Kurz und knapp – darum geht’s
In der Hamburger Nacht erschießt ein vermeintlicher Neonazi einen gefesselten türkischen Gastwirt, nicht ahnend, dass der Mann als Lockvogel missbraucht wurde. Doch der Schütze ist selbst Polizist: Hauptkommissar Gerd Eifels ermittelte undercover im rechtsradikalen Milieu, um einen tödlichen Brandanschlag auf einen türkischen Imbiss aufzuklären – bis seine Tarnung aufflog. Als seine Kollegen Stoever und Brockmöller den Fall übernehmen und eine Spur zur zwielichtigen Judoschule Kaiser verfolgen, beginnt Eifels einen eigenen verzweifelten Rachefeldzug, der ihn direkt in tödliche Gefahr führt…
Inhalt der Tatort-Folge „Lockvögel“
Herbstliche Dunkelheit hüllt das nächtliche Hamburg ein, als Hauptkommissar Gerd Eifels, der seit einem Jahr unter dem Decknamen „Walter Stoers“ in der rechtsradikalen Szene ermittelt, einem verhängnisvollen Anruf folgt. Der türkische Gastwirt Yüksel Agban hat ihn in sein Lokal bestellt. Doch was dort als fingierter Angriff beginnt, endet in einer Tragödie: Eifels erschießt in Notwehr einen der maskierten Angreifer – und erkennt zu spät den gefesselten Agban mit einer Waffe in den Händen, aus der nicht geschossen wurde. Ein perfider Hinterhalt, der aus dem verdeckten Ermittler einen Mörder machen soll.
Für die Kommissare Paul Stoever und Peter Brockmöller beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Beide fühlen sich verantwortlich, haben sie doch ihren jungen Kollegen zu diesem gefährlichen Undercover-Einsatz gedrängt. Der Staatsanwalt, gespielt vom unnachgiebigen Rolf Becker, sitzt ihnen bereits im Nacken. Die Kommissare müssen herausfinden, wer aus dem rechtsradikalen Milieu Eifels‘ wahre Identität enttarnt hat – keine leichte Aufgabe in der verschlossenen Neonazi-Szene Hamburgs.
Ihre Ermittlungen führen sie zur dubiosen „Judoschule Kaiser“, deren Leiter Peter Kaiser und sein brutaler Handlanger Olaf Dehmels zwar offenkundig im rechtsextremen Milieu aktiv sind, denen bisher aber nichts nachgewiesen werden konnte. Die dunklen Trainingsräume, in denen unter dem Deckmantel des Sports Hass und Gewalt kultiviert werden, wirken bedrohlich wie eine Brutstätte des Bösen. Besonders irritierend: der flackernde Neonschriftzug „Judo“ über dem Gebäude, bei dem der letzte Buchstabe oft ausfällt, sodass nur „Jud“ in blutigem Rot durch die Nacht leuchtet – eine unmissverständliche Botschaft der Gesinnung.
Während Brockmöller zum Erstaunen seines technikskeptischen Partners ungeahnten Ehrgeiz im Umgang mit dem neuen „Datenhighway“ entwickelt und in der Mailbox des neonazistischen „Thule-Netzes“ auf Spuren der Täter stößt, verdichten sich gleichzeitig Hinweise auf eine mögliche Verwicklung kurdischer Extremisten. Denn die Familie Agban lag seit Jahren mit der kurdischen Gastwirtsfamilie Haschimi im Streit – ein Konflikt, der wie ein dunkler Schatten über den Ermittlungen liegt.
Der traumatisierte Eifels kann unterdessen nicht stillsitzen. Die Schuld, einen Unschuldigen getötet zu haben, treibt ihn in einen einsamen Rachefeldzug. Er provoziert Kaiser, um ihn aus der Reserve zu locken, und nimmt eigenmächtig zwei seiner Neonazi-Schergen gefangen. Als wäre die Lage nicht bereits explosiv genug, wird Kaiser vor seinem Judoclub erschossen, und plötzlich steht ein weiterer Mord im Raum. Die Suche nach Wahrheit gleicht zunehmend einem Gang durchs Minenfeld, in dem jeder falsche Schritt tödlich enden könnte…
Hinter den Kulissen
Der Tatort „Lockvögel“ wurde als 334. Folge der beliebten Krimireihe vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) in Zusammenarbeit mit dem ORF produziert und feierte am 27. Mai 1996 seine Erstausstrahlung. Für Hauptkommissar Paul Stoever, verkörpert vom charismatischen Manfred Krug, war es bereits der 28. Fall, während sein Kollege Peter Brockmöller, gespielt von Charles Brauer, zum 25. Mal auf Verbrecherjagd ging.
Die Dreharbeiten fanden in Hamburg statt, wo die Studio Hamburg Produktion authentische Schauplätze der Hansestadt als Kulisse nutzte. Regisseur Jörg Grünler, der auch das Drehbuch verfasste, inszenierte den Fall als spannenden Mix aus klassischem Krimi und Thriller. Neben den Hauptdarstellern überzeugten vor allem Dirk Martens als verzweifelter Undercover-Ermittler Gerd Eifels, Rudolf Kowalski als zwielichtiger Judoschulleiter Kaiser und Robert Victor Minnich als brutaler Neonazi Olaf Dehmels das Publikum.
Die Erstausstrahlung erreichte beachtliche 7,68 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 24,01 Prozent – ein deutlicher Beweis für die Beliebtheit des Hamburger Ermittlerduos. Ein besonderes Markenzeichen der Stoever-Brockmöller-Tatortfolgen war ihr musikalischer Beitrag: In „Lockvögel“ singen die beiden Kommissare in Dennis‘ Swing Club „Quiet Nights Of Quiet Stars“ von Frank Sinatra – eine Szene, die den Zuschauern die menschliche Seite der sonst so toughen Ermittler zeigt.
Im Nachhinein erscheint die Handlung des Films geradezu prophetisch, thematisierte er doch bereits 1996 die Gefahr rechtsextremer Gewalt gegen Migranten – Jahre bevor die NSU-Mordserie in Deutschland aufgedeckt wurde. Die Darstellung des damals noch neuen Internets als Kommunikationsmedium der rechten Szene wirkt aus heutiger Sicht erstaunlich weitsichtig und machte „Lockvögel“ zu einem bemerkenswerten Zeitdokument der 90er Jahre, das nicht nur spannende Krimi-Unterhaltung bot, sondern auch gesellschaftlich relevante Themen aufgriff.
Klassischer Tatort-Kriminalfilm aus dem Jahr 1996 mit den Hamburger Hauptkommissaren Stoever und Brockmöller und dem als Undercover-Agenten eingesetzten Hauptkommissar Eifels. Im verdeckten Einsatz heißt der aber Stoers. Und als Störer entwickelt der sich auch. Der letztere ist nämlich hinter Leuten her, die keine Türken mögen, was ihm fast Job und Leben kosten wird. Spannender und rasant abgedrehter Polizeifilm mit den engagiert agierenden Tatort-Polizeibeamten Stoevi und Brocki. Noch heute ein sehens- und wiederholungswerter Tatort-Polit-Thriller. Regie führte hier der Jörg Grünler und für das Drehbuch verantwortlich war der Jörg Grönler. Undercover-Decknamen sind auch schwer zu merken, da nimmt man gerne die Vereinfachung. Ährelich.
Großartiger Tatort.
Alt aber einfach Klasse
Herrlich schlichter Tatort aus den Neunzigern. Statt dass die Kommisare am Schluss singen, singen sie hier mal am Anfang. So im szenischen Gegensatz zum Mordfall die „Swing-Idylle“. Was aus der jetzigen Sicht der Corona-Schutzverordnungen interessant ist, dass bei diesem Fall kaum Massenaufläufe im Umfeld stattfinden. Einzig die Szene an der Bude mit evenfalls Krabben speißenden Passanten. Sonst dreht sich der Film immer in überschaubaren Gruppierungen. Judo-Schule, Kommisariat, Familienidyll, Kneipen-Gäste. Es hat etwas von einer Theateraufführung mit städtischen, leeren Zwischenbildern.
Der Film ist ungewollt ein Stückchen technische Zeitgeschichte. Da hört man das Modem knattern und beginnt zu ahnen, dass das (für die breite Masse) noch neue Internet außer den damals faszinierenden Möglichkeiten von E-Mails und Informationsportalen auch eine dunkle, anonyme und auch kriminelle Tragweite entwickeln wird. Sehr „raffiniert“, wie das Symbol des damals größten deutschen Internetanbieters, für das ja auch Manfred Krug damals warb, untergebracht wurde. Zum Fall: Der Trick mit der Waffe am Anfang ist an Gemeinheit kaum zu überbieten, die Figuren sind glaubwürdig und das Ende mit den Sorgenpüppchen ist etwas albern. Gute Unterhaltung, also fünf Sterne, inklusive Stöver- und Brocki- Bonusstern.
Dieser Tatort ist im besten Sinn „konventionell“ und sehr gelungen. Stoever und Brockmöller auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und dazu ein Thema (Nazis), das leider zeitlos ist, aber auch die damals aktuelle Problematik der Kurden wird angesprochen.
Trotzdem bleibt es ein Krimi und keine Gesellschaftskritik unter dem Deckmantel eines Krimis, was allzu oft misslingt.
Die Figuren sind authentisch gelungen und glaubwürdig. Insbesondere gefällt mir Rudolf Kowalski, der bei Loriot in komischen Rollen brillierte und hier einen Nazi gekonnt darstellt. Ein guter Schauspieler beherrscht diese Bandbreite. Die Technik, das Internet, wirkt im Vergleich zu heute wie eine Dampflok neben einer E-Lok. Es hat sich viel verändert und daran merkt man, wie die Zeit vergeht. Und auch die Nazis treten heute (optisch) anders auf als im Stil der 1990er. Insofern ist es etwas wie eine Zeitreise über 25 Jahre, aber das ist bei alten Serien oft der Fall. Der Unterhaltung tut das keinen Abbruch. Dieser Tatort gehört zu den besten aus Hamburg und ist immer wieder sehenswert.
Liebe Redaktion:
Drehbuch als auch die Regie verantwortet natürlich beide Male Jörg Grünler (Eine glückliche Familie, Stockinger)!
So ist es sowohl im Vorspann als auch auf der Seite daserste.de angegeben, trotzdem taucht die Grönler-Variante häufig auf – da hat wohl mal einer vom anderen falsch abgeschrieben.
Und weil ich schon mal hier bin, will ich gleich noch meinen Senf dazugeben:
Mit dem Bewerten von gesellschaftspolitisch-kritischen Krimis tue ich mich regelmäßig schwer, obwohl krimimäßig mit Sjöwall/Wahlöö und Werremeier sozialisiert.
Besonders, wenn sie dazu noch belehrend und moralinsauer daherkommen wie häufig beim NDR/Lindholm, weshalb die hier im Hause auch nicht geschaut werden.
Diesem hier gebührt Anerkennung insofern, als daß die PKK/Türkei-Problematik durchaus realistisch dargestellt wurde. Daß es dann um Schutzgelderpressung und weniger um landsmannschaftliche Animositäten ging, rückte den kriminalistischen Aspekt in den Vordergrund.
Undercover unter Neonazis, stimmig auch das soziale Umfeld in der gern als Ghetto titulierten Großsiedlung Steilshoop; harte Recken mit SS-Runen auf ansonsten kahlrasiertem Schädel, passend dazu der Neonschriftzug mit dem flackernden ‚O‘ über dem Eingang: JUDO – JUD – JUDO.
Peter & Paule trällern in ‚Dennis‘ Swing Club‘ auf der Uhlenhorst (dort traten einst Oscar Petersen oder Herbie Hancock auf) ihr fröhlich Liedchen zur Abwechslung mal zu Beginn, derweil der Undercover-Mann Eifels (sehr eindrucksvoll: Dirk Martens, Künstlername ‚Freddy Leck‘, unter dem er in Berlin einen kultigen Waschsalon betreibt!) in eine perfide Falle der Neonazis gelockt wird – dann piept der Cityruf-Pager, ein auslaufendes Benachrichtigungssystem, denn schon sind Mobiltelefone im Gebrauch.
Einige Schmunzler wie auch die üblichen Frotzeleien werden geboten: Stoever gefällt die Anrede der geschäftstüchtigen Bengels mit „Herr Mordkommissar“ nicht; was aber der sich daraus ergebende Running-Gag mit den Sorgenpüppchen sollte, erschließt sich mir nicht.
Und die im Pumpernickel versteckten 3,5″-Disketten, Brocki hält die Packung sogar in der Hand – da kann man lange suchen.
Es ist 1996, das Internet hält Einzug in die Arbeit der Kriminalisten, das WWW kommt auf, parallel dazu auch über BBS-Mailboxen abgewickelt zu einer Zeit, als ein gewisser Boris B. „Bin ich schon drin?“ fragte und allüberall CDs als Gratis-Beilagen zu haben waren, auf denen die Einwahlprogramme der Provider wie T-Online, AOL, CompuServe, Freenet, 12move oder Viag-Interkomm offeriert wurden und der Mosaic-Browser Wegbereiter des Netscape Navigator war, aus dem später Firefox wurde.
Nötig für den Zugang war ein analoges Modem, was Brocki seinem Kollegen klarmacht: Das hier gezeigte war ein US Robotics Courier V.34, richtig teuer, aber das beste, was der Markt hergab – natürlich illegal, da es keine Postzulassung des Fernmeldetechnischen Zentralamtes/Abk. FTZ besaß (ich hatte ein Elsa Microlink 56k, das war auch nicht schlecht) und es ist schön zu sehen, wie sie sich abmühen, wobei Brocki sich offensichtlich leichter tut, er will unbedingt „rein“ ins Netz.
Dafür durfte dann Kollege Stoever, der sich neben ihm sitzend in aller Seelenruhe mit der Papierschere die Augenbrauen trimmt (!), Werbung für die Telekom und den Börsengang der T-Aktie 1996 machen, um dem Volk das Geld aus der Tasche zu ziehen!
Wofür er Jahre später sogar um Entschuldugung bat – Respekt!
So oft wie hier das T-Logo zu sehen war, liegt durchaus ein Interessenkonflikt vulgo Schleichwerbung vor – kein Wunder, wenn man um die Personalie Doris J. Heinze als zuständige Redakteurin weiß.
Hallo,
weiss jemand, weshalb die Folge nicht auf den DVD-Boxen drin ist?
@Anna-Theresa Schade
Die DVD: https://tatort-fans.de/tatort-dvd-box-stoeverbrockmoeller-box-vol-2/ ist leider häufig vergriffen.
Nicht immer realistisch dieser Tatort aber spannend und zum Mitdenken (zum Film empfehle ich eine Tasse Kaffee für die Hirnaktivierung). Superpolizisten, die jeden Fall klären! Locker verfilmt mit flotten Sprüchen und kultigen Musikeinlagen (die Kommissare machen ebenso gut Musik wie sie Verbrecher überführen). Keine Sorgenpüppchen sondern 5 von 5 Sterne!