Kurz und knapp – darum geht’s

Ein Schuss im Dunkeln verändert alles: Während einer nächtlichen Streife wird Wiener Inspektor Ullmann niedergestreckt und schwebt wochenlang zwischen Leben und Tod. Seine Kollegen Fichtl, Hollocher und Schulz stürzen sich verbissen in die Jagd nach dem Täter – doch ihr blinder Eifer führt zu einem folgenschweren Fehlurteil. Als Oberinspektor Hirth den Fall neu aufrollt, offenbaren sich Abgründe, die tiefer reichen als das Wiener Rotlichtmilieu. Doch je näher er der Wahrheit kommt, desto mehr gerät sein eigenes Team ins Visier …

Inhalt der Tatort-Folge „Nachtstreife“

Der Regen klatscht gegen die Scheiben der Wiener Wachstube, als Oberinspektor Hirth die Dienstpläne durchblättert. Seine Hände zittern kaum merklich – ein Relikt jener Nacht, als ein Drogenring seine Karriere fast beendet hätte. Draußen, im Neonlicht der Spelunken, patrouilliert Inspektor Ullmann. Routine, bis ein Knall die Stille zerreißt. Ullmanns Schmerzensschrei vermischt sich mit dem Heulen einer Motorradmaschine, die in die Nacht entfleucht.

Im Krankenhaus riecht es nach Desinfektion und Verzweiflung. Ullmanns Bein, von der Kugel zerschmettert, droht zu vereitern. „Wir kriegen den Hund“, flüstert Fichtl am Bett, während Hollocher im Flur eine Wand aus Akten stapelt. Die drei Ermittler gleichen Gejagten: Schulz’ Hemd ist schweißgetränkt, Fichtls Augen rot unterlaufen. Sie durchkämmen Bordelle und Hinterhöfe, wo der Asphalt nach abgestandenem Bier und Angst riecht. Als sie in einem Versteck eine Beretta mit abgefeilter Seriennummer finden, glauben sie sich am Ziel. Der Verdächtige, ein schmächtiger Junkie mit Vogel-Tattoo, lacht sie an: „Ihr findet’s eh nix.“ Doch sein Lachen verstummt, als er sich in der Zelle eine Schlinge um den Hals legt.

Hirth, der stets wie ein Schatten hinter seinen Männern agierte, tritt nun ins Licht. Sein Büro, ein Labyrinth aus vergilbten Landkarten und Kaffeeflecken, wird zum Kriegsraum. „Ihr habt den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen“, wirft er den Ermittlern vor, während er Akten wie Dominosteine anordnet. Eine Spur führt zu Sandra, einer Prostituierten mit zersprungenem Nagellack und Heroinnarben. Ihr Flüstern in der verrauchten Orientbar – „Der Türke hat’s Moped“ – entpuppt sich als Falle.

In der Schlüsselszene, eingehüllt in den Nebel der Donau, stellt Hirth die entscheidende Frage: „Wer profitiert, wenn wir im Kreis laufen?“ Die Antwort findet sich in einem Supermarktkeller, wo Blut an den Wänden klebt und ein abgebrochener Schlüssel zum Verhängnis wird. Als Fichtl in letzter Sekunde den Abzug betätigt, spiegelt sich in seinen Augen nicht Triumph, sondern Erschöpfung. Hirth schweigt. Denn manchmal ist die Wahrheit ein Gift, das selbst die Gerechten tötet …

Hinter den Kulissen

„Nachtstreife“ (1985) markiert den dritten Fall des Wiener Oberinspektors Hirth, gespielt von Kurt Jaggberg, der mit seiner stoischen Ruhe zum Markenzeichen der ORF-Tatorte wurde. Gedreht wurde vom 12. März bis 18. April 1985 in authentischen Wiener Locations: dem Gürtel-Rotlichtviertel, dem alten AKH und dem verschneiten Donaukanal. Regisseur Jochen Bauer ließ die Kamera oft handheld laufen, um die Brutalität der 80er-Jahre-Drogenszene einzufangen. Gaststar Michael Bukowsky (als Freddy) improvisierte legendäre Szenen im Bordell-Milieu – angeblich inspiriert von realen Begegnungen mit Wiener Zuhältern.

Die Erstausstrahlung am 15. September 1985 erreichte 19,66 Millionen Zuschauer:innen (49 % Marktanteil) und löste Debatten über Polizeigewalt aus. Trivia: Das „Vogel-Tattoo“ des unschuldigen Verdächtigen war ein Insiderverweis auf den Drehbuchautor Leo Frank, dessen Spitzname „Sperling“ laut Produktionsnotizen in die Story einfloss. Die Folge gewann 1986 den „Prix Danube“ für die beste Krimi-Darstellung (Jaggberg) und wurde 2003 im Rahmen der „Tatort-Kultnächte“ remastert neu aufgelegt.

Besetzung

Oberinspektor Hirth – Kurt Jaggberg
Inspektor Ullmann – Miguel Herz-Kestranek
Inspektor Fichtl – Michael Janisch
Inspektor Schulz – Heinz Zuber
Inspektor Hollocher – Michael Bukowsky
Hofrat Putner – Gerhard Dorfer

Stab

Buch – Leo Frank
Regie – Jochen Bauer
Kamera – Wolfgang Koch
Produktionsleitung – Carl Stiberny