Hauptkommissarin Hanne Wiegand, eine der ersten weiblichen Tatort-Ermittlerinnen überhaupt, besticht durch ihre einzigartige Kombination aus Empathie und Beharrlichkeit, die sie in den Kurorten des Südwestens zur Lösung ihrer Fälle einsetzt.
Das Profil: Die Einzelgängerin mit dem Blick fürs Detail
Hanne Wiegand
Hanne Wiegand ist eine Ermittlerin der leisen Töne und der intensiven Beobachtung. Ihre größte Stärke ist ihre geduldige, fast zeremonielle Herangehensweise an Verhöre, die sie am liebsten im häuslichen Umfeld der Verdächtigen führt, weil sie glaubt, dass die eigenen vier Wände am meisten über einen Menschen verraten. Diese Methode wendet sie bereits in ihrem allerersten Fall „Das Lederherz“ an, als sie die wahre Geschichte hinter dem tödlichen Sturz einer Frau entschlüsselt.
Doch hinter ihrer zurückhaltenden Art verbirgt sich ein eiserner Wille und eine kompromisslose Hartnäckigkeit, die sie immer wieder in Konflikt mit Dienstvorschriften und sogar ihren eigenen Kollegen bringt. Getrieben von einem tiefen Gerechtigkeitsempfinden, geht sie auch dann unbeirrt ihren Weg, wenn sie damit allein dasteht. In „Ausgeklinkt“ kostet sie dieser Eigenwilligkeit beinahe die Karriere, als sie in einer Psychiatrie ermittelt und Beweise verschwinden, noch bevor sie sie sichern kann. Ihr Vorgesetzter warnt sie davor, sich zu sehr in einen Fall zu verbissen, doch genau dieses „Sich-Verbeißen“ ist ihr Markenzeichen.
Ihr Privatleben opfert sie fast vollständig ihrer Arbeit. In „Spiel mit dem Feuer“ wird ihre eigene Einsamkeit in einer berührenden Szene spürbar, in der sie allein in einem dunklen Kino sitzt und ein französisches Melodram betrachtet – eine Reflexion ihrer eigenen zerrissenen Beziehung zu einem verheirateten Mann. Diese persönlichen Abgründe machen sie nicht schwächer, sondern schärfen ihren Blick für die Tragödien anderer, wie im Fall „Täter und Opfer“, in dem sie einfühlsam die Geschichte einer Vergewaltigungsopfer aufarbeitet.
Ihre Marotten – das Verbiegen von Büroklammern und das Führen von Selbstgesprächen – sind die Ventile einer Frau, die unter der Oberfläche brodelt und deren analytischer Verstand niemals ruht.
Die Dynamik: Die Solistin und ihre wechselnden Partner
Hanne Wiegand ist eine Einzelkämpferin, deren Assistenten häufig wechseln. Diese Konstellation ist nicht nur ein erzählerisches Detail, sondern prägt ihren Ermittlungsstil entscheidend. Ohne festen Partner an ihrer Seite verlässt sie sich ganz auf ihr eigenes Urteilsvermögen und ihren Instinkt. Sie delegiert nicht, sondern taucht selbst tief in die Lebenswelten der Verdächtigen und Opfer ein. Diese Arbeitsweise bringt sie immer wieder in Gefahr, etwa wenn sie in „Aus der Traum“ einem träumerischen Hilfsarbeiter und seiner komplizierten Beziehung nachgeht und sich dabei in ein Netz aus Betrug und falschen Hoffnungen verstrickt. Ihr Verhältnis zu Vorgesetzten ist oft angespannt, da sie deren Warnungen vor dienstlichen Grenzüberschreitungen meist in den Wind schlägt, wenn sie ihrer Sache moralisch sicher ist. Ihr Stil ist einzigartig: eine Mischung aus psychologischem Fingerspitzengefühl und unerschütterlicher Entschlossenheit.
Baden-Baden als Schauplatz
Die mondäne Weltkurstadt Baden-Baden mit ihrer eleganten Fassade aus Spielbank, Promenaden und Jugendstilvillen bildet den perfekten Kontrast zu den dunklen Abgründen, die Hanne Wiegand aufdeckt. Hinter der glänzenden Oberfläche des Wohlstands verbergen sich Eifersucht, Betrug und Mord. Die Serie nutzt die architektonische Pracht der Stadt nicht nur als Kulisse, sondern als aktives Element der Handlung: Die verwinkelten Treppenhäuser, die noblen Villen mit ihren dicken Mauern, die einsamen Waldwege im Schwarzwald – sie alle werden zu Zeugen der Verbrechen und spiegeln gleichzeitig die Einsamkeit der Kommissarin wider. Wiegand, selbst eine Frau, die nicht ganz in ihre Zeit zu passen scheint, findet ihren Resonanzraum in der zeitlosen Eleganz und den versteckten Melancholie Baden-Badens.
Abschluss
Hanne Wiegands Fälle sind mehr als nur Kriminalfälle; sie sind schonungslose Studien menschlicher Schwächen und Sehnsüchte. Mit ihrer unverwechselbaren Art, die von Karin Anselm mit großer Zurückhaltung und Intensität gespielt wurde, hat sich die Kommissarion einen festen Platz in der Tatort-Historie erobert und den Weg für viele starke Ermittlerinnen nach ihr geebnet.