Kurz und knapp – darum geht’s
In der Elbe wird die Leiche des ehemaligen Chefingenieurs Rüdiger Voss gefunden – ermordet kurz bevor er eine wichtige Aussage vor dem Seeamt machen sollte. Hauptkommissar Jan Casstorff und sein Team stoßen bei den Ermittlungen auf einen brisanten Fall: Auf einem Schiff der Hamburger Reederei Vorbeck kamen drei politisch verfolgte Flüchtlinge aus Nigeria ums Leben – angeblich bei einem Unfall. Als Casstorff erfährt, dass die Anwältin der Reederei seine Ex-Frau ist, die ihn vor 15 Jahren mit dem gemeinsamen Sohn zurückließ, wird der Fall auch persönlich. Als die Ermittler beginnen, die wahren Hintergründe des vermeintlichen Unfalls zu durchleuchten, geschieht ein zweiter Mord und das Team gerät in ein gefährliches Netz aus Waffenhandel, politischer Verfolgung und tödlichen Geheimnissen…
Inhalt der Tatort-Folge „Exil!“
Graue Nebelschwaden hängen über dem Hamburger Hafen, als die Wasserschutzpolizei eine Leiche aus der Elbe fischt. Der neue Hauptkommissar Jan Casstorff steht mit versteinerter Miene am Ufer. Zwei präzise Stiche ins Herz – da wusste jemand genau, wohin er stechen musste. Die Identifizierung des Opfers geht schnell: Rüdiger Voss, ehemaliger Chefingenieur der Reederei Vorbeck, dessen auffällige Tätowierung ihm zum Verhängnis wird.
Casstorff ist ein Mann, der emotional wie unter Panzerglas zu leben scheint – scheinbar unnahbar, aber innerlich brodelt es. Als alleinerziehender Vater kämpft er mit seinem 15-jährigen Sohn Daniel, der sich nach Freiheit sehnt und für ein Jahr ins Ausland gehen will. „Ins Exil“, wie der Junge es provokant nennt. Seine Kollegen Eduard Holicek, ein erfahrener Ermittler mit ruhiger Hand, und die junge, idealistische Jenny Graf spüren die Anspannung ihres Chefs, während sie gemeinsam den Mordfall untersuchen.
Die Ermittlungen führen das Team in düstere Hafenkneipen, wo Voss am Abend vor seinem Tod mit zwei unbekannten Männern gesehen wurde. Die Recherchen enthüllen, dass Voss vor dem Seeamt aussagen sollte. Es geht um einen Vorfall auf dem Schiff „African Queen“, bei dem drei blinde Passagiere aus Nigeria durch eine Begasungsanlage im Laderaum zu Tode kamen – ein tragischer Unfall, wie die Reederei behauptet.
Das Schicksal spielt Casstorff einen bitteren Streich, als er bei der Reederei Vorbeck auf seine Ex-Frau Judith trifft, die ihn vor 15 Jahren verlassen hat, um Karriere zu machen. Die Begegnung gleicht einem Aufeinanderprallen von Eisbergen – unter der Oberfläche brodelnd, nach außen kalt. Sie ist nicht nur die Tochter des Reeders, sondern auch die Anwältin im Fall der toten Flüchtlinge. Die Spannung zwischen ihnen ist mit Händen zu greifen, während das Interesse am Fall sie widerwillig zusammenführt.
Als Jenny Graf herausfindet, dass es sich bei den Toten um politisch Verfolgte handelte, und ein anonymer Zeuge behauptet, der Kapitän hätte den Tod der Flüchtlinge absichtlich herbeigeführt, verdichtet sich die Atmosphäre wie schwere Gewitterwolken über dem Hafen. Die Verfolgungsjagd nach der Wahrheit führt durch das Labyrinth der Hamburger Hafenanlage, wo jeder Schatten ein Geheimnis verbergen könnte. Der Fall wird zum Treibsand – je mehr die Ermittler sich bewegen, desto tiefer versinken sie in einem Netz aus internationalen Verstrickungen. Dann geschieht ein zweiter Mord, der die Ermittlungen in eine neue, gefährliche Richtung lenkt…
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Exil!“ markierte im Oktober 2001 einen bedeutenden Wendepunkt für den Hamburger Tatort. Nach 16 Jahren lösten Hauptkommissar Jan Casstorff (Robert Atzorn) und sein Team, bestehend aus Eduard Holicek (Tilo Prückner) und der jungen Polizistin Jenny Graf (Julia Schmidt), die beliebten Ermittler Stoever und Brockmöller (Manfred Krug und Charles Brauer) ab. Gedreht wurde vom Norddeutschen Rundfunk unter der Regie von Thomas Bohn in Hamburg und der Umgebung.
In weiteren Rollen sind Nina Petri als Judith Vorbeck und Fjodor Olev als Casstorffs Sohn Daniel zu sehen. Dietrich Hollinderbäumer vervollständigt das Ensemble als Casstorffs etwas miesepetriger Vorgesetzter. Das Drehbuch stammt von Felix Huby, dem Schöpfer des Stuttgarter Tatort-Kommissars Bienzle, der später in Interviews kritisierte, dass die Figur des Casstorff durch Regisseur Bohn stark verändert wurde.
Die Erstausstrahlung am 28. Oktober 2001 erreichte beachtliche 9,24 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 26 Prozent für Das Erste. Interessanterweise musste der Film zweimal nachsynchronisiert werden, da in den ersten Fassungen eine abfällige Aussage über den damals amtierenden US-Präsidenten Bush enthalten war. Zudem protestierte die Ärzteschaft gegen eine ihrer Meinung nach respektlose und abwertende Aussage.
Die visuell düstere Inszenierung mit intensiven Hamburg-Aufnahmen zeigte eine deutliche stilistische Abkehr von den früheren, leichteren Hamburger Tatorten. Kritiker bemerkten, dass sich mit Casstorffs Einstand die Bildsprache des Hamburger Tatorts um „einen Schlag zehn Jahre vorwärts bewegt“ habe – schneller, extrovertierter und düsterer sei sie geworden. Diese neue Ästhetik sollte prägend für die folgenden 14 Folgen mit Jan Casstorff werden, der bis 2008 im Dienst blieb und damit deutlich länger als sein Nachfolger Cenk Batu, dessen experimentellere Folgen trotz der stylishen Aufmachung mit schlechteren Quoten zu kämpfen hatten.
Der Tatort 483 aus Hamburg mit dem beliebten Hauptkommissar Castorff und seinen Familienangelegenheiten. Ein spannender und sehenswerter Tatort-Krimi mit noch heutigen aktuellen Themen. Intelligente Aufklärung dieses außergewöhnlichen Tatort-Falles. Unter anderem wurde festgestellt, dass politisch verfolgte Flüchtling vorsätzlich gemeuchelt wurden. Einfach einmal anschauen. Ehrlich.
Schöner Tatort, das „Exil“ Drumherum mit dem Sohn hat viele Filmminuten in Anspruch genommen, die der eigentllchen Story gefehlt haben. Da hätte man dem Verhör und der Ermittlung mehr Raum geben können.
Na ja und die Kameraführung konnte sich nicht entscheiden zw. Wackel- und Hinterherlaufkamera und ruhiger Einstellung. Außerdem liebte der Regieseur dunkle und dürstere Einstellungen. Ein Schwarzafrikaner im dunklen Verhörraum. Es fehlte eigentlich nur noch der langsam drehende Deckenventilator.
Sehr angenehmer Start für Robert Atzorn als Kommissar Castorff. Lilo Wanders ist in einer kleinen Nebenrolle zu sehen. Heute würde man die Rolle wohl mit Olivia Jones besetzen. 20 Jahre ist dieser Krimi schon alt. Toller Start. 4 Sterne