Kurz und knapp – darum geht’s

Im Swimmingpool einer Berliner Villa ertrinkt die wohlhabende Pelzhändlerin Marianne Lorenzen, während ihr wesentlich jüngerer Ehemann Theo tatenlos am Beckenrand steht. Die 16-jährige Birgit aus dem benachbarten Kinderheim hat alles beobachtet und wittert ihre Chance, dem Traum von einem Leben in Luxus näher zu kommen. Während Hauptkommissar Bülow trotz fehlender Beweise Verdacht schöpft, nutzt Birgit ihr Wissen geschickt, um sowohl den Ermittler als auch den Witwer zu manipulieren. Als Bülow endlich begreift, welch gefährliches Spiel die „kleine Kanaille“ treibt, gerät sie selbst in eine tödliche Falle…

Inhalt der Tatort-Folge „Die kleine Kanaille“

Sonnenlicht bricht durch die staubige Dachluke eines Kinderheims in einem Berliner Villenviertel. Hier liegt die 16-jährige Birgit, verschlingt einen Groschenroman und beobachtet dabei das Leben der Reichen im Nachbargrundstück, wo sich die Pelzhändlerin Marianne Lorenzen mit ihrem attraktiven, aber wesentlich jüngeren Ehemann Theo am Pool vergnügt. Die Seiten des Kitschromans rascheln zwischen ihren Fingern – ein Klang, der für Birgit den Übergang zwischen trostloser Realität und erträumter Luxuswelt markiert.

Der sommerliche Frieden wird jäh durch Geschrei und Wasserspritzen gestört. Als Birgit aufblickt, sieht sie, wie Marianne Lorenzen im Pool ertrinkt, während Theo regungslos am Beckenrand steht. Eine Szene wie aus einem ihrer Romane – und Birgit ist die einzige Zeugin.

Hauptkommissar Hans Georg Bülow, ein Mann mit tadelloser Kleidung und beißendem Humor, kann bei seinen Ermittlungen zunächst keine konkreten Hinweise auf ein Verbrechen finden. „Ein Herzversagen beim Schwimmen“, lautet die offizielle Todesursache. Doch der Polizeiarzt findet den Fall „irgendwie merkwürdig“, und Bülow wittert mehr dahinter. Sein detektivischer Instinkt führt ihn wie ein Bluthund auf die Fährte des vermeintlichen Badeunfalls, und dabei trifft er auf Birgit.

„Ich weiß etwas, das Sie nicht wissen“, deutet das Mädchen gegenüber dem Kommissar an. Wie eine Spinne, die ihr Netz zwischen Theo und den Ermittlern spannt, macht sich Birgit durch geschickte Andeutungen zur wichtigen Person. Bülow, der sich selbst für einen Menschenkenner hält, durchschaut nicht, dass das Mädchen ein doppeltes Spiel treibt: Während sie dem Kommissar vage Hinweise gibt, erpresst sie Theo mit ihrem vermeintlichen Wissen.

Die Atmosphäre verdichtet sich, als Bülow erfährt, dass Theo bereits zum zweiten Mal Witwer einer reichen, älteren Frau geworden ist. „Die erste starb bei einem Autounfall“, erklärt Bülows Assistent Leuschner, nachdem er telefonisch Informationen von seinem Kollegen Schimanski aus Duisburg erhalten hat. Die sommerliche Berliner Hitze, die über den Villen flimmert, scheint nun wie eine erdrückende Glocke über dem Fall zu liegen.

In einem Eiscafé, wo das Sonnenlicht durch die getönten Scheiben schimmert und die Löffel gegen die Glasschalen klirren, versucht Bülow, Birgits Vertrauen zu gewinnen. Doch das Mädchen spielt mit ihm, wie ein Matador mit dem Stier tanzt – sie lockt ihn nah heran, nur um ihm im entscheidenden Moment auszuweichen. „’Es gibt Männer, die herrschen, und Männer, die dienen wollen'“, zitiert sie einen ihrer Groschenromane mit einem wissenden Lächeln, das ihre wahren Absichten verbirgt.

Die Beziehung zwischen Birgit und Theo intensiviert sich. Auf einer Modenschau auf einem Spree-Dampfer, wo Pelzmäntel im Scheinwerferlicht glänzen und Sektgläser klirren, tritt Birgit als Model auf – ein weiterer Schritt in ihre erträumte Welt des Luxus. Doch hinter den Kulissen ihres scheinbaren Aufstiegs lauert Gefahr.

Als Bülow eines Abends auf einer Gartenparty bei Theo erscheint, um nach Birgit zu suchen, stürzt das Mädchen plötzlich von einem manipulierten Zaun in den See und verheddert sich in einem Netz. Nur durch Bülows schnelles Eingreifen kann sie gerettet werden – eine Falle, die offensichtlich für sie bestimmt war.

Doch trotz dieses Anschlags hält Birgit an ihrem Plan fest. Der duftende, luxuriöse Pelzmantel, den Theo ihr geschenkt hat, ist für sie wie ein Symbol des bevorstehenden Triumphs – sie ist bereit, jeden Preis zu zahlen, um ihrer Heimrealität zu entfliehen, selbst wenn dieser Preis ihre eigene moralische Integrität ist.

Hinter den Kulissen

Der Tatort „Die kleine Kanaille“ ist der zweite Fall mit Kriminalhauptkommissar Hans Georg Bülow, gespielt vom Wallace-Film-Veteranen Heinz Drache. Die Episode wurde vom Sender Freies Berlin (SFB) produziert und im Zeitraum zwischen dem 29. Juli und dem 6. September 1985 in West-Berlin gedreht. Die Erstausstrahlung erfolgte am 26. Januar 1986 in der ARD.

In den Hauptrollen brillieren neben Heinz Drache als Kommissar Bülow auch Herbert Herrmann als der verdächtige Witwer Theo Lorenzen und die junge Anja Jaenicke als manipulative Birgit. Jürgen Kluckert, der Bülows Assistenten Kriminalkommissar Leuschner verkörpert, ist Hörspielfans besonders als Erzähler in der Gruselserie „Gabriel Burns“ (2003-2014) und als Stimme von „Benjamin Blümchen“ (seit Folge 81) bekannt.

Ein besonderes Highlight der Folge ist der telefonische Gastauftritt von Kommissar Horst Schimanski aus Duisburg, der wichtige Hinweise zum Fall liefert – eine ungewöhnliche Verbindung zwischen den unterschiedlichen Tatort-Ermittlern.

Bei der Erstausstrahlung erreichte „Die kleine Kanaille“ sensationelle 17,11 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 44% entsprach. Trotz dieser beeindruckenden Quote gilt die Folge unter Tatort-Kennern als einer der schwächeren Fälle des Berliner Ermittlers. In der Bewertung der Fangemeinde des „Tatort-Fundus“ belegt der Film einen der hinteren Plätze in der umfangreichen Rangliste.

2018 wurde der Film vom rbb Fernsehen in restaurierter HD-Fassung und mit Videotextuntertitelung im Rahmen der Reihe „Tatort Classics“ neu ausgestrahlt, wodurch diese Zeitkapsel des Berlins der 1980er Jahre mit seiner charakteristischen Atmosphäre – von den blinkenden Treppenstufenkanten der Ku’damm-Cafés bis zur damals noch prominenten Pelzmode – einem neuen Publikum zugänglich gemacht wurde.

Besetzung

Jürgen Kluckert (Kommissar Matthias Leuschner)
Maximilian Wigger (Assistent Öllerink)
Almut Eggert (Sonja Bach)
Anja Jaenicke (Birgit)
Herbert Herrmann (Theo Lorenzen)
Johanna Elbauer (Marianne Lorenzen)
Inge Herbrecht (Frau Gildener)
Geraldine Gaul (Marion)
Ute Gerlach
Klaus Mikoleit
Dennis Schmidt-Foss

Stab

Regie: Rolf von Sydow
Buch: Dieter Schubert
Kamera: Rolf Licini
Schnitt: Barbara Herrmann
Musik: Jürgen Franke
Produktion: SFB