Hauptkommissar Ronke verkörperte 1983 in einer einzigen, aber denkwürdigen Tatort-Folge den klassischen Einzelgänger-Ermittler – ein sarkastischer Außenseiter im beschaulichen Stade, der hinter ironischen Bemerkungen eine scharfe Beobachtungsgabe verbarg.
Der einsame Wolf aus Stade
Hauptkommissar Ronke
Der von Ulrich von Bock dargestellte Hauptkommissar Ronke war ein Mann der Widersprüche. Obwohl bereits seit vielen Jahren bei der Mordkommission in Stade tätig, blieb der Anfang Vierzigjährige ein Fremder in der norddeutschen Kleinstadt. Seine Unfähigkeit, sich zu integrieren, lag nicht zuletzt an seinem ausgeprägten Sarkasmus – eine Eigenschaft, die in „Wenn alle Brünnlein fließen“ besonders deutlich wurde, als er beim Anblick der Leiche trocken kommentierte: „Das hätt‘ er sich auch nicht träumen lassen, dass er mal mit ’nem Schluck Wasser im Hals im Kanal landen würde.“
Ronkes äußere Erscheinung erinnerte bewusst an Sherlock Holmes: Strickjacke, karierte Kappe und Schal prägten sein unverwechselbares Outfit. Diese Kostümierung unterstrich seinen Status als Außenseiter und analytischer Beobachter. Seine Liebe zu Topfpflanzen, die er liebevoll pflegte und sammelte, offenbarte eine empathische Seite, die er gegenüber Menschen nur selten zeigte. Bezeichnend war auch seine Abneigung gegen das Überbringen von Todesnachrichten – eine Aufgabe, die er lieber seinem Assistenten Wieler überließ.
Präzision hinter Sarkasmus
Ronkes Ermittlungsstil zeichnete sich durch akribische Detailarbeit und ein Gespür für Widersprüche aus. In seinem einzigen Fall durchschaute er schnell, dass der vermeintliche Selbstmord des Bauunternehmers Arnold Severing komplexer war als zunächst angenommen. Seine grauen Augen nahmen jedes noch so kleine Detail wahr, während er in seinem alten Opel Rekord E1 durch die regennassen Straßen fuhr und „widersprüchliche Aussagen summierte, die wie Nebelfetzen vor seinem geistigen Auge tanzten“.
Trotz seines unnahbaren Auftretens bewies Ronke Zielstrebigkeit und eine ausgeprägte Kombinationsgabe. Er ließ sich nicht von oberflächlichen Indizien täuschen, sondern bohrte tiefer – eine Herangehensweise, die ihm half, das Netz aus Lügen, Intrigen und Geldgier zu durchschauen, das sich um den Fall Severing spannte.
Stade als Spiegel der Zeit
Das beschauliche Stade an der Unterelbe bildete den perfekten Schauplatz für Ronkes melancholischen Charakter. Die norddeutsche Kleinstadt mit ihrer Mischung aus Tradition und wirtschaftlichem Niedergang spiegelte 1983 die reale Lage der Bundesrepublik wider. Schwere Wolken, regennasse Straßen und die drückende Atmosphäre der Rezession bildeten eine düstere Kulisse, die Ronkes Rolle als Außenseiter unterstrich.
Die Provinzialität Stades verstärkte Ronkes Isolation – ein zugezogener Ermittler in einer Gemeinde, in der jeder jeden kannte und Fremde mit Misstrauen betrachtet wurden. Diese Konstellation machte ihn zu einem objektiven Beobachter, der unvoreingenommen die Geheimnisse der scheinbar harmlosen Kleinstadt aufdecken konnte.
Hauptkommissar Ronke blieb eine Eintagsfliege im Tatort-Universum, doch seine einzige Folge hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. Als letzter Vertreter der „Eintagsfliegen“-Phase des NDR-Tatorts verkörperte er den klassischen melancholischen Ermittler, der hinter einer rauen Schale einen scharfen Verstand und – trotz aller Zurückhaltung – echte Menschlichkeit verbarg.