Kurz und knapp – darum geht’s
In einer Villa an der Alster wird ein angesehener Hamburger Chefarzt erschossen aufgefunden. Seine Ehefrau Brigitta Beerenberg gesteht die Tat mit der Begründung, sie habe in Notwehr gehandelt, als ihr betrunkener und untreuer Gatte sie bedroht habe. Während ein Amtsarzt bei ihr Eifersuchtswahn diagnostiziert und sie in eine psychiatrische Klinik einweisen lässt, kommen Hauptkommissar Paul Trimmel erhebliche Zweifel an der Notwehrversion. Als er die Verbindung zwischen der Verdächtigen und einem waffensammelnden Liebhaber entdeckt, beginnt ein psychologisches Katz-und-Maus-Spiel mit überraschenden Wendungen vor Gericht.
Inhalt der Tatort-Folge „Der Richter in Weiss“
Nebelverhangen liegt die noble Villa an der Alster am frühen Morgen, als Hauptkommissar Paul Trimmel zum Tatort gerufen wird. Im Arbeitszimmer des Hauses findet er die Leiche von Dr. Peter Beerenberg, einem renommierten Chefarzt eines Hamburger Krankenhauses. Seine Frau Brigitta steht wie versteinert im Raum – in ihren Augen flackert etwas zwischen Angst und Erleichterung. Mit brüchiger Stimme gesteht sie, ihren Mann erschossen zu haben, nachdem dieser betrunken nach Hause gekommen sei und sie, wie so oft, bedroht habe. „Er hat mich nicht nur betrogen, er hat damit geprahlt“, gibt sie an, während ihre Hände zittern.
Trimmel, der wortkarge und scharfsinnige Ermittler mit dem abgetragenen Mantel, beobachtet jede ihrer Bewegungen mit gerunzelter Stirn. Etwas an ihrer Geschichte wirkt zu glatt, zu einstudiert. Die Haushälterin der Beerenbergs kann bei ihrer Befragung keine Liebschaften des Chefarztes bestätigen – im Gegenteil: Dr. Beerenberg sei stets ein korrekter, wenn auch jähzorniger Mann gewesen. Für den Amtsarzt scheint der Fall klar: Eifersuchtswahn. Die traumatisierte Brigitta Beerenberg wird in eine psychiatrische Klinik eingewiesen.
Doch Trimmel ist ein Mann, den Widersprüche wie Magneten anziehen. Sein Instinkt sagt ihm, dass die Handlungen der Täterin viel zu überlegt wirken für eine spontane Notwehrreaktion. „Das war kein Affekt, das war Kalkül“, murmelt er, während er die Tatortfotos betrachtet. Die Entdeckung, dass Brigitta selbst zahlreiche Männerbekanntschaften hatte, verdichtet seinen Verdacht. Seine Ermittlungen führen ihn nach Bremen zu Max Conradi, einem Liebhaber der Beschuldigten, dessen beeindruckende Waffensammlung den Kommissar aufhorchen lässt. „Haben Sie ihr Schießunterricht gegeben?“, fragt Trimmel mit scheinbar beiläufigem Ton, und das kurze Zögern in Conradis Antwort verrät mehr als Worte.
Wie Puzzleteile aus verschiedenen Schachteln erscheint Trimmel zunächst sein zweiter Fall – der Mord an einer Prostituierten, für den ein eifersüchtiger Freund verantwortlich sein soll. Doch ausgerechnet dieser scheinbar unzusammenhängende Fall liefert dem Kommissar den entscheidenden Gedankenblitz: Wie bei den zwei identischen Messern in diesem Mord könnte auch im Fall Beerenberg mehr als eine Waffe im Spiel gewesen sein. Die Suche des Teams ist wie ein Tauchen im trüben Wasser der Alster – mühsam und mit ungewissem Ausgang. Doch Trimmel findet tatsächlich eine zweite Pistole und damit einen Riss in der Notwehrgeschichte.
Währenddessen gerät die psychiatrische Klinik zum Schauplatz eines gefährlichen Spiels. Professor Robert Kemm, der die attraktive Patientin untersucht, lässt sich trotz besseren Wissens von ihr umgarnen wie ein unerfahrener Medizinstudent. Die weißen Korridore und sterilen Räume der Klinik bilden eine gespenstische Kulisse für die sich anbahnende Verstrickung zwischen Arzt und Patientin. Als schließlich ein Selbstmordversuch und später eine Gerichtsverhandlung folgen, offenbart sich das wahre Ausmaß der Manipulation und der fatalen Entscheidungen aller Beteiligten.
Der grelle Lichteinfall im Gerichtssaal steht im Kontrast zu den Schatten, die die Wahrheit verhüllen. Trimmel kann vor dem Schwurgericht die Notwehrbehauptung der Verteidigung widerlegen, doch die überraschende Wendung kommt, als Brigitta Professor Kemm öffentlich beschuldigt, mit ihr geschlafen zu haben. Um seine Karriere zu retten, erklärt er sie prompt für vollständig schuldunfähig – ein Urteil, das wie ein doppelschneidiges Schwert wirkt: Es bewahrt sie vor dem Gefängnis, verdammt sie aber zu einem Aufenthalt in der psychiatrischen Anstalt auf unbestimmte Zeit.
Hinter den Kulissen
Der am 10. Oktober 1971 erstausgestrahlte Tatort „Der Richter in Weiss“ ist die elfte Folge der Kriminalreihe und der vierte Fall für den Hamburger Hauptkommissar Paul Trimmel, dargestellt vom charismatischen Walter Richter. Mit einer beeindruckenden Länge von 119:19 Minuten hielt diese Episode bis zum Erscheinen von „Tschiller: Off Duty“ den Rekord als längster Tatort aller Zeiten.
Die Produktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR) wartete mit einer bemerkenswerten Starbesetzung auf. Neben Walter Richter als knorriger Ermittler Trimmel glänzte die österreichische Schauspielerin Erika Pluhar in der komplexen Rolle der Brigitta Beerenberg. Eine besondere Note erhielt der Film durch die Mitwirkung von Helmut Käutner als Professor Robert Kemm – einem der einflussreichsten Filmregisseure des deutschen Kinos, der hier ausnahmsweise vor der Kamera stand. Für zusätzliche Authentizität sorgte der Gastauftritt des bekannten Strafverteidigers Rolf Bossi, der als Verteidiger Dr. Loissen zu sehen war.
Die Erstausstrahlung am Sonntagabend des 10. Oktober 1971 im Ersten Programm der ARD erreichte die für heutige Verhältnisse kaum vorstellbare Einschaltquote von 66,0 Prozent. Der „Richter in Weiss“ gilt sowohl in seiner Fernsehfassung als auch als Roman als Tatort-Klassiker und war in beiden Medienformen ein großer Publikumserfolg.
Kritiker bescheinigten dem Werk dokumentarische Präzision und gesellschaftliche Relevanz. Die Folge löste heftige Diskussionen über das Gutachterproblem in der Justiz aus und thematisierte die Fragwürdigkeit psychiatrischer Diagnosen im Strafprozess. Die Frage, ob die weißen Kittel der Psychiater manchmal eine größere Macht ausüben als die schwarzen Roben der Richter, machte den Titel „Der Richter in Weiss“ zu einer vielschichtigen Metapher, die bis heute nachwirkt.
Ein Klasse-Fernsehfilm, ein excellenter Krimi . .
zum großen Teil aber aufgrund des
sehr eindringlichen Charakterspiels von
Erika Pluhar – als Brigitte Beerenberg !!!!,
DIE Schauspielerin/Sängerin aus Österreich in der Zusammenfassung oben nicht zu erwähnen,
ist geradezu unverzeihlich, bei diesem Film.
LG aus Berlin,
Peter
Wahrscheinlich der längste Tatort aller Zeiten, knapp zwei Stunden Laufzeit.
Paul Trimmel in höchstform und ein sehr realistisches Schwurgericht.
Der Tatort Nummer 011. Schwere Kost und nicht einfach zu verdauen. Heute noch eher als bei der Erstsendung. Mit dabei ein echter Star-Anwalt, Rolf Bossi, der frühere Schrecken aller Staatsanwälte. Alleine sein Mitwirken in diesem Film war es schon wert, diesen langatmigen Streifen noch einmal zu sehen. Aus heutiger Sicht wäre die Frau Beerenberg wahrscheinlich, wenn überhaupt, wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafrechtlich verfolgt worden. Damals, im Jahre 1971, hat sie sich an einen Halbgott vergriffen und selbst der (echte) Staranwalt Bossi mußte Kompromisse mit denen eingehen. Und Hauptkommissar Trimmel, von der Hamburger Mordkommission, überraschte sein Nasenbohrer-Team mit einer Solonummer. Nach vier Flaschen Bier und Leberwurstbroten robbt er sich, vom sportlichen Ehrgeiz beseelt, ins Wasser. Tatsächlich, er findet die mit Mühe angeschaffte Doubletten-Waffe. Wenn aktuelle Mißbrauch-Nummern im Bereich der Psychiatrie nicht durch die unabhängige Presse aufgedeckt werden würden, könnte man an einen gut gemachten Psycho-Tatort-Thriller glauben. Aber alleine das Mitwirken von Rolf Bossi in diesem Tatort-Krimi zeigte schon damals das Quantum Wahrheit an dieser Thematik. Sehenswert bis heute, aber in Vergessenheit geraten.
Ich möchte am letzten Satz von Dirk anschließen: es ist ein Jammer, dass dieser tolle Film in Vergessenheit geraten ist. Er ist nach wie vor brandaktuell, wobei mit psychischen Erkrankungen heute anders umgegangen wird als 1971. Trotzdem spielen Sachverständige generell heute eine größere Rolle denn je.
Letztendlich leidet dieser Film (und das sage ich als leidenschaftlicher Tatort-Seher) darunter, dass er ein Film der Tatort-Reihe ist… er hätte einen Einzelstatus verdient. Das gilt für Käutner, Pluhar, Richter aber auch für das Drehbuch und Regie. Das schreibt einer, der weit nach Entstehung des Filmes geboren wurde.
Trotz fast 2 Stunden und null Action nicht langweilig, der Anwalt war echt, Rolf Bossi.
Gestern gesehen un erinnert. Warum taucht Frau Pluhar nicht in der Besetzungsliste auf? MfG w.G.
@Wolfgang Gieschler:
Auweia, die große Erika Pluhar ist tatsächlich untergegangen. Wir haben die Darstellerin umgehend in der Besetzungsliste ergänzt – vielen Dank für Ihre berechtigte Nachfrage!
Beste Grüße aus der Redaktion
Sabine
Wirklich großartig und für das Jahr 1971 erstaunlich „offenherzig“ was die Thematik und die Kleidung von Erika Pluhar anging. Sehr schlecht kam die Ärzteschaft, und dabei speziell die Psychiater weg ! Das tut weh, wenn man Mitglied dieser Gilde ist, aber es ist andererseits sehr erheiternd, zu sehen, wie überheblich und gockelhaft wir uns zumindest damals noch aufführen konnten.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Verhalten des Professors richtig verstanden habe. Zuerst hat er Brigitta ja für voll zurechnungsfähig erklärt. Aber dann hat sie ihn ja wohl verführt, und ich vermute, dass er danach „verrückt nach ihr war“ und wollte, dass er weiterhin „Zugriff“ auf sie hat, deshalb hat er in der Verhandlung angefangen, anzudeuten, dass sie nicht zurechnungsfähig war, woraufhin sie ausgerastet ist und öffentlich erklärt hat, dass er mit ihr geschlafen habe, woraufhin er sie dann erst recht für „verrückt“ erklären konnte, so dass sie in seiner Klinik blieb und er weiterhin Sex mit ihr haben konnte. Habe ich das so richtig verstanden?