier Hoffnung machte, war die Verpflichtung von Dominik Graf als Regisseur. Dieser hat sich auf jeden Fall schon einen Namen gemacht mit Filmen über oftmals extreme und spezielle Themen.

    Story:
    Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) werden zu einem bizarren Unfallort gerufen. Dort ist Christoph Heider (Oliver Reinhard) mit seinem Fahrzeug verunglückt und in seinem Kofferraum liegt die Leiche seiner Ex-Ehefrau Marianne Heider (Katja Niedermeier). Bizarr ist, dass sie als Tote von Christoph Heider (Oliver Reinhard) aus der Pathologie entführt wurde. Beim Verhör bekommen die Ermittler von ihm erzählt, dass er auf dem Weg nach Frankreich war, um dort seine Frau nochmals obduzieren zu lassen. Denn er glaubt nicht an ihren Unfalltod, indem sie betrunken in ihrer Badewanne ertrunken ist, sondern dass sie ermordet wurde. Den Mörder kann er mit Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke), dem aktuellen Lebensgefährten seiner Ehefrau, auch nennen. Seine Indizien für diese These wirken sogar glaubhaft. Und er wirft dem Staat vor, diesen Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) zu schützen. Weil auch Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) von Oberstaatsanwalt Lutz (Friedrich Mücke) noch früher am morgen schon eine Weisung bekam, diesen als Unfalltod abgeschlossen Fall weiter so zu sehen im Interesse des Staatsschutzes, nimmt Lannerts Team mit der Einwilligung von Emilia Álvarez (Carolina Vera) doch Ermittlungen auf. Diese führen die Ermittler sogar in die Terrorszene des deutschen Herbstes im Jahre 1977, vor allem die Todesnacht von Stammheim, wo Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) aktiv und im Interesse des Staatschutzes mitgewirkt haben soll.

    Zuerst einmal habe ich diese Folge gesehen und fand keinen Gefallen daran. Dann sah ich mir sie nochmals an und konnte das gefühlte Durcheinander von dem ersten Mal ansehen verstehen und sogar eine Ordnung darin erkennen. Grundsätzlich hatte für mich diese Folge dann sogar eine einfache Geschichte. Ob schön, ist eine andere Frage.
    Filme von Dominik Graf haben oft einen interessanten Anfang, der dann viel verspricht, manchmal auch unvergessene Highlights-Szenen setzt, vielleicht aber auch deshalb gegen Schluss irgendwie dann doch abfällt. Dass kann im Härtebereich sein. Es kann im Thriller-Bereich sein. Aber es kann auch im geschichtlichen Bereich sein. Diese Tatortfolge “Der rote Schatten“ schlägt aber nach allen Richtungen nicht so weit aus.
    Ein weitere Arbeitsstruktur von ihm sind Rückblenden. Hier baut er dazu auch oft Originalaufnahmen dieser Zeit des Deutschen Herbst mit ein. Dann wechselt er hin, zurück, hin. All das wirkte bei mir beim ersten Mal zuschauen nervös und etwas durcheinander. Da muss man beim Ansehen schon eine Menge Konzentration mit einbringen, was ich beim zweiten Mal auf jeden Fall zustande brachte.
    Der eigentliche Fall ist ja ganz einfach. Das Problem der Ermittler liegt daran, dass sie eigentlich an ihren Verdächtigen Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) nicht herankommen. Ihre Aufgabe liegt hier vor allem daran, einen solchen Weg zu finden. Und dafür müssen sie sich auch mit dem deutschen Herbst beschäftigen. Lannert (Richy Müller) macht dies symbolisch wohl für die Zeitzeugenzuschauer und Bootz (Felix Klare) für die danach folgende Zuschauergeneration, die diesen Deutschen Herbst nicht erlebt haben.

    Was bleibt am Ende?
    Der Film zeigt uns Zuschauer alle Spekulationen über die Todesnacht von Stammheim. Am Ende wissen wir auch nicht mehr. Es wird vieles geredet und auch versucht zu erklären. Vielleicht ist das dem Publikum geschuldet, um diese auf einen gemeinsamen Stand zu bringen. Aber mindestens für die Zeitzeugenzuschauer hat dies eigentlich nichts gebracht.
    Oder vielleicht doch?
    Ein Beispiel dazu könnte sein, um uns zu zeigen wie so ein Staatsschutz funktioniert. Was zum Beispiel Prioritäten in diesem System für manchmal sogar langfristige Opfer verlangen. Die man dann in Wirklichkeit ja wohl auch nie zugeben kann.
    In der Geschichtsfolge dieser Ermittler erfahren wir, dass Lannert (Richy Müller) mit der Terroristin Gudrun Ensslin in einer Hamburger Wohngemeinschaft Mitte der 1970er Jahre zusammen gelebt hat.
    Doch schlussendlich ist diese Folge “Der rote Schatten“ ein Kriminalfall, wo der Mordfall sogar etwas in den Hintergrund gerät. Und so löst er sich, wie auch die Todesnacht von Stammheim im Jahre 1977, zum Teil auch in Spekulationen auf.
    Das wird wohl auch das Ziel gewesen sein von Regisseur Dominik Graf, der es aber in dieser Folge geschafft hat, dass alle Schauspieler hier eine überdurchschnittliche Performance abgeliefert haben.

    Deshalb ist irgendwie diese Folge “Der rote Schatten“ schon etwas Besonderes. Aber all diese Besonderheiten werfen hier leider auch negative Schatten. Schlussendlich muss ich deshalb diesen nicht geraden Durchschnittsfilm mit einer Durchschnittsbewertung ausstatten.
    Eine Wiederholung von dieser Folge brauche ich eigentlich nicht. Wenn man ihn anschaut, dann muss man ihn zu 100 % sehen. Von Anfang bis Ende. Vielleicht hat Regisseur Dominik Graf deshalb direkt am Anfang des Filmes eine Szene eingestreut, wo Carolina Vera als Staatsanwältin Emilia Álvarez alles geben muss und gibt.

    Meine Schulnote: 3-


  • Gottlieb • am 15.12.19 um 13:04 Uhr

    Dominik Graf wärmt alte Legenden wieder auf. Das ist allerdings in seiner Biographie begründet. In einem dpa-Interview tut er Folgendes kund:
    „Man muss zum Thema RAF eine völlig neue Qualität in die Perspektive der Geschichtsschreibung und in die Analyse der Ereignisse einführen. Man muss verstehen, dass sich im Nachkriegs-Westdeutschland zwei Generationen als Todfeinde gegenüberstanden. Die alten Nazis, überall noch präsent, und die nächste Generation, die eine Utopie hatte. […] Ich habe ständig Faschismus im Alltag erlebt. Manche Lehrer, viele Beamte, fast das ganze damalige Staatspersonal bis hin zum Zugschaffner und Hausmeister, alles autoritäre Kettenhunde. Auf der Straße, in der Schule.“
    Schon die Behauptung, in den fünfziger und sechziger Jahren seien noch überall alte Nazis und Faschismus präsent gewesen, ist ein dummes Pauschalurteil, das nicht dadurch besser wird, daß die Delinquentengruppe dann auch noch auf „autoritäre Kettenhunde“ erweitert wird. (Bei Lenin hieß es übrigens „Kettenhunde des Imperialismus“ und war auf seine sozialistischen Gegner gemünzt.) Autoritär waren damals die gesellschaftlichen Strukturen in allen Ländern, auch dort, wo der Nationalsozialismus keine Rolle gespielt hatte. Wenn Graf von der Todfeindschaft zwischen zwei Generationen spricht, so nur im Namen einer kleinen abgehobenen Gruppe von Geistesakrobaten und Faulenzern im Schonraum der Universitäten und Schulen, aber schon in den handfesten Disziplinen wie Jura oder Naturwissenschaften war deren Einfluß begrenzt. Doch die Wortführer dieser Gruppe hatten das Sagen, genau wie heute, und schafften es, eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem neuen Biedermeier auf ihre Mühlen zu lenken und antifaschistisch auszumünzen. Damals wie heute ging es darum, junge Menschen ohne Lebenserfahrung mit Utopien oder apokalyptischen Schreckensbildern zu fanatisieren und Widerstand ohne Diskussion durch öffentlichen Druck zu brechen. Das gelang aber nicht im ersten Anlauf. Es mußten noch Jahrzehnte vergehen, bis die 68er und deren rotgrüne Nachfolger die Hegemonie so weit errungen hatten, daß sie skrupellos Kinder für ihre Zwecke massenhaft mobilisieren und selbst die obersten Repräsentanten des Staates für ihre sinistren Herrschaftszwecke einsetzen konnten. Der Krimi beweist m. E. die Komplizenschaft des SWR mit den RAF-Sympathisanten. Graf hat recht: Das Thema ist aktuell, wenn auch in anderer als der von ihm gemeinten Weise.


  • Michael Kudlich • am 15.5.20 um 0:38 Uhr

    Die RAF macht Urlaub in Spanien solange es noch geht.
    Si corona me tormenta /
    sperato me contenta .
    Olé


  • Walter Ulbricht • am 15.5.20 um 13:53 Uhr

    Ein Baader-Meinhof-Gedächtnis-TO ?
    Interessant könnte die Einbindung von geschichtlichen Personagen sein.
    Ich würde Idi Amin auftreten lassen.
    Zusammen mit Willy Brandt. Und Willi Stoph.


  • HerrBert • am 21.12.20 um 23:59 Uhr

    Wenn man eine sehr gute Geschichte hat, diese gekonnt in Szene setzt und spannend arrangiert, dazu noch eine erstklassige Schauspielerschaft engagiert und am Ende noch den Bogen spannt zu realen, gravierenden Ereignissen, dann kommt auch etwas Gutes dabei heraus. 1A Tatort, zum wiederholten Mal gesehen.

    @ alle, die in desem Film eine Beugung geschichtlicher Fakten bzw. Halbwahrheiten sehen, sei gesagt: Es handelt sich um einen Spielflm und nicht um eine Dokumentation. Ich sehe nicht, dass dieser Tatort den Anspruch auf die absolute Wahrheit erhebt.


  • HerrBert • am 22.12.20 um 0:21 Uhr

    @ Gottlieb: Vielen Dank für Ihre ausführlichen gesellschaftspolitischen Belehrungen, bei denen Sie sich ordentlich Mühe gegeben haben. Leider konnten Sie nur schlecht verbergen, welches Geistes Kind Sie sind.
    Sorgen Sie sich nicht: Meine Meinung bilde ich mir selbst.


  • Henning • am 27.5.21 um 21:13 Uhr

    Es hätte von der Idee eine interessante Geschichte werden können, doch dass die Macher hier das Fass der Stammheim-Sache neu aufmachen, lässt einen fassungslos zurück. Ensslin und Baader haben auf den alten Nazis in der jungen Bundesrepublik herumgeritten, hatten aber selbst keinen Plan, wie man es besser macht… irgendein Ding zwischen Räterepublik und Stalinismus sollte es wahrscheinlich werden. Die junge Bundesrepublik, dieser neue Staat, der sich noch finden musste, hatte Glück, in dieser Zeit sehr gute politische Führungskräfte zu haben, die das Schiff durch den Sturm steuerten. Allenfalls den Werdegang von Ulrike Meinhof bedaure ich. Die anderen Insassen von Stammheim waren extrem bösartig (vor allem Baader) und nun sind sie schon lange weg – und keiner weint ihnen eine Träne nach. Bis auf vielleicht einige wenige, die sich heute noch fragen, wie sie ihr Ende fanden und dies filmisch thematisieren wollen.


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